Good Vibrations, die bietet nur ein echter V2. Aber was ist eigentlich „echt“? Hat der Harley Motor womöglich eine Zauberformel?

Es war ein lautmalerischer Slogan, den Harley-Davidson in den Neunziger Jahren prägte: „Potato, Potato“. Jeder erkannte darin den Sound eines Harley-Motors wieder. Charakteristisch ist sein verzögerter Rhythmus: Zwei Schläge, die nicht in gleichem zeitlichen Abstand zueinander erfolgen. Der eine Schlag kommt etwas zu früh, der andere etwas zu spät. Im Musik-Arrangement ist das ein billiger Trick, um Melodien im wörtlichen Sinne anzutreiben, man spricht dann von einem punktierten Rhythmus. Dieser treibt auch den Harley-Motor an und verleiht ihm seinen ganz persönlichen Sound.

Der Harley Motor ist ein „echter“ V2

Ganz nüchtern erklärt war dieser Sound aus der Not geboren, denn er lässt sich nur einem sogenannten echten V-Motor entlocken. In einem echten V-Motor befinden sich beide Pleuel auf einem einzigen Hubzapfen. Auf diesem Hubzapfen stecken sie im Fall einer Harley auch nicht nebeneinander, sondern sie rotieren in einer einzigen Flucht, was nur geht, wenn ein Pleuel ein sogenanntes Gabelpleuel ist: Es schmiegt sich mit zwei Augen um das andere normale Pleuel. Beide Pleuelstangen liegen deshalb auf der gleichen Linie. Ihr könnt das meist schon von außen erkennen, denn nur in einem V-Motor dieser Art liegen auch beide Zylinder in einer Flucht. Hätte die Kurbelwelle des Motors nebeneinander liegende Pleuel, läge somit ein Zylinderfuß mindestes um die Breite eines Pleuelfußes seitlich versetzt hinter dem anderen. Der Motor würde also etwas breiter bauen.

Ein ausgebautes Pärchen Harley-Pleuel. Deutlich ist zu erkennen, dass beide Pleuel nicht nebeneinander sitzen, sondern in einer Flucht

Der 45°-V-Motor der Harleys spart also Platz. Er eröffnet ein ziemlich gute Möglichkeit, zwei Zylinder frei von der Luft umströmt auf engstem Raum unterzubringen. Und je enger die Zylinder wiederum aneinander liegen, desto raumsparender der ganze Motor. Für ein Motorrad spielte das eine Rolle, erst recht in früheren Zeiten, als die Kühlung noch ein echtes technisches Problem war und schlecht konstruierte Motoren schnell den Hitzetod starben. So also wählte Harley aus Platzgründen einst den Zylinderwinkel von 45 Grad und war in frühen Zeiten nicht der einzige Konstrukteur, der diesen Weg ging. Und während ein wegen dieser Zylinderanordnung unrund laufender Motor bald nicht mehr Stand der Technik war und andere Hersteller zu moderneren Konzepten übergingen, blieb Harley beim bewährten Prinzip. Nach einem halben Jahrhundert konstruktiver Halsstarrigkeit durfte die Company sich seit dem Buy Back ihres langen Atems rühmen: Heute klingt der Sound eines 45°-V-Twins nicht mehr veraltet, er klingt nach Kult!

Das Geheimnis des Sounds

Halbgebildete erklären allen Ungebildeten gerne, dass es mit dem unregelmäßigen Sound eines Harley-Motors ganz logisch sei, weil der zweite Zylinder schon 45 Grad, also ganz kurz nach dem ersten zündet und dann, nach nunmehr 315 Grad Kurbelwellenumdrehung, die nächste Zündung des ersten Zylinders erfolge. So aber ist das nicht, denn der Harley-Motor ist kein Zweitaktmotor. Auf jeden Arbeitstakt eines Zylinders folgen drei weitere Takte (ausstoßen, ansaugen, verdichten). Würden die Arbeitstakte also tatsächlich in einem Winkel von 45 Grad aufeinander folgen, so läge dahinter nicht die Zeit von 315 Grad bis zum nächsten Knall, sondern 315 plus 360, also sogar 675 Grad. Kann das wirklich sein? Liegt jedesmal nach zwei unmittelbar aufeinander folgenden Explosionen so eine lange Zeit ohne Explosion?

Ein echter V-Motor spart Platz. Zwei Zylinder sind frei von der Luft umströmt auf engstem Raum untergebracht

Selbst professionelle Harley-Schrauber in Vertragswerkstätten können euch nicht immer aus dem Stand heraus eine Antwort darauf geben. Manche reagieren auf solche Fragen sogar genervt. Sie reagieren damit nicht anders als Fußball-Bescheidwisser, die sich in allen Fragen rund um den Fußball auszukennen behaupten. Aber aus welchen Vielecken ein klassischer Fußball zusammengesetzt ist, das wissen sie nicht. Die einen meinen dann, es wären Fünfecke, die anderen meinen, es wären Sechsecke. Beide Antworten sind falsch. Die Antwort auf die zweite Frage lautet richtig: Ein Fußball ist aus Fünfecken und aus Sechsecken zusammengesetzt, sonst wäre keine Rundung möglich.

Die Zündfolge des Harley Motors

Und die Antwort auf die erste Frage lautet richtig: Die Arbeitstakte eines Harley-Motors folgen nicht nach 45 Grad einer Kurbelwellenumdrehung, sondern nach 360 Grad minus 45 Grad – und dann wiederum nach 360 Grad plus 45 Grad. Die Zündfolge lautet also 315 Grad und dann 405 Grad. Das radiale Verhältnis von 315 Grad zu 405 Grad können wir nun noch auf ein dezimales Zeitmaß umrechnen, und dann kommen wir auf ein Ergebnis von 0,77:1. Das also ist in Zahlen ausgedrückt der Rhythmus, der den Sound eines Harley-Motors macht: 0,77:1!

Den aufgeschnittenen Lehrmotor stellte uns Markus Bürklin vom Werk Mannheim zur Verfügung: Werk Mannheim Untermühlaustraße 79 68169 Mannheim 0172 – 620 78 52 harleytroedler@aol.com

Die Relation des musikalischen punktierten Rhythmus liegt übrigens bei 1:3. Wir haben also technisch einen anderen Rhythmus, aber mit der ins Unendliche verlaufenden magischen Zahl 7 ist der um so faszinierender. Das Geheimnis des Sounds einer Harley ist gelüftet! Wer das nicht glaubt, der findet den unumstößlichen Beweis, wenn er das Zündgehäuse einer klassischen Harley öffnet. Dieses Gehäuse wird „Nose Cone“ genannt oder auch „Zuckerhut“. Im Fall des hier abgebildeten Evolution-Motors befindet sich darin die Kontaktzündung mit einer Verteilerwelle und ihren beiden charakteristischen Nocken, die das Kommando für den Zündfunken geben. Modernere Evos haben eine kontaktlose Zündung mit Hall-Geber. Deshalb steckt dann keine Verteilerwelle im Nose Cone, sondern ein Zündrotor mit den ebenfalls charakteristischen Aussparungen, an denen ein Sensor auf der darüberliegenden Geberplatte, wie der Schlepphebel an den Nocken, das Kommando für die Zündung abliest.

Eine einzelne Verteilernocke gibt die Signale für zwei Zylinder

Da die Verteilerwelle eine Umdrehung macht, während die Kurbelwelle sich zweimal dreht, kann sie zwischen Arbeitstakt und Ansaugtakt unterscheiden. So lassen die Zündzeitpunkte sich an ihr exakt ablesen und einstellen. Und die Nocken, wie die Aussparungen des Zündrotors, liegen zueinander in einem Winkel von 157,5 Grad und 202,5 Grad, also der Hälfte der schon erwähnten 315 Grad und 405 Grad, und damit entsprechen auch sie der Relation von 0,77:1. Eine einzelne Verteilernocke gibt also die Signale für zwei Zylinder. Wie unterscheidet die Zündanlage zwischen den beiden Zylindern? Sie unterscheidet gar nicht!

Das Zahnrad der Kurbelwelle liegt unter dem doppelt so großen Zahnrad der Nockenwelle. Die Verteilerwelle, die den Kontaktarm steuert, kann deshalb zwischen Arbeitstakten und „blinden“ Takten unterscheiden

Hier sind wir bei dem Prinzip der Dual-Fire-Zündung, das Harley-Davidson bis zum Evolution-Motor verfolgt. Immer wenn Nocken oder die Aussparungen des Zündrotors das Kommando geben, erfolgt eine Zündung in beiden Zylindern. Nur jeweils eine davon ist wirksam, die andere verpufft entweder in einem Zylinder, der gerade Gemisch ansaugt, welches aber noch nicht zündfähig ist, oder in einen Zylinder, der gerade verbrannte Gase ausstößt. Diese Verpuffung eines Zündfunkens heißt unter Harley-Schraubern „Blind Spark“ oder auch „Wasted Spark“. Es findet übrigens auch in anderen Motoren statt. Selbst die so peniblen deutschen Ingenieure von BMW hatten ihre klassischen Boxer-Motoren nicht anders konstruiert. Auch die Zündanlage eines Boxermotors unterscheidet nicht zwischen den Zylindern.

Die Zündanlage und der Sound des Harley Motors

Der Wasted Spark eines Boxermotors verpufft aus konstruktiven Gründen aber nicht irgendwo in der Mitte eines Taktes, sondern exakt und symmetrisch bei der gleichen Kolbenposition, die für einen Arbeitstakt erforderlich wäre. Es ist eben nur nicht gerade Arbeitstakt, sondern Ende des Ausstoßtakts. Das andere Prinzip, das Fachleute „Single-Fire“ nennen, würde jeden Zylinder einzeln ansteuern. Aber es würde bei Motoren bis zum Evolution eine zweite Verteilerwelle im Nose Cone und eine zweite Zündspule erfordern. Die von Nachrüstern vertriebenen Single-Fire-Systeme wurden mit dem Shovelhead-Motor eingeführt, und im damaligen Rennbetrieb schwor man auf dieses Prinzip.

Die Zündnocke dreht sich gegen die Motordrehrichtung. Gerade wird der Kontaktarm von der ersten Nocke angehoben. Der Kontakt hat sich geöffnet und damit den Zündfunken ausgelöst

Wird mit der Dual-Fire-Zündung also Energie vergeudet, wie das Wort „wasted“ es suggeriert? An Stammtischen wird darüber immer heftig diskutiert. Aber selbst unter Fachleuten scheiden sich die Meinungen. Markus Bürklin vom „Werk Mannheim“ stellte uns den Motor für unsere Aufnahmen zu Verfügung. Nach seiner Meinung darf der Verlust der Zündenergie vernachlässigt werden: „Den Unterschied merkt man nur bei ganz hoch getunten Motoren.“ Eine serienmäßige Dual-Fire-Anlage sei deshalb in so ziemlich allen Lebenslagen ausreichend. Der Heidelberger Customizer Martin Becker von MB Cycles pflichtet bei, beteuert aber, immerhin den Klang einer Single-Fire-Anlage von dem einer Dual-Fire-Anlage unterscheiden zu können. Und damit sind wir schon wieder beim Geheimnis des Harley-Sounds, für den ganz offensichtlich auch die Zündanlage eine Rolle spielt.

Der Sound des Twin Cams ließ einiges an Charakter vermissen

Bei der dem Evolution folgenden Generation des Twin-Cam-V2 musste diese Diskussion gar nicht mehr geführt werden. Der Evo wurde noch durch Vergaser befüttert, und nur die Zündanlage war elektronisch gesteuert. Die durch die nachfolgende Einspritzanlage komplette elektronische Regelung des Twin-Cam-Motors machte es zum ersten Mal in der Geschichte der Harley-Motoren möglich, jeden Zylinder exklusiv anzusteuern. Das hatte Konsequenzen in der Startprozedur. Zwar verfügte der Twin Cam über einen Sensor für die Kurbelwellenposition, die aber gab noch keine Auskunft darüber, in welchem Takt die Zylinder sich gerade befanden.

Der einzelne Hubzapfen zeichnet den echten V-Motor aus. Das vordere Pleuel ist normal geformt, das hintere Pleuel gabelt sich beiderseits um das vordere

Die Twin-Cam-Steuerung musste also noch das Ansaugen oder Ausstoßen erfassen, bevor die Einpritzanlage loslegen und den Motor mit Kraftstoff versorgen konnte. Das führte zu den charakteristischen drei Umdrehungen, die er beim Anlassen ohne Zündung absolvierte. In dieser Zeit ordnete er nämlich die Positionen seiner Komponenten einander zu. Der Sound des Twin Cams ließ ja einiges an Charakter vermissen, den man von einer Harley erwartet hätte. Das lag auch an der werkseitig ungewöhnlich hoch eingestellten Leerlaufdrehzahl von 1000 U/min. Die elektronische Steuerung wiederum war versiegelt und deshalb für Schrauber unzugänglich. Manipulieren ließ die Drehzahl sich nur nach dem Austausch durch ein Steuergerät aus dem Aftermarket. Mit angeschlossenem Laptop ließ sie sich dann auf moderatere Drehzahlen runterregeln.

Der Milwaukee-Eight klingt besser als der Twin Cam

Der Leerlaufsound des Twin Cam kam nie gut an. Deshalb kehrte die Company für den „Milwaukee-Eight“ ab dem Modelljahr 2017 zu den gewohnten 850 U/min zurück. Wenn dieser Motor läuft, dann hört wieder jede Hausfrau, dass es sich um den Sound einer Harley handelt, denn auch der Big Twin der voraussichtlich letzten luftgekühlten Generation ist ein waschechter 45°-V-Motor und macht „Potato, Potato“. Dieses aber nicht mehr in jedem Fahrzustand.

Beide Zylinder liegen in einer Flucht. Deshalb baut der luftgekühlte Harley-V-Twin obenrum besonders schmal

Der Milwaukee-Eight verfügt über eine elektronisch geregelte Abschaltung des hinteren Zylinders, damit der im Stand an heißen Tagen vor der Ampel keinen Hitzetod erleidet. Das kann man wegen der Ausgleichswelle nicht spüren, aber hören: Wenn der Harley Motor im Leerlauf seinen charakteristischen Potato-Sound verliert und zu hämmern beginnt, steigen die Drehzahlen automatisch auf 950 U/min. Das soll den Verlust des Rhythmus ein wenig übertönen. Wer sich auskennt, der hört es trotzdem raus. Fahrer, denen das peinlich ist, lassen den Motor dann mittels Zurückdrehen des Gasgriffes kurzfristig wieder auf zwei Zylindern laufen. Alles im Dienst der akustischen Legende, die einfach nicht sterben darf.

Die Magie des Harley Motors

Der Potato-Sound macht die Magie des Harley-Motors. Und die begründet sich in der konstruktiven Auslegung des Motors als echter V-Motor. Dazu aber kommen noch die charakteristischen Vibrationen, und der V-Motor einer Harley hat dank seines Zylinderwinkels vielleicht die sexiesten von allen. Nun ist „Vibration“ erst einmal ein emotionaler Begriff; mit dem Physiker sich nicht zufriedengeben, denn Vibrationen sind die Summe zahlloser physikalischer Einflüsse von Massenkräften und Massenmomenten erster und zweiter Ordnung. Deren Wirken ist höchst komplex, zumal weniger die Drehbewegung der Kurbelwelle das Schütteln verursacht, als vielmehr die Auf- und Abwärtsbewegung der Kolben, die ihr Tempo in der Nähe der Totpunkte auch noch verlangsamen und die für einen unendlich kleinen Moment sogar stillstehen.

Zündrotor und Verteilernocken im Vergleich. Beide sorgen für eine Auslösung des Zündfunkens nach 157,5 und 202,5 Grad. Der Nocken zeigt unten eine charakteristische Verlängerung der Hebung für den zweiten Zündzeitpunkt. Damit schließt sich der Kontakt zwischen beiden Zündungen für die gleiche Zeitdauer

Deshalb läuft kein Motor wirklich vibrationsfrei. Die wenigsten Vibrationen haben Sechszylinder-Reihenmotoren und im Motorradbau natürlich die Boxermotoren, deren gegenüberliegende Zylinder die Kräfte der Kolben gegenseitig neutralisieren. Eine Sonderrolle spielen zweizylindrige V-Motoren mit einem Zylinderwinkel von 90 Grad, wie zum Beispiel die der klassischen Moto Guzzi. Der rechte Winkel bringt Ruhe in den Lauf und sorgt für einen relativ günstigenAusgleich der Massen: Saust ein Kolben nach unten oder nach oben, wird sein Schwung genau in der Mitte seines Weges um 90 Grad umgelenkt, und das viermal pro Umdrehung. Die Vibrationen sind damit nicht weg, aber sie werden mit einer gewissen Symmetrie im Zaum gehalten. Übrig bleibt die typische Sinnlichkeit der Guzzis und das auf die quer zur Fahrtrichtung stattfindende Rotations-Kippmoment wie beim Boxer: Zupft man am Gashahn, zuckt das Motorrad kurz zur Seite.

Der Motor ohne Ausgleichswelle steckt in Silentblöcken

Vibrationen können den Motorrädern ihren spezifischen Charakter verleihen (good Vibrations), sie können aber auch einfach nur nerven. Das ist der Grund, weshalb selbst die Company für die Twin-Cam-Motoren zur Jahrtausendwende die „B“-Reihe eingeführt hatte. „B“, das steht für „balanced“, die Twin-Cam-B-Motoren haben also Ausgleichswellen. Äußerlich sind die A- und B-Motoren der Twin Cams leicht an ihrer Lagerung im Rahmen zu unterscheiden, der Motor ohne Ausgleichswelle steckt in dicken Silentblöcken aus Hartgummi.

Zündrotor und Geberplatte einer kontaktlosen Zündung

Eine Ausgleichswelle ist ein im Gegensinn des Motors rotierendes Metallgewicht. Auch der Milwaukee-Eight hat eine Ausgleichswelle, die Twin Cams hatten sogar deren zwei, jeweils mit der Kurbelwelle im Verhältnis 1:1 gekoppelt. So eine Ausgleichswelle wiegt was, im Fall des Milwaukee-Eight-Motors reichliche 1,7 Kilo. Ihr Antrieb verzögert deshalb das Ansprechverhalten des Aggregats. Twin-Cam-Motoren ohne Ausgleichswelle sind in der Gasannahme etwas spritziger als ihre „B“-Brüder. Trotzdem sind inzwischen so ziemlich alle modernen V-Motoren mit Ausgleichswellen versehen. Das gilt erst recht für die Motoren mit noch unrunderen Zylinderwinkeln, also etwa für den 60-Grad-Motor der Harley-Davidson V-Rod, ebenso für den 50-Grad-Motor der Victorys oder den 49-Grad-Motor der neuen großen Indians. Alle sind sie sogenannte „echte“ V-Motoren, deren Pleuel auf einem gemeinsamen Hubzapfen liegen.

Mit den Vibrationen verschwindet auch die Sinnlichkeit

Mit ihren ungewöhnlichen Zylinderwinkeln wären sie ohne die Ausgleichswellen nur polternde Monster – mit allen mechanischen Nebenwirkungen, wie ölenden Dichtungen, lockeren Schrauben und womöglich brechenden Rahmen. Die Ausgleichswellen machen diese Motoren standfest. Auch lange Fahrten werden darauf so erst erträglich. Der Preis dafür ist eine gewisse Langeweile, denn mit eliminierten Vibrationen verschwindet auch die Sinnlichkeit der Motoren. Harley-Davidsons Twin Cams kassierten entsprechende Kritiken, nachdem sie ihre Ausgleichswellen bekommen hatten.

Der Twin-Cam-B-Motor der Softails hat zwei Ausgleichswellen. Sie werden über eine lange Kette von der ­Kurbelwelle angetrieben

Wie Gourmetköche mussten HarleysIngenieure eine „Rezeptur“ in die Ausgleichs-wellen des Milwaukee-Eight packen, um dem V2 ein gewisses Maß spürbaren Lebenseinzuhauchen. In ihren ersten Pressemitteilungen rühmte deshalb die Company den Motor dafür, dass seine Ausgleichswellen die Vibrationen nicht vollständig auslöschen würden, sondern dass übrig bleibt, was Spaß macht und kitzelt.

Eine japanische Kopie ist eben kein Harley Motor

Spaß machen und kitzeln geht eben nur mit einem echten V-Motor. Bei einem Boxer oder einem Paralleltwin, der ja nichts anderes ist als ein zusammengefalteter Boxer, gibt’s das nicht. Echte Parallel-Twins mit gleichlaufenden Zylindern klingen deshalb auch nur wie ein Boxermotor. Um solche Motoren akkustisch wieder interessant zu machen, hat Triumph sich einen Kunstgriff einfallen lassen und die Hubzapfen ihrer Twins um 270 Grad versetzt. 360 Grad minus 270 Grad, das macht 90 Grad. Im weiteren Sinne ist so ein Parallel-Twin also ein zusammengefalteter 90-Grad-V-Motor. Er klingt dann zumindest so. Dass Triumph diese Motoren wiederum mit einer Ausgleichswelle glattbügelt, steht auf einem anderen Blatt.

Harley-Davidson warb in den Neunziger Jahren mit dem Sound seiner ­Motoren und erfand das lautmalerische „Potato, Potato“

Schließen wir nun mit einem kurzen Blick auf die Japaner. Bis jetzt haben wir immer von den echten V-Motoren gesprochen. Mit den Japanern kommen wir zu den Kopien, die ja manchmal besser sind als das Original. Suzuki hatte mit der Intruder einst einen äußerlich perfekten V-Motor auf den Markt gebracht, der aber in technischem Sinne kein echter war. Die Intruder hatte zwei Hubzapfen, und die waren um 45 Grad versetzt. Zusammen mit dem 45-Grad-Zylinderwinkel ergab sich so ein Versatz von 90 Grad. Die Intruder war also tatsächlich ein 90-Grad-V-Motor, und das ohne Ausgleichswelle. Die Intruder war ein Erfolg. Die Japaner hatten mit ihr den ersten Chopper gebaut, der in seinem Auftritt einer Harley das Wasser reichen konnte. Die Laufleistungen der Truden sprachen für sich. Aber Sound und Vibrationen waren eben nicht die einer Harley. Sie waren nicht magisch.