Teamwork ist, wenn jeder wichtig ist. Wir stellen den Mann vor, der bei Harley-Davidson Berlin die Motorräder putzt.

Der Raum liegt ganz hinten, noch hinter der Werkstatt von Classic Bike Berlin. Eine Sichtverblendung verdeckt zahlreiche Sprühdosen, Tuben und Fläschchen. Das gleicht ein wenig einer Hexenküche, dabei ist es doch eher eine Zauberwerkstatt.

Die Zauberwerkstatt bei Harley-Davidson Berlin

Thomas bedient sich dort vieler Ingredienzien. Wenn’s kompliziert wird, greift er noch zu Flugrostknete, Poliermaschine und Deltaschleifer. Und es wird so gut wie immer kompliziert. So gibt er den mehrere zehntausend Euro schweren Harleys den wirklich letzten Schliff, bevor sie blitzeblank in die Hände eines stolzen Besitzers übergehen.

Eine MZ ETZ 250 im Kleid einer westlichen Reiseenduro. Sie bekam eine Frontverkleidung, deren Lufthutzen mal Waschmaschinengriffe waren, für deren einzelnen Doppelscheinwerfer zwei Doppelscheinwerfer eines Dacia dran glauben mussten, und die Plexiglasscheibe kam von einem Tatran-Motorroller

Diesen Job nennt man „Aufbereiter“. Thomas Solinski erledigt ihn mit Leidenschaft. Dabei könnte er doch so viel mehr. Er blickt auf eine vollwertige Ausbildung als Autolackierer zurück, auf eine langjährige Karriere als Motorradverkäufer, und nebenher ist er noch ein fähiger Customizer.

Im Osten musste man mit eigener Hand die Träume verwirklichen

Immer sind seine Umbauprojekte ein wenig abgedreht und widersinnig. Bevorzugt baut er Japaner so um, dass sie aussehen wie nie gebaute Harleys. Dieses Talent dürfte er sich im Osten erarbeitet haben. Dort musste man mit eigener Hand die Träume verwirklichen, die anders nie wirklich wurden.

So hätte eine kleine Buell aussehen können. Basis dieses Unikats ist eine Honda MSX 125

Man war oft zur MZ verdammt, und mit viel Improvisation konnte man sie so gestalten, dass sie aussahen wie ein großvolumiger japanischer Joghurtbecher. Man durfte sie dann nur nicht anschmeißen, denn ihr zweitaktendes Scheppern hätte sie entlarvt. Das Nachbauen war Thomas trotzdem nicht genug. Er wollte schon im Osten ein Westmotorrad, eine Yamaha. Weil die nicht zu kriegen war, und nur deshalb, stellte er im Jahr 1986 einen Ausreiseantrag.

Ausreiseantrag mit der Begründung: Yamaha fahren

Verhöre mit Männern von der Staatssicherheit folgten prompt. Aber weil Thomas bei seiner Argumentation blieb, weil er keine politischen Gründe nannte, sondern immer nur dieses Westmotorrad, war das den eindimensional denkenden Männern wohl zu hoch. Es war ja auch wirklich kaum zu glauben, und so folgte, was noch viel weniger zu glauben war: Die Staatssicherheit ließ davon ab, Thomas zu drangsalieren, sie ließ ihn einfach in Ruhe. Nur ausreisen ließ sie ihn nicht.

Die feingemachte Buell X1 Millenium Edition: Viel zu schade zum Verheizen, und deshalb entstand die Mini-Buell für den Alltagsbetrieb

1989 kam der Westen zu Thomas, seine Träume wurden wahr. Er begann eine Karriere als Motorradverkäufer in Mecklenburg-Vorpommern. Die Harleys aber ließen ihn nie in Ruhe. Sie waren nun mal der Inbegriff des westlichsten aller West-Motorräder. Und so nahm er im Jahr 2014 einen weiteren Anlauf und bewarb sich bei Classic Bike in Berlin.

Probezeit bei Harley-Davidson Berlin

Dort ist Lothar Schmidt der Chef. Er gewährte Thomas eine Probezeit von einem Monat und unterschrieb ihm den festen Vertrag bereits nach einer Woche. Seitdem putzt Thomas nicht nur die Motorräder im letzten Raum des Harley-Händlers. Er leitet die Wiedereinsteiger-Kurse und wirkt bei Umbauprojekten mit, wie der LiveWire von Classic Bike, der Thomas eine neue Heckverblendung verpasste.

Thomas kennt alle Tricks, um eine Harley zum Glänzen zu bringen

Und wenn Thomas eine Yamaha XSR 900 so umbaut, dass sie aussieht wie eine Harley-Davidson Bronx, die es nie gab, dann darf sie sogar in den Hallen von Classic Bike stehen. Ganz hinten, in der letzten Halle, die vielleicht auch die erste sein könnte.

Thomas Solinski

1963 geboren in Waren/Müritz
1977 Jugendweihe und erstes Motorrad: Simson S 50
1979 Ausbildung als Autolackierer
1982 Nationale Volksarmee
1986 Ausreiseantrag
1989 Motorradverkäufer in Mecklenburg-Vorpommern
2014 Aufbereiter bei Classic Bike Harley-Davidson Berlin


Im Gespräch – Wir sprachen mit Thomas, dem Aufbereiter der Harleys von Classic Bike Berlin

DM: Thomas, verrate uns doch erstmal einen deiner Tricks: Wie kriegt man Chromflächen am besten zum Glänzen?
Thomas: Da nehme ich Aluminium Polish von Autosol. Am Motorblock muss man aber aufpassen, wenn daneben schwarzer Wrinkle-Lack ist. Den konserviere ich erst mit dem Farbauffrischer von S 100. Und fürs Finish nehme ich das Carnaubawachs von Sonax.

Hast du keine Angst, damit irgend­welche Geheimnisse zu verraten?
Putzen muss man am Ende immer selbst …

Du hast wohl deshalb ziemlich kurze Fingernägel?
… und vor allem probiere ich gerne und finde sowieso immer neue Techniken.

MZ ETZ 250 mit Dacia-Doppelscheinwerfer

Und von manchen weiß man womöglich erst nach Jahren, ob sie wirksam sind oder gar Schaden anrichten.
Das stimmt. Solche Erfahrungen gehören auch zum Job.

Das Probieren und Improvisieren hast du ja wohl im Osten gelernt.
Mein erstes Motorrad hatte ich zu meiner Jugendweihe bekommen. Das war eine Simson S 50. Die hatten aber alle, und da konnte ich meine nicht mal erkennen. So fing das mit dem Umbauen an. Schau dir dieses alte Foto von meiner MZ ETZ 250 an: Die Lufthutzen über dem Scheinwerfer waren mal Waschmaschinengriffe. Der Doppelscheinwerfer kam vom Dacia, der zwei Doppelscheinwerfer hat. Um daraus aber einen brauchbaren für ein Motorrad zu bauen, braucht man vom Dacia beide Doppelscheinwerfer.

Thomas Solinski

Für die Verkleidungsteile braucht man Glasfasern und Kunststoffe. Wo bekam man die im Osten her?
In der Chemie war die DDR ganz groß, das Polyesterharz konnte man auch bei uns kaufen. Mit den Formen war es schon schwie­riger. Die musste ich aus Gips fertigen oder ursprünglich als Dämmmaterial vorgesehene Aluplatten besorgen, die waren mit Schaumstoff hinterlegt, und die konnte man ganz gut biegen und formen. Brauchbares Plexiglas für die Scheiben aufzutreiben, war schwierig. Was man kriegen konnte, war zu dünn. Da konnte ich mir mit einer Plexiglasscheibe vom Tatran-Motorroller helfen.

Wer im Osten richtig cool war, der legte sich eine AWO statt einer MZ zu. Die AWO war zwar auch nur eine 250er, aber wenigstens ein Viertakter, und daraus ließen sich prima Chopper bauen.
Die konnte man als normaler Mensch aber nicht auftreiben und erst recht nicht bezahlen.

Mit der „Mini-Buell“ war ich der Star an der Spinner­brücke

Rechnerisch warst du 26 Jahre alt, als die Mauer fiel. Was war dein Traummotorrad?
Das war die K 1 von BMW. Die konnte ich mir im Jahr 1991 endlich kaufen, und als ich das erste Mal das Gas aufgezogen habe, hatte die so viel Feuer! Mein Bruder legte sich eine Softail Custom zu.

Vom Begrüßungsgeld konntet ihr das sicher nicht finanzieren.
Mein Bruder hatte an der Drushba-Trasse gearbeitet. Das war ein hochbezahltes Bauprojekt für eine Gasleitung in der ­Sowjetunion. Selbst beim Umtauschsatz von 2 : 1 von der DDR-Mark zur D-Mark blieb da noch genug übrig.

Mindestens einmal im Leben scheinst du dir ja doch eine Harley zugelegt zu haben? Wir sehen das zumindest auf deinen Fotos.
Ja, ich hatte auch mal eine Springer Softail, dann bin ich kurz abgefallen, mit einem Vierventil-Boxer von BMW, und dann legte ich mir eine Buell zu.

Die Heckumgestaltung der LiveWire von Classic Bike war Thomas’ Ding

Und wie kommt man auf den ­Trichter, eine 125er Honda MSX zu einem Motorrad umzubauen, das wie eine Buell aussieht?
Ich hatte eine kostbare Buell X1 ­Millenium Edition. Die wollte ich nicht auf dem Weg zur Arbeit verheizen. So entstand mein Projekt „Mini-Buell“. Damit war ich der Star an der Spinner­brücke – das ist der meistbesuchte Motorrad-Treffpunkt in Berlin.

Du hast auch an einigen offiziellen Harley-Umbauprojekten mitgewirkt?
Das war das Heck der LiveWire. Classic Bike wollte dieses hässliche Serien-Heck verschwinden lassen. So hab ich den Bürzel des neuen Hecks geformt.

Thomas’ Yamaha darf bei Harley-Davidson Berlin stehen

Was fährst du jetzt privat?
Das ist die Yamaha XSR 900, die auch hier bei Classic Bikes stehen darf. ­Eigentlich hatte ich auf die „Bronx“ von Harley-Davidson gewartet. Aber die kam nicht. Dann habe ich eben ein Motorrad so umgebaut, dass es aussah, wie die Bronx vielleicht ausgesehen hätte. Neben den kosmetischen Änderungen hat sie jetzt auch adaptives Kurvenlicht, Öhlins-Dämpfer und die glaslosen ­Motogadget-Spiegel.

Du arbeitest in einer Harley-Werkstatt. Wo schraubst du an deinen Projekten, die ja meistens keine Harleys sind?
Das mach ich nicht hier. Ich schraube zuhause.

Thomas Solinski geboren 1963 in Waren/Müritz

Harley-Davidson war im Osten der Inbegriff des West-Motorrades. Aber „Freiheit“ ist im Westen zu einem Werbe-Slogan verkommen. Was denkst du als ehemaliger Ossi, wenn du das Wort „Freiheit“ hörst?
Freiheit ist, wenn man Träume verwirk­lichen kann. Im Osten ging das nicht. Auf den Motorradrennen in Teterow wurden heimlich die westlichen Motorradzeitschriften gehandelt, bei uns hatte man für ein einzelnes Heft 15 Mark zahlen müssen. In diesen Heften konnte ich sehen, was ich alles nicht kriegen konnte. Und so hatte ich im Jahr 1986 einen Ausreiseantrag gestellt, weil ich unbedingt eine Yamaha wollte. Damit hatte ich meinen Antrag auch begründet. Am nächsten Tag kamen prompt die Herren von der Staatssicherheit, und dann ging das mit den Verhören los. Die wollten immer wieder wissen, was ich wollte, und ich sagte immer wieder, dass ich ein West-Motorrad will. Ich wollte nichts ­anderes. Das haben die wohl nicht kapiert, und dann haben sie mich bald in Ruhe gelassen. Eine Ausreise wurde mir aber nicht genehmigt.

Und jetzt arbeitest du bei einem Harley-Händler …
Ich musste mich erstmal wieder anpassen. Ich bin ein ruhiger Mensch. Aber hier war das schon ein ziemlich wilder Haufen. Die lockere Art der Kollegen kannte ich vorher nicht.

„Es ging mir immer um Motorräder“

Und jetzt fühlst du dich wie angekommen?
Ja. Es ging mir immer um Motorräder. Dafür hätte ich mir längst ein Haus kaufen können. Aber ich wollte immer nur Motorräder.

Als Aufbereiter bist du derjenige, der die Motorräder putzt. Fühlst du dich als Letzter in der Hierarchie oder bist du der heimliche Erste?
Ich mach hier ja auch noch andere Sachen. Zum Beispiel leite ich die Wiedereinsteiger-Kurse oder wirke bei Custom-Projekten mit. Mir macht das Spaß, wenn man mir meinen Job nicht gleich ansieht. Am schönsten ist es, wenn dann einige rufen: „Ach, du bist der Putzer!“ Und dann kommen sie alle wieder, um ihr Motorrad von mir putzen zu lassen. Manche wollen dann nur noch zu mir!

Info | classic-bike.de