Anfang Dezember geht der European Biker Build-Off in die nächste Runde. Auf der letztjährigen CUSTOMBIKE-Show wartete der Schrauber-Wettbewerb mit keinem überraschenden Ergebnis auf: Gewonnen hat das spektakulärere Bike.
Harley-Davidson Bielefeld stand zwei Jahre auf der Warteliste für den Biker Build Off im Rahmen der CUSTOMBIKE-Show in Bad Salzuflen. Schon im Jahr 2020 rechnete das Team mit einem Auftritt, womöglich unter Maske. Damals hätten die Bielefelder gegen BMW antreten müssen. Zwei Jahre später war es endlich wirklich so weit. Bielefeld stieg in den Ring, jetzt aber nicht gegen BMW, sondern gegen die Bike-Farm Melle.
Melle liefert ein dickes Kalieber
Ein Indian-Vertragshändler also, und das machte die Sache richtig spannend. Zwei amerikanische Big-Twin-Hersteller mit einer ziemlich gleichen Philosophie. Würde es nun ein Kopf-an-Kopf-Rennen geben? Gab es nicht, weil beide mit völlig gegensätzlichen Entwürfen vorfuhren.
Während Bielefeld bestrebt war, ein erschwingliches Custombike zu bauen, das keine langen Erklärungen beim TÜV erfordern würde, lieferte Melle ein ganz dickes Kaliber: Die Bike-Farm steckte einen großvolumigen Chief-Motor in einen extra von VG Special Frames gefertigten Starrrahmen. Dazu eine nicht enden wollende selbstentwickelte Gabel, und fertig war der Hingucker, der jeden Mitbewerber ausstechen würde.
European Biker Build-Off – Eindeutiges Ergebnis
So kam es dann auch. Das Ergebnis war eindeutig: 176 Stimmen entfielen auf die „El Purgatorio“ von Harley Bielefeld. Das war nur ein Achtungsergebnis, denn die Bike-Farm Melle kassierte 529 Stimmen für ihre „Purple Haze“.
Bielefeld nahm es gelassen. Das Team der Bike-Farm hatte seinen Preis sehr wohl verdient, und Bielefeld hatte eben ein anderes Konzept. So ersparten sich die Bielefelder auch blödes Gerede, ist doch Andreas Reibchen, der Veranstalter der CUSTOMBIKE-Show, gleichzeitig auch einer der Geschäftsführer des Bielefelder Harley-Dealers. „Alles gut“, so Andreas direkt nach Bekanntgabe des Ergebnisses, „jetzt kann uns niemand Schiebung vorwerfen. Wir haben ein faires Ergebnis.“
European Biker Build-Off – El Purgatorio
Die Bielefelder mussten nach ihrem Build-Off eine kleine Regelwidrigkeit bekennen. Irgendjemand im Team hatte die Spezialschraube für das Luftfilter-Cover verbaselt. Werkstattleiter Stephan Kaminski musste in die eigenen Räume fahren und eine neue Schraube drehen. Er hätte das Cover auch mit Silikon festpappen können, aber um sowas durchgehen zu lassen, ist er doch zu sehr Perfektionist.
Das Regelwerk sieht es vor, dass im öffentlichen Biker-Build-Off alles auf der Bühne stehen muss. Wenn Bielefeld gewonnen hätte, dann hätten böse Zungen das Ergebnis aufgrund der Regelwidrigkeit anfechten können. So aber ist es nicht mal ein Schönheitsfehler, sondern eine erzählenswerte Anekdote am Rande. Sie ging sowieso unter im Fegefeuer, das die Bielefelder auf der Bühne entzündet hatten.
Durchs Fegefeuer
„El Purgatorio“ lauten Name und Thema des Bielefelder Bikes. Tatsächlich also das „Fegefeuer“. Passend für die religiös aufgeladene Kultur der Chicano-Bikes, die den mexikanischen Stil zum Ausdruck bringen. Da muss alles Blingbling machen, und deshalb wählten die Bielefelder auch einen Twin-Cam-Motor als Triebwerk, weil einfach mehr Chrom dran ist.
Das Lackkleid kann da locker mithalten, aufgetragen hat es Alexander Henkemeier von AHA-Design. Es ist geschmückt mit alten Gemälden aus der Renaissance, darunter eines von Lodovico Carracci aus dem Jahr 1610. Es zeigt einen Engel, der Seelen aus dem Fegefeuer befreit, und dieses Motiv finden wir nun auf dem Frontfender. Engel können arme Sünder also aus den Tiefen des Purgatoriums herausheben. Ein tröstender Gedanke, für den, der dran glaubt.
European Biker Build-Off – So sieht Perfektion aus
Im echten Leben hebt eine Mechanik. Ein Airride gehört natürlich zu einem Chicano, um das Heckteil erstmal abzusenken und so die am Boden entlanggleitenden Schalldämpfer zur Geltung zu bringen. Überhaupt spielt die Linie eines ordentlichen Chicanos eine entscheidende Rolle. Ihr findet die zum Beispiel in den geradlinigen Aussparungen der Fender: Vorne und hinten haben sie in einer Flucht zu liegen. Probiert das mal, wenn ihr selbst einen Fendersatz bastelt.
Ob dann alles stimmt, merkt man übrigens erst beim Zusammenbau. Unter dem Druck der Corona-Maßnahmen, während derer zwei Jahre lang wenig passierte und dann die Ereignisse übereinander hereinprasselten, waren die Bielefelder nicht mal dazu gekommen, alles vorher testweise zusammenzustecken. Erst auf der Bühne stellte sich heraus, dass alles passte. So sieht Perfektion aus. Auch die eine Frage der Ehre – und Ehre ist ja das allerwichtigste Thema eines Chicanos. So gesehen hat El Purgatorio nicht nach Punkten gewonnen, ist aber wenigstens ein Sieger der Herzen.
European Biker Build-Off – Purple Haze
Die Jungs von der Bike Farm Melle waren gewarnt. Mit der Elektrik könnte es noch Probleme geben, hatten ihnen ein paar Kollegen aus der Riege der Indian-Vertragshändler erklärt. Wenn das Navi sich aufhängt, so prophezeiten sie, dann kann auch der Rest der Elektronik nicht funktionieren. Das Motorrad würde nicht anspringen.
Und tatsächlich. Als am Sonntag alles zusammengeschraubt war und Schlag 13 Uhr der erste Start auf der Bühne erfolgte, fuhr Andre von der Bike Farm der Schreck in die Glieder. Das Navi hing tatsächlich, nichts ging mehr! Nochmal Zündung ausmachen, im Kopf bis drei zählen, dann Zündung an – jetzt lief alles, das Navi funktionierte und die Indian sprang an.
Die Elektronik war die größte Herausforderung
„Und keiner hat’s gemerkt“, lächelt Andre ein paar Tage später, „es ist schon komisch, da baut man einen Chopper im Stil der späten Sixties, und dann hat man den Ärger mit einem Navi, das sich aufhängt.“ In der Tat war die Elektronik die größte Herausforderung beim Biker Build Off der Bike Farm Melle.
Für ihr Projekt „Purple Haze“ mussten die Schrauber den Kabelbaum einer Serien-Indian komplett auf links stricken, alles auseinanderreißen, und trotzdem das CAN-Bus-System funktionsfähig halten. Die Tacho-Einheit samt Display steckt nun im Tank, der mal der Touring-Tank einer Chieftain war. Beim Umstricken des Tanks behalfen die Meller sich mit der Benzinpumpe einer Sportster – ein gängiger Trick unter Indian-Customizern.
European Biker Build-Off – Das volle Programm
Und im Customizing bot die „Purple Haze“ das volle Programm. Einen völlig neuen Starrrahmen, dazu eine 1,18 Meter lange Gabel als Eigenkonstruktion. Bemerkenswert an der Gabel: Sie benötigt keine Dichtungen, weil sie nicht mit Öl befüllt ist. Stattdessen befindet sich in ihrem oberen Ende eine Progressive-Suspension-Cartridge, von der aus ein teflongelagertes Gestänge bis in die Tauchrohre führt. Mit dieser Technik kann die Gabel beliebig lang werden.
Gabel und Rahmen werden demnächst auch mit TÜV verkauft. Der Rahmen des BBO-Bikes war allerdings noch ein Prototyp, entstanden aus der Zusammenarbeit von Bike Farm und VG Motorcycle Specials. Und weil es ein Prototyp war, von dem niemand wusste, ob Motor und Rahmen zusammenpassen würden, hatte das Team von der Bike Farm alles auch schon einmal vor dem öffentlichen Biker Build Off zusammengesteckt. Es passte, und damit war der öffentliche Auftritt gesichert. Überraschungen sind dann trotzdem noch immer möglich. Die Bike Farmer hatten sie mit der Elektrik. Aber das hatte ja niemand gemerkt.
Info | hd-bielefeld.de | indian-melle.de