Die Flathead ist gut doppelt so alt ist wie der Fahrer, der mit der alten Harley von der Schweiz nach Barcelona und zurück will. Na, ob das klappt?

Wie alles begann: Alle schwärmten von Frankreich! Also kam dem Schweizer Marc Rufibach der Gedanke, er könnte doch eigentlich seinen Kollegen Pedro (ein Schweizer mit spanischem Namen, der nach Frankreich ausgewandert ist) besuchen! Und da Anfang Juni der Poker Run beim Harley Club Südtirol stattfinden würde, bot sich eine Rundreise mit der Strecke „Schweiz > Provence > Bordeaux > Barcelona > Fähre nach Genua > Südtirol > Schweiz“ an.

3500 Kilometer mit einer 1930er Flathead

Auf die Frage wie Marc auf die Idee kam, den ganzen Spaß mit einem 1930er Motorrad bewältigen zu wollen, folgte seine Antwort: „Habe ja nix anderes; beziehungsweise mein zweites Motorrad ist Baujahr 1934, ist aber unbequemer, da es im Originalzustand ist.“ Wohlwollende Frotzeleien wie „Wenn du nicht weiter kommst als zu mir (Distanz von Marcs Wohnort fünf Kilometer), kannst du gerne bei mir übernachten“, konnten Marc nicht von seiner Idee abbringen.

Reisebeginn: Das Bike im spartanischen „Bagger Style“. Das Wetter: Eitel Sonnenschein

Da Marcs Racer definitionsgemäß kein Tourenmotorrad ist und die Platzverhältnisse äußerst limitiert sind, fiel die Ausrüstung eher spartanisch aus und bestand komfortseitig aus Schlafsack, Hängematte, Zahnbürste, drei T-Shirts, einem Langarm-Shirt und einer Jeans. Geplante „Waschstopps“ sollten gewährleisten, dass man(n) gesellschaftsfähig blieb. Werkzeug und ersatzteilmäßig wurden Kerzenschlüssel, Zollschlüssel, Zündkerzen, Unterbrecher, Getriebe (0.5 Liter) und Motorenöl (1 Liter) sowie Ersatzglühlampen in die Tasche gestopft – das musste reichen!

Kein Strom – aber wenigstens freundliches Wetter

Der erste Tag begann gemäß „The early bird catches the worm“: Also Abfahrt Samstagmorgen um 6 Uhr, die Nachbarn wurden dabei auch gleich wach … Ende der Fahrt: 6:45 Uhr. Das Bike (auf gut Schweizerdeutsch „Töff“) stellte einfach ab; die Vermutung: kein Strom – aber wenigstens war das Wetter freundlich.

Trittbretterkratzen in den französischen Alpen

Zwei freundliche Motorradfahrer halfen beim Überbrücken, was kurz funktionierte, dann aber war wieder „Ende Gelände“… Der hinzugerufene Pannendienst verfrachtete Bike und Fahrer in die nächstgelegene Werkstatt. Da aber der Samstag kein idealer „Basteltag“ ist, hieß es dort: Habe leider keine Zeit, aber du darfst alles benutzen, was du willst … und weg war er, der Werkstattchef.

Zwei Stunden bis zum nächsten unfreiwilligen Stopp

Es galt, den Tank abzubauen, um an die Batterie zu kommen, die aus optischen Gründen hinter den bzw. im Tank montiert wurde (mit externem Ladeanschluss wohlgemerkt). Die Motorradwerkstatt von nebenan lieferte eine neue Batterie. Als eigentliches Problem konnte aber ein Kurzschluss im Scheinwerfer lokalisiert werden, übrigens nicht etwa ein Scheinwerfer aus den 30er Jahren, sondern ein neuer Scheinwerfer mit ECE-Prüfzeichen.

Erster Defekt! Wer findet die Batterie? Dazu Sattel und linke Tankhälfte (Öl) demontieren …

So ging’s dann gegen halb zwölf mittags wieder weiter – bis zum nächsten unfreiwilligen Stopp nach gerade mal zwei Stunden. Die Kupplung versagte ihren Dienst und Marcs Zuversicht fing an zu schwinden; hatten all die Skeptiker vielleicht doch Recht? Das Problem: Eine ausgerissene Schraube an der Kupplung. Es handelte sich um eine Harley-Spezialschraube aus den 30er Jahren, versteht sich, so was findet man nicht an jeder Straßenecke. Der neuerlich angeforderte Pannendienst konnte wegen „hoher Auslastung“ – es war Pfingstwochenende – nicht innerhalb erträglicher Zeit anrücken.

Flathead-Reparatur mit BMW-Gewindebolzen

Gemäß „Gehen-Sie-zurück-auf-Feld-1“ hüpften Spieler und Motorrad zehn Kilometer zurück in die vom Pannendienst vermittelte Werkstatt, die sich als eine BMW-Auto-Garage herausstellte. In einem Nebengebäude befand sich aber eine Werkstatt für Fahrräder und Mofas (immerhin auch zwei Räder; im schlimmsten Fall würde es ein Paar Tretpedale geben …). Auf die Frage, wie weit er noch fahren müsse/wolle, folgte auf die Antwort und den fragend verstörten Blick des Mechanikers eine improvisierte Reparatur mit einem BMW-Gewindebolzen. Mit neuer Zuversicht und wieder voll funktionsfähiger Kupplung bretterte Marc Richtung Berge. Wie sich später herausstellen sollte, war dies, allen Skeptikern zum Trotz, die letzte Panne auf dieser großen Rundreise.

Die Reiseroute führte ausschließlich über verkehrsarme Nebenstrecken

Der Furka-Pass musste wegen anhaltender Wintersperre auf dem Autozug unterfahren werden. Aus der Schneelandschaft heraus durch das wunderschöne Wallis, im Sonnenuntergang vorbei an den Rebhängen Richtung Chamonix, folgte alpenländisches Vergnügen pur – trotz der ansehnlichen Tagesetappe von 450 Kilometern. Die Straßen in einigermaßen starrrahmentauglichem Zustand luden zum sportlichen Trittbretterkratzen ein. Also auf nach Frankreich!

Die volle Morgenstimmungsdröhnung auf verkehrsfreien Straßen

In Valons-Pont-d’Arc ließ es sich ein Wirt nicht nehmen, seinem bettflüchtigen Gast Marc morgens um 7 Uhr ein anständiges Frühstück aufzutischen. Die darauffolgende frühe Abfahrt wurde belohnt mit fast verkehrsfreien Straßen, es war die volle Morgenstimmungsdröhnung, mit fast mystischen Nebeleinlagen. Im Tagesschnitt konnte Marc mit etwa 50 Kilometern pro Stunde rechnen, was die Planung mit dem „Oldschool-Navigationsgerät“ vereinfachte. Dieses bestand aus einem selbst zusammengeschusterten Patchwork aus laminierten Papierkarten, die auf dem Seesack montiert waren, der auf den Lenker geschnallt war – Vibrationsmodus inklusive.

Französische Gastfreundschaft

Gemütlich übernachten ließ es sich in „Chambres d’Hôtes“, wo die Gastgeber trotz vermeintlich leerem Kühlschrank stets einen feinen Snack (Omelettes etc.) auf den Tisch zauberten. Was will man mehr? Als das Pfingstwochenende endlich überstanden war, folgte am Dienstag der erste freiwillige Wartungsstopp; das hieß: Schraubenkontrolle (sind noch alle da und sitzen straff?), Kontrolle Kettenspannung und Öl. Dazu brauchte es lediglich eine bestimmte Serviceposition, das heißt eine Wand zum Anlehnen, damit das Bike gerade steht.

„Da fährt normalerweise auch kein vernünftiger Mensch durch!“

Weiter ging es durch die Provence Richtung Toulouse und Bordeaux. Auf dieser Strecke war es etwas flacher, wobei es sich in den Hügeln immer noch sportlich fahren ließ, da sich die Straßen flott an die Topographie anschmiegen; schließlich will man ja die Reifen „rund“ abfahren und nicht auf viereckigem Flachprofil herumwackeln … Kurz vor Freund Pedros neuer Heimat kamen bereits die Pyrenäen ins Blickfeld (etwa 150 Kliometer entfernt). Die Straßenbreite schrumpfte auf Lastwagenbreite, was eigentlich nur ein Problem war, wenn dann tatsächlich so ein Brummi entgegenkam (Pedros Kommentar dazu: „Da fährt normalerweise auch kein vernünftiger Mensch durch!“).

Brüder im Geiste: Pedros Kumpel Beno hilft in Badeschlappen und Morgenmantel mal eben schnell beim kleinen Service

Traditionsgemäß um 7 Uhr in der Früh stand am nächsten Tag wieder ein kleiner Service am Motorrad auf dem Programm – mit Unterstützung von Pedros Kollegen Beno im Morgenmantel. Das erste Zwischenziel (Pedro) war erledigt und Marc sattelte die 39 Pferdchen. Es ging ab Richtung Pyrenäen. Um 10 Uhr in die erste Kurve, gegen 17 Uhr wieder auf der anderen Seite aus den Pyrenäen herausgekurvt, lagen sieben Stunden „Achterbahn“ auf dem Buckel von Motorrad und Fahrer. Die Müdigkeit nach so einem Tagesritt wurde von Glücksgefühlen übertönt.

Noch 178 Kilometer bis Barcelona – Flathead-Power pur!

Die größte Herausforderung für Marc lag darin, Bilder mit dem Selbstauslöser zu schießen, hinters Motorrad zu hechten und dabei cool auszusehen. Und plötzlich waren es nur noch 178 Kilometer bis Barcelona! Das Motorrad lief seit Tag zwei immer noch pannenfrei – Flathead-Power pur!

Sabado cerrado! H-D Barcelona hatte geschlossen

Angekommen in Barcelona, pilgerte Marc zum dortigen Vertragshändler, um ein T-Shirt zu ergattern. Hmpf! Der Laden war leider geschlossen. Nach dieser herben Enttäuschung und dem obligaten Schnappschuss vom Moped vor dem Laden ging’s auf Unterkunftssuche. Eine Jugendherberge sollte es diesmal sein, und dann auf Shopping-Tour durch Barcelona. Da Shorts in Kombination mit Motorradstiefeln optisch ja nicht der Brüller sind, musste eine Sommerfußbekleidung her; die Lösung: „Espadrilles“. Und um wieder bis auf die letzte Socke in neuer Frische auftreten zu können, wurde noch ein Waschstopp eingelegt.

Sound und Rauch liefert die alte Flathead ganz von selbst

Beim Verladen auf die Fähre nach Genua lernte Marc einen Club von italienischen Oldtimerfahrern kennen, die unter anderem mit zwei neuen Harleys als Begleitfahrzeuge unterwegs waren. Die Bewunderung der anwesenden Damen waren ganz auf Marcs Seite: Es geht doch auch ohne Jumbo-Gepäcksystem, Zigarettenrauchen und Musik aus dem Lautsprecher. Nun: Sound und Rauch liefert die alte Harley-Flathead ganz von selbst.

Kurvenspaß ohne Ende. Menschenleere Straßen animieren zum ambitionierten Fahren

Auf der Fähre lief rein gar nichts: Zwei Bier waren drin, dann wurde die Bar geschlossen. Dafür ging’s am nächsten Tag in Genua mit Vollgas ab nach Norden. Die Übernachtung im Rifugio Antonio Devoto schien zunächst mit 40 Euro für ein Zimmer mit WC auf der Etage eher „von der teuren Sorte zu sein. Am Morgen beim Check-out stellte sich jedoch heraus, dass das Abendessen, der Wein, Caffè, Vecchia Romagna und Frühstück inklusive waren.

Spezialpreis für abgekämpfte Starrrahmenfahrer

Angekommen am Gardasee reihte sich Touristenkarre an Touristenkarre, Abzockerhotel an Abzockerhotel – es war kein gemütliches und bezahlbares Plätzchen in Sicht. Nach einem schnellen Bier und erfolgloser Zimmersuche wollte Marc schon Richtung Hügel abbiegen, als ein Ferrari neben ihm hielt und anerkennende Blicke und aufgestellte Daumen gewechselt wurden. Der Hengstfahrer stellte sich als Wirt eines Gasthofs am See heraus und machte Marc einen Spezialpreis für abgekämpfte Starrrahmenfahrer. Ein Angebot, das Marc gerne annahm.

3500 Kilometer mit Starrrahmen auf nicht immer perfekten Straßen – ein Heidenspaß!

Das letzte Wochenende nahte und Marc folgte dem Ruf Südtirols. Nach zwölf Tagen Sonnenschein, einem Poker Run in strömendem Regen und der Party des H-D-Clubs Südtirol war die Heimreise angesagt. Die Schweiz hieß Motorrad und Fahrer mit einem abwechslungsreichen Mix aus Regen und Schnee willkommen. Als Zugabe gab es zum Schluss noch eine Baustellenfahrt, die zum ultimativen Biker-Outfit verhalf: Patschnass, komplett zugesaut (Fahrer und Motorrad) – aber glücklich!!!

Infos
Strecke gesamt: 3500 km. Besonderheiten: Die ganze Strecke wurde auf Nebenstraßen bewältigt, daher fast verkehrsfrei und kurvig.

Motorrad
1930 Harley-Davidson VL-Modell mit gestroktem ULH-Motor von 1937 (1.380 ccm). Komplettaufbau inkl. Motor- und Getrieberevision von McSands Motor Shop