Vor fünf Jahren fragten wir Nicolas Pigeyere, ob er mit seiner Firma Esteves Motorcycle Design (EMD) am European Biker Build Off teilnehmen würde – seine Crew war sofort bereit und stellte diesen massiven Digger mit Harley-Davidson Twin Cam hin.

Uns kam diese Anfrage gerade recht“, erinnert sich Nicolas, „mein Team kam richtig in Wallung bei der Vorstellung, ein Bike an einem Wochenende zusammenzubauen.“ Trotzdem, so gesteht der Franzose später ein, gab er die Zusage, ohne groß darüber nachzudenken, auf was er sich eigentlich einließ. Auch hatte er am Anfang keine genaue Vorstellung davon, was er später in Bad Salzuflen bauen will. Und so passiert erstmal nicht viel.

Digger-Inspiration durch die Ness-Familie

Vier Wochen nach seiner Zusage fliegt Nico nach Kalifornien zur Born Free Show, auch in der Hoffnung, dort ein paar Ideen für sein BBO-Projekt aufzugreifen. Mit nach Hause bringt er am Ende wesentlich mehr als nur ein paar Anregungen. Als er nämlich so über die Born Free Show schlendert, begegnet er der Familie Ness, mit der er schon seit Jahren gute Kontakte pflegt.

Nein, das ist nichts für die Straße. Ist auch gar nicht dafür gedacht. Wäre ja auch illegal, so ganz ohne Profil am Hinterrad, gell!?

Immerhin ist EMD in den USA kein unbeschriebenes Blatt. Seit die Firma auch in den Staaten aktiv ist, greifen immer mehr namhafte Bikebuilder zu den Teilen aus Südfrankreich, um ihren Motoren damit einen einzigartigen Look zu verleihen. Auf jeden Fall zeigt die Ness-Familie Nicolas ausführlich ihre eigene Digger-Ausstellung, die im Rahmen der Born Free Show als Sonderevent läuft.

Außer dem Rahmen besitzt Nico noch nichts

Nur eine Handvoll Spezialisten baut in der Customszene Digger, es ist eine eher seltene Gattung im Bike-Building. Vielleicht gerade deshalb ist Nicolas fasziniert: „Das Konzept Digger hat eine schöne Historie, ist kreativ und ziemlich irre.“ Cory Ness, der damals gerade ein Bike für seinen Vater baute und dafür auch EMD-Teile verwenden wollte, schlägt einen Deal vor. Er bietet Nico einen Ness-Digger-Rahmen für Twin-Cam-Motoren im Tausch gegen die benötigten Teile an. Der Franzose erkennt die Win-win-Situation und schlägt sofort zu.

Zunächst hatte Nico null Ideen, in welche Richtung sein Bike für den European Biker Build Off gehen sollte. Bis er die Digger-Ausstellung der Ness-Familie besuchte …

Seine Teile an einer Maschine des „Godfather of Custom“ und obendrauf die Basis für sein BBO-Bike von der Firma, die den Digger-Style wohl am meisten geprägt hat. Es ist ein goldener Deal, der da in Silverado besiegelt wird. Auf seiner weiteren Reise durch Kalifornien trifft Nico außerdem auf Customizer und EMD-Kunde Jason Wilson, seines Zeichens Hauptdarsteller der Fernsehserie „Sacred Steel“. Als Nico von seinem Projekt erzählt, ist Jason direkt bereit, zur EMD-Crew zu gehören und Nico beim Live-Zusammenbau des Bikes in Bad Salzuflen zu unterstützen. Die Maschinerie ist damit so richtig angeworfen – allerdings, außer dem Rahmen besitzt Nico noch nichts.

Harley-Davidson Twin Cam mit 2 Litern Hubraum

Zurück in Frankreich aktiviert Nico seine Freunde und beruft ein Meeting ein, um das Projekt endgültig zu planen. Unter ihnen der Deutsche Max Hartmann, der bei EMD zuständig für die Sparte „Bolt-on“ ist. Max schlägt vor, seine Dyna als Motorenspender fürs Projekt zu opfern. Und Max’ Harley-Davidson Twin Cam V2 ist wahrlich nicht ganz normal, handelt es sich bei dem Aggregat doch um einen Torquemaster mit 2030 Kubik aus dem Hause G&R.

Wie abgedreht die französichen Jungs sind, erkennt man daran, dass sie dem ohnehin schon monströs starken 2-Liter-G&R-Motor auch noch einen Kompressor verordnet haben

Die G&R-Motoren sind wahre Monster, der von Max leistet 170 PS. Und um allem die Krone aufzusetzen, entscheidet das Team während des Meetings, dem Monster noch einen Kompressor zu verpassen. Für die Aufnahme eines Motors mit so viel Leistung war es immens wichtig, den zierlich ausgeführten Ness-Rahmen deutlich zu verstärken, eine extrem zeitintensive Aufgabe. Ein Bugspoiler muss geschweißt werden, unzählige Streben zur Versteifung des Fahrwerks werden montiert.

Der Rahmen für den Digger muss verstärkt werden

Die Felgen in vorn 18 und hinten 21 Zoll werden nach CAD-Zeichnungen in einem aufwendigen Design mit gedrehten Speichen produziert. Racemaster-Slick hinten und Leistungsdämpfer signalisieren, dass die Franzosen die Leistung ihres Motors auch wirklich auf die Straße bringen wollen. Diggertypisch sollte das Bike eigentlich eine Springergabel bekommen, was aufgrund der Leistung aber verworfen wurde. Die Narrow-Gabelbrücken werden hausintern gefertigt, die Bremsen kommen von PM. Immer deutlicher zeichnet sich ab: Ja, das wird ein Digger, aber mit klaren Dragster-Genen.

Den Rahmen staubte Nico Pigeyre in einem Tauschgeschäft von der Ness-Familie ab

Ein besonderes Gimmick ist der „Tank“. Der wird aus dem vollen Aluminium gefräst, ist aber an sich nur eine Abdeckung der kompletten Elektrik. Das eigentliche Spritgefäß sitzt dagegen unterm Sattel und ist aus zwei gefinnten EMD-Triumph-Primärdeckeln gefertigt.

Fürs Lackieren blieb keine Zeit – das Publikum lackiert den Digger

Bei der Wahl des Kompressors entscheiden sich die Franzosen für den Blower eines Volkswagens, angetrieben von einem Pulley, das aus dem Primärantrieb herausragt, und dem Belt, der steil nach oben zum Verdichter hin läuft – eine beinefressende Maschinerie. Schon allein um Verletzungen vorzubeugen, müssen die Fußrasten bei dieser Konstruktion zwingend nach hinten verlegt werden.

Die meinen das ernst: Sogar an die Notreißleine für die Zündunterbrechung haben die Jungs gedacht

Am Ende wird die Zeit trotz zahlloser Arbeitsstunden so knapp, dass für eine Lackierung – nur der Rahmen hatte bis dahin ein schwarzes Farbkleid bekommen – keine Luft mehr bleibt. So entsteht die Idee, die Besucher der CUSTOMBIKE-Show aufzufordern, das Bike als Malfläche zu nutzen. Jeder, der möchte, darf sich darauf verewigen.

Der Harley-Davidson Twin Cam springt sofort an

Und dann ist das Team endlich in Bad Salzuflen. „Um den BBO in den vorgegebenen 48 Stunden zu packen, brauchst du einen akribischen Plan und eine perfekte Vorarbeit“, erinnert sich Nicolas, „wenn du das nicht berücksichtigt hast, kannst du deine Werkstatt gleich in Lourdes aufmachen und einfach nur viel beten.“

Die Scripts und Zeichnungen brachten Freunde und Besucher während der Messe mit Buntstiften auf

Doch nach all der Plackerei und dem weiten Weg, den sie auf sich genommen hatten, gab es dann – zumindest bei der Abstimmung durch die Besucher – kein Happyend. Die Maschine sprang zwar an und blieb damit in der Wertung, doch den abstimmenden Besuchern war das Bike offenbar doch zu verrückt. Es konnte den BBO nicht gewinnen…

Info | estmd.com