Noch bevor diese Bauart bei uns populär wird, baut Chris Kaltenbach seine Version eines »New-Brat-Style«-Bikes. Und – ganz im Sinne des Brat-Gründers Go Takamine – schont er seine Harley-Davidson Panhead fortan nicht.
Bei »Uhl-Customs«, im Black-Forest-Chopper-Mekka Gutach, ist Tag der offenen Tür. Oldschool liegt in der Luft, bestimmt eine Szene, die wie aus einer David-Mann-Zeichnung wirkt. Traditionelle Langgabler stehen aufgereiht vor und hinter dem Schaufenster. Laut bollernd nähert sich eine schwarzgraue Panhead, die wirkt, als wäre sie aus einer ganz anderen, noch viel früheren Zeit getropft.
Mit ihrer auffällig-unauffälligen Bauart lockt die Panhead uns an
Vorsichtig wird sie von ihrem Fahrer zwischen den Choppern geparkt. Gerade in ihrer auffällig-unauffälligen Bauart lockt sie uns an. Der Fahrer, Chris Kaltenbach, tritt zur Seite, begrüßt Bekannte mit einem dezenten Lächeln und Bikerhandschlag; entspannt, mit schlichter Zurückhaltung, aber leuchtenden Augen. Er ist angekommen – bei Freunden!
Oft erleben wir völlig andere Situationen. Auf Messen gibt’s gar zuweilen aggressiv-kritisches Konkurrenzdenken. Und immer erreicht uns die Frage, nach dem Sinn des Customizings. Ja, wo rührt er her, der Ansporn dies oder jenes am Bike zu verändern. Ist es nichts anderes, als Kokettierbedürfnis und Gesehenes neu zu interpretieren, am eigenen Bike schöner, gar perfekt zu verwirklichen?
Selbst die Rocker fahren ja heute bequeme Bagger
Manche, wie der Honda-Tourenfahrer, sehen in unserer Leidenschaft absolut keinen Sinn: »Eigentlich sind Motorräder doch Fahrzeuge, mit denen Strecken zurückgelegt werden sollten, oder?« Gepäckbeplankt und gut gefedert treibt er seine African-Twin Jahr um Jahr an den Gardasee. Und hat er nicht recht? Selbst die Rocker fahren ja heute bequeme Bagger.
Wer Kilometer abspult, will sich das doch so problemlos wie möglich gestalten. Auf der anderen Seite hat sich die Customszene längst neu erfunden. Mit akkurat gestutzten Bärten, geöltem Haupthaar, Markenboots, -Jeanshosen und -Cut-Off-Jacken fahren die Youngster mit Starrrahmenbikes an die Schrauberfront. Viele der alten Hasen im Business belächeln oder verspotten gar unseren Nachwuchs.
Ausgedehnte Urlaubsfahrten mit Oldschoolern?
Die Titulierung »Hipster« wird abwertendes Prädikat und die Alten – die ewigen Selbermacher – entwickeln aggressive Gefühle. Vielleicht auch, weil die junge Szene aus den Ballungsräumen die Generation ihrer Väter völlig übergeht, sich lieber an den Ursprüngen der Szene orientiert. Die Optik von Bikern aus dem Amerika der späten sechziger Jahre zelebrieren sie jedenfalls mit Stolz. Auch ihre Bikes sind dem Stil dieser Zeit nachempfunden. Doch ausgedehnte Urlaubsfahrten mit ihren Oldschoolern? Selten steht sowas auf ihren Terminkalendern!
Chris Kaltenbach hingegen ist einer, der mit seiner Pan so richtig Kilometer abreißt. Er zählt mit seinen vierzig Jahren weder zu den alten Rockern noch zu den Youngstern. Beruflich zwar gelernter Zweiradmechaniker mit Meistertitel, arbeitet Chris jedoch seit neun Jahren als Industriemechaniker. Drehen und Fräsen sind also sein Tagesgeschäft und diese Fähigkeiten unterstützen auch seine Arbeiten am Bike.
Harley-Davidson Panhead – (Fast) Problemlos nach Griechenland und zurück
»Im Sommer 2009 hab ich diese Pan beim guten alten Uhl entdeckt und musste sie einfach haben«, so Chris, der sie mit Apehanger und hinten mit 15-Zoll-Autorad im Showroom vorfand. »2010 fuhr ich mit ihr zum ersten Mal auf große Tour, ohne großartig irgendwas gemacht zu haben. Griechenland war das Ziel. Etwa 3200 Kilometer ohne nennenswerte Probleme bin ich gefahren, bis auf dem Rückweg in Venedig die Kette gerissen ist.«
Der fette Reifen ist damals schnell als die Ursache einer schlechten Kettenflucht identifiziert. So kommt zu Hause die dicke Socke raus, um was großes Schmales einzubauen. Das breite Schutzblech, der hohe Ape, aber auch der Öltank und der weiche Sattel müssen in diesen Tagen daran glauben, werden ersetzt durch in Stahl gefasste eigene Spinnereien. »Da ich auch Mountainbike fahre und beruflich aus dieser Sparte komme, liegt es nahe, dass meine Pan jetzt bissel ausschaut wie’n Fahrrad.«
Harley-Davidson Panhead – Serienteile fallen der Flex zum Opfer
Ein modernerer Vergaser bringt Startsicherheit und eine Eigenbau-Grundplatte macht den klassischen Chopperluftfilter anbaufähig. Zwischen die Tankhälften – nur von oben sichtbar und zugänglich – setzt Chris klassische Fahrrad-Gangschalthebel, die jetzt zur Zündung- und Chokeverstellung dienen. »Das Bike lebt mit mir mit. Wenn ich Bock auf ’nen anderen Lenker oder Tüten hab, wird umgebaut. Serienteile fallen der Flex zum Opfer, werden durch Eigenteile ersetzt oder umfunktioniert.« So kommt auch mal eine Shotgun-Auspuffanlage dran, »weil’s einfach knackiger isch.«
Chris hat die Farbgebung schlicht gehalten. »Scheiß auf Metalflake und das ganze Chromzeug, das keiner braucht.« Ja, Chrom bringt einen nicht nach Hause, es sind Wartung und Zuwendung, Liebe zum Detail und Know-how in der Anfertigung. Im Jahresrhythmus werden – seit 2010, immer im Verbund mit ähnlich denkenden Freunden – die H-D-Superrallys angefahren, die immer in einem anderen Land stattfinden. Inzwischen ist dabei eine multinationale Gruppe erwachsen, die in ganz Europa Anlaufstellen hat und sich, falls notwendig, gegenseitig Hilfe leistet.
Harley-Davidson Panhead – Noch nie was Wildes kaputt gegangen
Chris hat mittlerweile über 33000 Kilometer mehr auf dem Zähler seiner Pan, hat nicht einmal seinen Belt gewechselt, »aber schon mal Kerzen, den Kondensator oder Unterbrecher, aber nie was Wildes.« Im Winter vor vier Jahren sind die Zylinderfußdichtungen fällig. Bei dieser Gelegenheit tauscht Chris die stählernen Zylinderkopfblechdeckel gegen solche aus Alublech aus.
»Das bringt hörbar eine Verringerung der Geräusche aus dem oberen Motorbereich.« Insiderveranstaltungen wie Starrrahmentreffen, HRW, Custom & Classic Fest oder die Valley of Hell, werden genauso angefahren wie eine Rhine Valley Rally, die Grardmer MotorDays oder die Art & Wheels in Basel, wo die Pan 2016 sogar einen Pokal abstaubt. Autobahnen sind eigentlich nicht das bevorzugte Metier der Harley, aber durchaus sinnvoll, wenn mal Strecke gemacht werden soll. Ansonsten sind Nebenstraßen, Pässe, Kurven und Landschaft gefragt. Und immer wieder sind es Fähren, Fähren, Fähren, die das Fahren entschleunigen, zum Relaxen genutzt werden und Gespräche mit den Freunden zulassen, »is ja schließlich Freizeit.«