Was hier so grau scheint, war mal glänzendes Chrom. Diese Panhead erzählt die Geschichte der schwarzen Biker in den USA.

Der Mechaniker holt tief Luft. Gerade führen die Inhaber von Prism Supply an der amerikanischen Ostküste ihren Gast Mark durch die Werkstatt. Und als der Mechaniker seinen Job beschreiben soll, setzt er zu einem langatmigen Erklärungsversuch an. Er würde die Teile für den „Quick Start“ fertigen, das seien die von Hand zu betätigenden Einrückhebel für den Anlasser … Mark winkt ab und meint nur: „We are Harley-Men!“

Mit technischen Gadgets überladene Panhead

Kling cool und lässig und irgendwie auch selbstverständlich. Aber Mark ist ein schwarzer Amerikaner. Und so cool und lässig hätte ein Schwarzer das in einer Harley-Werkstatt vor einem halben Jahrhundert kaum aussprechen dürfen. Harley und überhaupt die amerikanische Bikerszene war eine Domäne der Weißen. Es war nicht denkbar, dass ein Schwarzer in den Fünfziger oder Sechziger Jahren sich dort hineinverirrt hätte. Und hätte er sich doch hineinverirrt, so hätte der weiße Harley-Dealer ihm ziemlich sicher keine Harley verkauft.

In den Fifties dürfte das eine ziemlich glänzende Maschine gewesen sein. Wir haben sie mit Absicht in ihrem heutigen Zustand belassen

Das Motorrad, um das sie alle stehen, die Weißen Jake, Zach und Matt von Prism Supply und die Schwarzen Mark und sein Cousin Earl, zeugt von einer Szene, die es sehr wohl gab: Eine schwarze Biker-Szene in den Fünfziger und Sechziger Jahren der USA, allesamt auf Harleys und die meistens auch noch „heavy customized“. Anders kann man diese mit zahllosen technischen Gadgets überladene Panhead nicht definieren. Sie fuhr in den Fifties unter dem Namen „Dreamboat“.

Seine Leidenschaft waren Motorräder, und diese waren Harleys

Ihr Besitzer hieß Allan Tyree Smith, genannt „Tye“. Er war ein Schwarzer, und er war der Vater von Mark, der diese Panhead zu Prism brachte, um sie dort wieder zum Laufen bringen zu lassen. Mark erzählt von seinem Vater Tye, der in Nashville geboren wurde, aber nach Indianapolis gezogen war, um dort als Automechaniker zu arbeiten. Seine Leidenschaft aber waren Motorräder, er teilte sie mit seinen Brüdern, und diese Motorräder waren Harleys.

Cliff Vaughs war ein schwarzer Customizer. In seiner Werkstatt entstand „Captain America“ für den Film „Easy Rider“

Natürlich war es nicht denkbar, erklärt Mark, dass ein Schwarzer in der Mitte des letzten Jahrhunderts mal eben in die Räume eines Harley-Dealers hineinspaziert wäre, um dort einen Big Twin zu kaufen. Sein Vater Tye aber war ein umgänglicher Charakter, der die Sympathien eines jeden zu gewinnen vermochte. So bahnte er eine Freundschaft mit dem Besitzer von Southside Harley-Davidson an, und der verkaufte Tye tatsächlich eine brandneue Panhead, und das im Jahr 1952.

Die einzige komplett verchromte Harley in der ganzen Region

Kaum zwei Wochen im Besitz dieser Panhead, legte der Mechaniker Tye Hand an. Er nahm das Bike auseinander und ließ alle Teile verchromen. Sie wurde die einzige komplett verchromte Harley in der ganzen Region. Schnell taufte Tye sie „Dreamboat“ und hörte nicht auf, an ihr zu schrauben.

Ein Heck mit Reserverad fanden die Amis damals schick – auch wenn es in diesem Fall überhaupt nicht auf die Dreamboat passt. Sie nannten das „Continental-Kit“

Immer neue Ideen setzte er an der chromglänzenden Panhead um, verpasste ihr einen Sattel mit seinem Namenschriftzug in der Reling, eine Flammzündung am Auspuff für nächtliche Showeffekte, und an das Heck schraubte er ein so genanntes „Continental-Kit“. Das war damals für Autos angesagt, es galt als besonders schick und suggerierte weiteren Kofferraum und vor allem eine Aussparung für ein Reserverad.

The Mohawk Delegation, ein schwarzer Club

Der Indianerkopf auf dem Frontfender war nicht zu verwechseln mit dem Kopf des Motorradherstellers Indian. Er war vielmehr das Erkennungszeichen des Motorrad-Clubs „The Mohawk Delegation“, den Tye mit seinen schwarzen Brüdern, seinen leiblichen und denen seines Clubs, ins Leben rief.

Nein, der Indianerkopf ist nicht der von Indian. Hier handelt es sich um die Wappenfigur der Mohawk Delegation

Die Zeiten waren ziemlich spannungsgeladen. Die schwarzen Biker der Mohawk Delegation erregten eine Menge Aufsehen, wenn sie zu Dutzenden geschlossen durch die Straßen donnerten. Auf Touren kam es immer noch vor, dass sie als Schwarze an den Tankstellen nicht bedient wurden. Vielleicht aber, so erklärt Mark, haben auch die zahllosen Ausfahrten der Mohawk Delegation dazu beigetragen, das Bild von schwarzen Bikern auf Harleys zu einem normalen Anblick werden zu lassen.

Erfolgreichen Restauration einer 1952er Panhead

In den Siebziger Jahren besserten die Zeiten sich allmählich. Da aber war Tye zu alt für längere Fahrten. Er führte die „Dreamboat“ trotzdem noch aus, auf dem Hänger, denn die Leute auf den Treffen der schwarzen Biker wollten die Dreamboat sehen. Die Community kreiste um dieses aufsehenerregende Gefährt.

Tye mit seiner Dreamboat auf einem der zahlreichen schwarzen Bikertreffen

Tye starb im Jahr 1980. Sein Sohn Mark stellte die Dreamboat im Haus seiner Mutter unter und deckte sie mit einer Plane ab. Als die Mutter im Jahr 2020 starb, musste Mark sich Gedanken darüber machen, welches das nächste Kapitel der Dreamboat werden würde. Nachdem er von der erfolgreichen Restauration einer anderen 1952er Panhead in den Hallen von Prism Supply in Charlotte hörte, lieferte er die Dreamboat dort zur Restauration ab.

Eine totgeschwiegene Szene

Jake, Zach und Matt von Prism konnten anfänglich nur ahnen, welche Story hinter diesem staubigen und rostigen Motorrad steckte. Die Dreamboat erzählt von einer Szene, die viele Jahrzehnte totgeschwiegen wurde, und das nur, weil ihre Biker eine schwarze Hautfarbe hatten. Selbst die Tatsache, dass es schwarze Customizer waren, die die Chopper „Captain America“ und „Billy Bike“ für den Film „Easy Rider“ bauten, war lange unterschlagen worden. Deshalb hier nochmal für alle: Der Customizer Cliff Vaughs ist der technische Vater von Captain America, er war ein Schwarzer.

Die Tröten werden von einer handbedienten Kolbenpumpe an der rechten Gabelseite mit Druckluft versorgt

Heute sind schwarze Harley-Fahrer natürlich keine Exoten mehr. Harley-Davidson umwirbt sie systematisch, denn sie bilden eine Zielgruppe, von der viele es in den letzten Jahrzehnten auch zu Wohlstand brachten und die sich seitdem teure Harleys leisten können. Keine offizielle Pressemappe der Company kommt inzwischen ohne Abbildungen von schwarzen Bikern aus. Das Bike Dreamboat zeugt von Zeiten, in denen das mal anders war.

Im Gespräch mit Jake Hindes

DM: Wie lange seid ihr im Harley-Business unterwegs?
Jake: Prism Supply ist seit 2012 in der Branche.

Verkauft ihr auch weltweit, zum Beispiel nach Deutschland?
Ja, Prism Supply verkauft weltweit!

„Wir haben das Bike nur zum Laufen gebracht“

Wie fand das Bike den Weg zu euch?
Das war Mark, Tyes Sohn, der den Weg zu uns gefunden hat. Er hatte von einer 1952er Panhead gehört, die wir restauriert hatten, das war die „Bronze Bonco“.

Habt ihr ihm das Bike abgekauft oder nur restauriert?
Wir haben das Bike nur zum Laufen gebracht, wir sind nicht sein Besitzer.

Wer kam auf den Gedanken, dass dieses Bike eine gute Story abgeben würde?
Das haben wir zusammen mit Mark entschieden. Wir wollten einfach die Geschichte seines Vaters erzählen.

Jake Hindes von Prism Supply

In eurem Film sieht es so einfach aus, wie ihr das Bike zum Laufen gebracht habt. War das wirklich so?
Das Bike stand 40 Jahre, ohne jemals bewegt zu werden. Es hätte auch anders ausgehen können. Wir haben wirklich Gück gehabt: Bisschen was festschrauben, neue Zündkerzen, Öl und Benzin einfüllen, dann noch ein Schuss Starterspray – und dann sprang sie wirklich an!

In Deutschland wär es nicht so einfach, für solch ein Bike wieder eine Zulassung zu bekommen, vor allem, wenn es so umgebaut ist. Wie sah das bei euch aus?
In North Carolina ist es nicht schwer, so ein Bike zugelassen zu bekommen. Wenn du ordentliche Papiere hast, ist das kein Problem.

„Wir haben sie mit Absicht in ihrem heutigen Zustand belassen“

Heute sieht das Bike grau und staubig aus. Es soll ja mal besser ausgesehen haben …
Yeah, in den Fifties dürfte es eine ziemlich glänzende Maschine gewesen sein. Aber jetzt hat sie eine glaubwürdige Patina, und wir haben sie mit Absicht in ihrem heutigen Zustand belassen.

Dürfte das eines der ersten gepimpten Motorräder gewesen sein. In Deutschland halten wir das für den typischen Stil der schwarzen Biker.
Nein. In den Fünfzigern und Sechzigern haben eine Menge Leute jeder Hautfarbe ihre Bikes so aufgebretzelt.

Die Mohawk Delegation, einer der schwarzen Bikerclubs in den Fifties und Sixties

Was ist die technisch interessanteste Modifikation? Die Luftpumpen-Hupe?
Wir mögen die Flammzündung im Auspuff. Das ist vielleicht auch die technisch interessanteste Modifikation.

Wie funktioniert die?
Wir wissen nicht, wie Tye das damals gemacht hat. Wir haben das mit einer Zündkerze und Propangas hingekriegt.

Habt ihr heute schwarze Biker als Kunden, arbeiten Schwarze in eurer Werkstatt?
Wir zählen keine Prozente. Es gibt eine Menge Leute jeder Hautfarbe, die die Leidenschaft für alte Harleys teilen.

Info | prismsupply.com