Seit kurzem sind die neuen Harley-Davidson Grand American Touring Modelle am Start. Angesichts von Neupreisen jenseits der 30.000 Euro ist eine junge Gebrauchtmachine mit Milwaukee-Eight eine günstige Alternative …

Seit 2017 kommt in Harleys Touring-Modellen der Milwaukee-Eight-V2 zum Einsatz – ein in jedweder Hinsicht überzeugender Motor und klar besser als der Vorgänger Twin Cam. Absolut Zuverlässig sind die 107er- und 114er-Aggregate obendrein. Die Gebrauchtpreise für die Dickschiffe starten bei etwa 17.500 Euro, was angesichts der Neupreise der gerade vorgestellten 117er Street- und Road Glide von gut 32.000 Euro bald 50 Prozent Ersparnis bedeutet. Also schauen wir mal, ob die „alten“ 114er Tourer noch auf der Höhe der Zeit sind – und welche die beste Wahl ist.

Grand American Touring – Harleys Schwergewichtsklasse

Ultra Limited und Road Glide Limited bilden mit 416 Kilogramm (Ultra Limited) und 423 Kilogramm (Road Glide Limited) die Fraktion der Super-Schwergewichte im Harley-Portfolio. Zum Vergleich: Eine Road King Special, beileibe kein leichtes Möppchen, wiegt „nur“ 366 Kilo, also einen vollen Zentner weniger als die Ultra Limited und ist sagenhafte 57 Kilo leichter als die Road Glide Limited. Das sind Welten. Dieses Mehrgewicht lässt sich nicht nur durch die Anwesenheit der Verkleidung und des Topcases und deren Halterungen erklären. Es ist vor allem die überbordende elektronische Ausstattung, die das Gewicht pusht.

Wer das Essentielle am Motorradfahren liebt, nämlich Kurvensurfen, ist mit der Ultra Limited besser bedient

Für Information sowie Unterhaltung sorgen bei den beiden Limiteds das Boom! Box GTS Infotainmentsystem mit 6,5-Zoll-Farbtouchscreen, Bluetooth-Konnektivität, Spracherkennung, Navigationssystem, Intercom, hochwertigem Audioteil mit 25 Watt pro Kanal, Front- und Hecklautsprechern sowie Bedien-Joysticks an den Lenkerarmaturen. Zudem sind die Beiden mit dem Reflex Defensive Rider Systems (RDRS) ausgestattet. Dabei handelt es sich um ein Paket aus Assistenzsystemen, die den Fahrer sowohl bei Geradeaus- als auch bei Kurvenfahrt unterstützen.

Seit Modelljahr 2020 stehen die Dickschiffe auf 18-Zöllern

Neben den bereits zuvor vorhandenen Systemen – ABS und elektronische Bremskraftverteilung – umfasst das neue Assistenzpaket ein Kurven-Antiblockiersystem, eine kurvenoptimierte elektronische Bremskraftverteilung, eine Traktionskontrolle, eine Kurven-Traktionskontrolle, eine Antriebsschlupfregelung und einen Fahrzeughalteassistenten. Außerdem ist ein Reifenluftdruckkontrollsystem an Bord. Hört sich nach starkem Tobak an, ist es auch, bloß, beim Fahren merkt man von den meisten dieser Systeme so gut wie gar nichts.

Richtige Kofferräume: In die riesigen Topcases passen je zwei Vollintegralhelme

Als sehr angenehm und hilfreich erwies sich der Fahrzeughalteassistent. Das ist eine Funktion, die man mit einem kurzen Ziehen am Handbremshebel oder mit einem kurzen Tritt auf die Fußbremse aktivieren kann. An Steilstücken oder beim Anfahren bergauf sind die Bremsen dann so lange geschlossen, bis der Fahrer die Kupplung betätigt und Gas gibt. Besaßen die 2019er Modelle vorne ein 17-Zoll- und hinten ein 16-Zoll-Rad, so stehen beide Limiteds seit Modelljahr 2020 vorne und hinten auf 18-Zöllern. Die Reifenbreiten sind mit 130 Millimetern am Vorderrad und 180 Millimetern am Hinterrad erfreulich moderat, entsprechend behände lassen sich die beiden Superdampfer fahren, sobald sie mal im Rollen sind.

Die Bremsen der Grand American Touring Bikes sind top!

Über die Bremsen braucht man eigentlich kein Wort mehr zu verlieren. Seit Harley-Davidson seine famos funktionierende Bremsanlage mit elektronisch gesteuerter Bremskraftverteilung verbaut, sind die Stopper über jeden Zweifel erhaben. Was die Federwege angeht, so könnten diese von der Papierform her ruhig etwas üppiger ausfallen, vor allem hinten. In der Praxis allerdings schlagen sich die Dickschiffe aufgrund ihres Gewichts auch auf üblen Straßenbelägen recht ordentlich.

Das Instrumenten-Panel der Ultra Limited erinnert schon fast an das eines Autos

Aber was macht denn nun den Unterschied beim Fahren aus? Klare Antwort: Die voluminösen Verkleidungen an der Front! Die Batwing-Verkleidung an der Ultra Limited ist lenkerfest montiert, bewegt sich bei Lenkeinschlägen also mit, die Sharknose-Verkleidung der Road Glide ist rahmenfest montiert, sie ist also starr verschraubt und guckt immer geradeaus, egal wie der Lenker steht.

Untermotorisiert sind die „alten“ Milwaukee-Eights nicht

Blöd für die Road Glide Limited ist, dass es diese Sharknose-Verkleidung ist, die für das Mehrgewicht von sieben Kilogramm gegenüber der Ultra Limited verantwortlich ist. Und als wäre das nicht schon Handicap genug, lümmelt sich dieses Mehrgewicht auch noch weit vor und oberhalb des Lenkkopfs herum. Was zur Folge hat, dass der Fahrer diesen schwerfälligen Verkleidungsklotz bei jedem Einlenken aktiv in die Kurve reindrücken muss, beim Heraushebeln aus der Kurve das gleiche Spiel, bloß andersherum.

Die schwerere rahmenfeste Sharknose-Verkleidung spürt man bei jedem Einlenken

Dagegen benimmt sich die eng an der Gabel verbaute Batwing-Verkleidung bei den gleichen Fahrmanövern so neutral wie die Schweiz, sie zeigt sich um Längen agiler, geriert sich im Gegensatz zur Schwester Road Glide regelrecht kurvenhungrig. Im Vergleich zu den 2024er Tourern muss man als Gebrauchtkäufer auf etwas Hubraum (55 ccm), Leistung (19 PS) und Drehmoment (11 Newtonmeter) verzichten. Untermotorisiert sind die „alten“ Milwaukee-Eights aber dennoch nicht. Gegen die neuen Digitalinstrumente sehen die Analoguhren allerdings wirklich alt aus – auch wenn sie in Sachen Ablesbarkeit keine Wünsche offen lossen. Geschmackssache …

Klare Empfehlung für die Tourer aus zweiter Hand

FAZIT: Mit Ausnahme der Verkleidungen sind die beiden Touring-Modelle technisch komplett identisch. Und doch bieten sie ein völlig verschiedenes Fahrverhalten. Für Geradeaus-Bolzer mag die Road Glide mit ihrer rahmenfest verschraubten Schrankwand auf der Autobahn einen gewissen Vorteil bieten, weil die starre Verkleidung keine Windeinflüsse in die Lenkung überträgt. Wer das Essentielle am Motorradfahren liebt, nämlich Kurvensurfen, ist mit der Ultra Limited und ihrer Batwing-Fairing deutlich besser bedient. Angesichts der enormen Preisersparnis bei gebrauchten M8-Tourern sind Ultra Limited, Street- und Road Glide aus zweiter Hand also eine klare Empfehlung. Wer auf das Mehr an Leistung und die aktuelleren Connectivity-Möglichkeiten verzichten kann, kann quasi nichts falsch machen.