Früher war längst nicht alles besser. Bestes Beispiel dafür ist die Harley-Davidson Road King. Dieser Evergreen ist besser denn je.

Es unterliegt nicht etwa einer Art Zwangsläufigkeit, dass neuere Motorräder automatisch besser werden als ihre unmittelbaren Vorgänger. In besonderem Maße trifft diese Aussage auf den Hersteller Harley-Davidson zu. Die Herrschaften in Milwaukee haben immer wieder mal bewiesen, dass es ihnen bei einer Entwicklung längst nicht immer um technischen Nutzen geht, sondern vor allem um die Show. Denken wir nur an die V-Rods zurück. Anfangs auf vernünftigen 180er Hinterrädern stehend, wurde ihnen zum Modelljahr 2007 eine 240er Gummiwalze ins Heck gepresst. Das sah zwar bombig aus, fuhr sich aber eher bescheiden.

Wer zur Hölle braucht einen 160er Vorderradreifen?

Noch viel schlimmer erging es der ikonischen Fat Boy. Drei Jahrzehnte lang gehörte die Fat Boy zu den gut fahrbaren Softails, sieht man mal von der überschaubaren Schräglagenfreiheit ab. Sie erlangte gar Weltruhm durch Arnie Schwarzeneggers Terminator-Movie. Doch dann, mit der Einführung der neuen Softail-Generation mit Milwaukee-Eight-Motor, wurde sie aufgeblasen wie ein Schlauchbootlippen-Püppi auf Speed und war raus aus der Agilitätsnummer; und zwar so was von raus!

Seit Modelljahr 2020 steht die Road King serienmäßig auf 18-Zöllern. Die größten Räder ihrer Geschichte sorgen für souveränen Geradeauslauf

Da stellt sich die Frage: Wer zur Hölle braucht einen 160er Vorderradreifen im 18-Zoll-Format, und den auch noch kombiniert mit einem 240er Schlappen hinten? Na ja: Hauptsache Show. Fahrbarkeit ist nicht so wichtig, könnte man angesichts solchen Unfugs meinen. Dass es auch anders geht, beweist die stetig ins Positive gerichtete Entwicklung der Road King. Die hatte 1993 ihr Debüt und stand damals vorn und hinten auf 16-Zoll-Reifen. Dabei blieb es geschlagene 16 Jahre lang, erst zum Modelljahr 2009 entschied sich Harley am Vorderrad für einen 17-Zöller; hinten bleib es bei einem 16-Zöller. Diese Räderkombination hatte weitere elf Jahre Bestand, bis zum Modelljahr 2019.

Eine der am besten fahrenden Harleys überhaupt

Seit Modelljahr 2020 steht die Road King serienmäßig mit 18 Zoll vorn und hinten auf den größten Rädern, die sie jemals hatte. Wohlgemerkt: Mit der Reifenbreite hat das überhaupt nichts zu tun, die Rede ist hier von der Bauhöhe der Rad-/Reifenkombination. Und damit sind wir auch schon beim größten Unterschied zwischen der 2019er Road King und dem 2020er Nachfolgemodell. Gabelwinkel, Lenkkopfwinkel, Nachlaufwert – alles gleich. Selbst die Federwege vorn und hinten sind bis auf den Millimeter identisch.

Tolles Kurvenverhalten, souveräner Geradeauslauf: der Straßenkönig macht auch 2020 seinem Namen alle Ehre

Das neuere Modell ist laut Datenblatt vier Kilo leichter, was möglicherweise durch die neuen, recht filigran geratenen Gussräder erklärt werden kann. Und die verrichten einen tadellosen Job. Aufs Handling üben die größeren Raddurchmesser keinen spürbaren Effekt aus, die Road King gehört nach wie vor zu den am besten fahrenden Harleys überhaupt. Einlenken in Kurven, null Problemo. Aufrichten nach der Kurve, trotz 375 Kilo Lebendgewicht eine vergleichweise leichte Übung.

Harley-Davidson Road King mit 18-Zöllern

Und doch gibt es eine positive Veränderung gegenüber dem Vorgänger-Modell mit vorn 17 und hinten 16 Zoll: Der aktuelle Straßenkönig fährt souveräner geradeaus. Das hängt mit den Kreiselkräften zusammen, denn ein 18-Zoll-Rad produziert naturgemäß größere Kreiselkräfte als ein kleineres Rad. Und es sind die Kreiselkräfte, die ein Motorrad bei schneller Geradeausfahrt stabilisieren.

Der 107-Kubikincher wirft 150 Newtonmeter bei 90 PS in die Waagschale. Durch seinen geringeren Hub ist er drehfreudiger als der 114er-Motor

Zu den Bremsen braucht man wenig zu sagen. Die Road King gehört schließlich zur Touring-Familie von Harley-Davidson, und seit die Tourer mit der hervorragend funktionierenden elektronischen Bremskraftverteilung ausgestattet sind, ist bremsen mit dem Fußbremshebel eine Wonne. Den Handbremshebel braucht man nur noch in der einen oder anderen Situation zur Unterstützung.

Harley-Davidson Road King Classic

Die Company hat technisch mit Kurven-ABS, kurvenoptimierter Bremskraftverteilung, Traktionskontrolle, Kurven-Traktionskontrolle und Antriebsschlupfregelung inzwischen sogar weit mehr anzubieten. Diese Assistenzsysteme sind in der hier getesteten Standard-Road-King allerdings nicht an Bord. Und ob man all diese Elektronik-Gimmicks wirklich braucht, steht ohnehin auf einem anderen Blatt.

Besonders gefallen an diesem Exemplar hat uns der Speziallack, der durch ein ausgefeiltes Lackierverfahren je nach Lichteinfall den Anschein einer Zweifarbenlackierung erzeugt

Motorenseitig musste man sich bei der 2020er Road King zwar noch mit dem 107-Kubikincher begnügen, der reicht aber vollkommen aus. Leistungsmäßig sowieso, denn er hat mit 90 PS nur drei Pferdchen weniger als wie sein größerer Bruder Milwaukee-Eight 114 anzubieten. Das Drehmoment fällt mit 150 Newtonmeter um 13 Newtonmeter geringer aus als bei dem hubraumstärkeren Motor, ist aber immer noch ein Mordspfund, nach dem sich andere Hersteller die Finger lecken würden.    

Fazit

Die Road King ist im Vergleich zu früher kein neues Motorrad geworden, aber es fährt durch die größeren Räder nochmals ein Quäntchen besser als das Vorgängermodell. Nachteile durch die 18-Zöller erschlossen sich uns nicht, das Gegenteil ist der Fall. Wer einen satt liegenden Harley-Tourer fahren möchte und auf das Fairing-Gedöns der schwereren Touring-Geschwister verzichten kann, ist mit der bilderbuchschönen Road King bestens bedient. Sie ist unser Favorit innerhalb der Dickschiff-Familie. Im Modelljahr 2023 nur noch als „Special“ mit schwarzem 114er Milwaukee-Eight ab 28.995 Euro zu haben. Road King rules!

Info | harley-davidson.com