4300 Kilometer mit der Harley quer durch die USA, von der Ost- an die Westküste … wer träumt nicht davon? Uli Uphoff hat es durchgezogen
Es wird Zeit. Zeit, mal wieder auf die Straße zu kommen. Auf die langen Straßen, die einsamen, auf die Straßen, von denen man eigentlich nie genug bekommen kann. Vor vier Jahren hatte ich schon einmal USA-Luft geschnuppert: Eine Tour durch Kalifornien, durch die dortigen Wüsten, durch Nevada und natürlich an der Küste entlang, den wunderbaren Highway No.1 hinunter. Solche Erlebnisse bleiben haften und verankern eine Sehnsucht, die einen immer mal wieder Pläne schmieden lässt.
Einmal quer durch die USA
Und nach ein paar sentimentalen Road-Movie-Filmabenden daheim wurde mir dann immer klarer, welche Strecke als nächste anstand: Quer durch die USA soll es gehen. Ganz einfach, von der Ost- zur Westküste. 2700 Meilen von Florida nach Kalifornien. Mal nicht nur die typischen USA-Touri-Orte besuchen, sondern durch das weite Land fahren. Die Idee hat was. Zwei weitere Begeisterte sind schnell gefunden. Wir sind zu dritt, drei alte Freunde, drei Männer in den wilden Jahren. Das Motorradfahrer-Gen hat jeder im Herzen.
Dann ist er da, der 29. März. Die Nacht vor dem Flug in die USA verläuft unruhig. Ich bin aufgedreht und aufgeregt. So eine Tour macht man nicht jeden Tag. Während die Reise in den letzten Wochen weit weg erschien, beginne ich nun zu realisieren, dass der Flieger bald starten wird. Und dann geht es los. Anreise zum Flughafen, Check-in, Riesenschlange. Der erste Eindruck: Es geht nicht voran. Sicherheitscheck, Nummer eins: Was wollen Sie in den USA? Haben Sie Ihr Gepäck selbst gepackt?
Ab zur Gepäckkontrolle
Irgendwann ist dann der große Packsack aufgegeben und es geht weiter zur nächsten Kontrolle. „Sie haben Werkzeug in Ihrer Umhängetasche“, sagt der Beamte. Klar, ich mache ja eine Motorradtour. Das ist wohl nicht üblich und bedeutet, dass meine Tasche nun penibel untersucht wird. Mittlerweile ist es kurz vor Boarding-Time. Ich erreiche meine beiden Freunde am Gate. Wir fliegen nach Philadelphia, Einreise, Zoll, erneute Sicherheitskontrollen, die Zeit vergeht schnell. Danach noch ein kurzer Inlandsflug und wir erreichen Orlando spät am Abend. Unser Hotel ist vorgebucht. Wir fallen müde ins Bett.
Tag 2 unserer USA-Reise weckt uns mit einer Überraschung nach dem langen Winter in Deutschland: Die Sonne scheint vom strahlend blauen Himmel, es ist jetzt schon über 20° C warm. Pünktlich zur vereinbarten Zeit kommt der Bus unseres Motorradvermieters und holt uns ab zur Station. Nur noch Unterschriften, eine kurze Einweisung und dann geht es zu den bereitstehenden Maschinen. Zwei Road Kings und eine Softail Heritage stehen bereit. Das Bepacken der Maschinen gestaltet sich einfach, unsere Packsäcke passen gut auf die dicken Gepäckträger. Meine beiden Freunde sind vorher noch nie Harley gefahren, deswegen gibt es vorab ein paar Proberunden. Dann endlich – get your motor running – geht es los.
Raus aus dem Gewühl
Langsam rollen wir auf die große Hauptstraße und tasten uns aus dem Gewühl von Orlando hinaus. Ampel folgt hinter Ampel, stoppen, fahren, viel Verkehr. Nach kurzer Fahrt der erste Schock: Die Heritage geht im Stand immer wieder aus. Wir fahren rechts ran. Seltsam. Ausschalten, abkühlen lassen und dann ein Neustart der Maschine und schon ist alles wieder in Ordnung. Etwas besorgt beschließen wir weiterzufahren. Nachdem wir das Zentrum von Orlando verlassen haben, wird es immer grüner. Die typischen Bäume der Südstaaten mit ihrem hängenden Flaum tauchen auf. Wir machen Mittagspause und fahren weiter.
Es wird immer einsamer. Lange Straßen, 80 Meilen ohne wirkliche Abwechslung, wir genießen den warmen sommerlichen Wind. Links und rechts sieht man sumpfähnliche Gewässer am Straßenrand. Wie immer genial, diese Nähe zur Natur; das gibt es in dieser Konzentration nur, wenn man auf dem Motorrad durch die Welt reist. Plötzlich wird es dunkel, der Abend naht. Wir sind an diesem ersten Tag 272 Meilen gefahren, doch unser Etappenziel, den Ort Carrabelle, haben wir trotzdem nicht erreicht. Wir suchen ein Hotel und zweifeln, ob wir überhaupt in 14 Tagen die ganze Strecke quer durch die USA schaffen werden.
Richtung Küste
Nach einer angenehmen Nacht sind wir um kurz nach acht beim Frühstück. Draußen ist es stark bewölkt. Die Temperatur ist mit 20° C trotzdem angenehm. Wir packen und es geht los in Richtung Küste. Nachsitzen ist angesagt, wir haben ja noch ein wenig Strecke vom Vortag aufzuholen. Anderthalb Stunden später sind wir in Carabelle. Der Ort ist ruhig und verlassen. Es war wirklich gut, dass wir schon vorher ein Motel gesucht haben, die beiden eher unscheinbaren Hotels scheinen geschlossen und hätten uns wohl keine Bleibe gegeben.
Nun fahren wir an der Küste entlang. Links und rechts ist die Straße von Palmen gesäumt – traumhaft. Und als wir das erste Mal den Golf von Mexico vor uns sehen, kommt sogar die Sonne raus. Die Straße folgt eng der Küste, taucht ab und zu ein in grüne Dschungel aus engstehenden Bäumen und manchmal werden wir auf dem Festland vorgelagerte Landzungen geleitet. Der Geruch der warmen Luft ist unbeschreiblich. Satte Gras- und Pinienaromen lassen uns euphorisch werden.
Den Zeitfaktor unterschätzt
Eine extrem lange Brücke bringt uns schließlich weg von der Küstenstraße auf eine Halbinsel. Bei einem leckeren Mittagessen entscheiden wir uns, nicht den langweiligen Weg im Landesinneren nach Mobile zu nehmen, sondern auf den vor der Küste liegenden Halbinseln weiterzufahren. Die letzten Inseln werden bei Fort Morgan mit einer Fähre überbrückt. Wir unterschätzen mal wieder den Zeitfaktor. Der Weg zur Fähre zieht sich, aber die Landschaft und die Straßen sind einfach genial. Es gibt sogar Kurven, die wir zügig fahren, trotz der warnenden Speed-Limit-Schilder. Kurz vor Dunkelheit erreichen wir die Fähre. Es scheint die letzte für heute zu sein. Die kleine dauernde Schiffsreise rundet den Tag ab. Am Ufer angelangt heißt es nun ein Motel suchen. Mein Mitfahrer stellt plötzlich fest, dass an seiner Road King die Engine-Warnlampe leuchtet. Ich denke sofort an den Generator, aber wir fahren erst einmal weiter.
Eine unbeschilderte Gabelung: Links? Rechts? Wir halten ein Auto an und fragen nach der Richtung nach Mobile. Rechts halten sollen wir uns, was aber nicht so toll ist, denn dort zieht gerade ein mächtiges Gewitter auf. Wir fahren tapfer weiter, kommen auf eine Interstate und dann geht es los: Starkregen, Donner, gigantische Blitze. Sicht null. Wir schleichen dahin, werden immer langsamer, werden permanent überholt. Ein letzter vorsichtiger Spurwechsel, um die Interstate zu verlassen. Immer noch Sicht null, selbst den Fahrbahnbelag kann man nur noch erahnen.
Viele Fragen
Wir landen in einem Gewerbegebiet, warten ab, bis es nur noch tröpfelt. Es ist sehr spät, als wir uns wieder auf die Straße wagen, um ein Motel zu finden. Fünf Meilen voraus kommt eine große Ansiedlung, wo wir uns eine Unterkunft aussuchen können. Wir besorgen uns noch Bier und kommen zum Kriegsrat zusammen. Wie geht es weiter? Wie wird das Wetter? Was bedeutet die Warnlampe an der Road King? Werden wir in eine Werkstatt müssen? Mit den Gedanken an die vielen Meilen, die noch vor uns liegen, schlafe ich unruhig ein.
Während der Nacht wache ich auf, mir geht die Warnlampe der Road King nicht mehr aus dem Sinn. Wenn eine Warnung kommt, dann muss ja auch ein Fehler im Fehlerspeicher eingetragen worden sein. Ich erinnere mich schwach daran, dass man die Fehler über das Display im Tacho anzeigen lassen kann. Also per Handy im Harley-Forum suchen, schnell eine passende Seite gefunden und die Liste der Fehlercodes und deren Beschreibung runtergeladen. Mit dem Wissen flugs zu den Motorrädern. Bei meiner Maschine sind keine Fehlerspeichereinträge vorhanden. Bei der Maschine meines Freundes kommt nun die Probe aufs Exempel: Durchgeklickt und siehe da: Tatsächlich ist ein Fehler eingetragen. Laut Liste ein Kurzschluss im Tempomat-Taster. Das sollte unkritisch sein. Ich gehe glücklich frühstücken und erzähle den anderen von der Diagnose.
USA – Tag 4
Tag 4: Es geht von Mobile in Richtung Biloxi. Sehr schöne Kilometer an einer Strandstraße entlang. Sehr kalt ist es, aber kein Regen zu sehen! Je weiter wir in den Westen der USA kommen, destom mehr klart der Himmel auf. Wir müssen wieder feststellen, dass Uferstraßen – so schön sie auch sind – viel Zeit kosten. Ampeln über Ampeln, Speed-Limits und viel Verkehr. Wir kommen nicht wirklich voran und wir beschließen, ein wenig Interstate zu fahren.
Die Motoren der Road Kings blubbern. 75 Meilen pro Stunde, das schnelle Vorankommen macht richtig Spaß. Mit diesen Good Vibrations im Sinn und mittlerweile einem strahlend blauen Himmel erreichen wir New Orleans. Wir geraten ins Gewühl einer der pulsierendsten Städte der USA. Im Verkehr mitschwimmend erreichen wir das French Quarter. Wir drehen eine langsame Runde durch die schönen Straßen. Musik überall, die Leute sitzen draußen und es riecht nach Kaffee und frittiertem Essen. Bleiben wir hier oder fahren wir weiter? Eine schwere Entscheidung.
Ampel für Ampel, Meile für Meile
In Anbetracht mehrerer überfüllter Motels und unseres Zeitplandefizits fahren wir weiter. Es ist mittlerweile sehr heiß geworden und wir schwitzen in unseren warmen Jacken. Anhalten, warten, weiterfahren, Ampel für Ampel und das Meile für Meile. Erschöpft kommen wir irgendwann in Baton Rouge an. Die Bilanz des Tages macht uns Sorgen. Wir sind so wenig Meilen gefahren, obwohl wir fast ununterbrochen im Sattel saßen. Wir beschließen für die kommende, eher unattraktiven Etappe am fünften Tag ordentlich Meilen auf der Interstate zu machen, um dann ab Amarillo ein wenig mehr der Sehenswürdigkeiten der USA mitnehmen zu können.
Am sechsten Tag ist der Himmel grau in grau. Es hat die ganze Nacht durchgeregnet. Draußen ist es kalt, es dürften nur 8 – 10° C sein, ein unangenehmer Wind lässt das Ganze noch viel kälter wirken. Zeit für unsere Winterausrüstung. Funktionsunterwäsche drunter, drei Schichten drüber, Winterhandschuhe und gegen das Durchweichen noch die Regenklamotten. Gestylt wie Michelin-Männchen geht es auf den Highway. Kalter Regen prasselt auf uns nieder. Wir sortieren uns ein und schwimmen im Verkehr mit. Die Gischt sprüht einem in den Helm und das Visier wird von innen wie außen undurchsichtig. Aber wir kommen voran und nach einigen Meilen kündigt ein heller Streifen Milderung an.
Typisch Texas: Tankstelle mit Saloon
Und wirklich, der Regen hört auf. Wir gehen auf 75 mph und machen Strecke. Die kühle Luft spürt man, aber durch die dicken Schichten Bekleidung kommt nicht viel durch. Der erste Tankstopp in Texas bietet Überraschendes. Die Tankstelle hat einen Saloon, in dem es Andenken und BBQ gibt. Wir gönnen uns einen Kaffee und beobachten die Leute. Das ist Texas, wie man sich es vorstellt. In diesem teil der USA sind die Fleischportionen riesig und überall hängen Bilder von John Wayne. Nur mühsam reißen wir uns los. Draußen ist es leider nicht wärmer geworden. Dick zugeknöpft starten wir unsere Big Twins und rollen zurück auf die Straße.
Dann Dallas, der Verkehr wird plötzlich dicht. Eng geht es zu, aber es gibt keinen Stau. Ich bin der Road Captain. Wir fahren, und zwar mit 75 mph im dichtesten Verkehr! Wir wollen über den nördlichen Autobahnring. Die Spuren werden enger und es kommen mehr hinzu. Und noch mehr. Wir bewegen uns sehr schnell, versuchen mitzuhalten. Baustellen, es wird enger – aber nicht langsamer. Riesige Autobahnauffahrten, verknotet wie gigantische futuristische Skulpturen. Die Straße führt uns hoch und wieder runter. Der Straßenbelag ist der blanke Horror. Querrillen, Risse, üble Stufen. Unsere Maschinen lassen sich nicht beeindrucken. Die Road King hat einen gnadenlosen Geradeauslauf. Trotz der Hektik um uns herum fühle ich mich nicht unsicher auf der Maschine.
Kaffee vom Harley-Dealer
Dann endlich verlassen wir Dallas und der Verkehr flaut ab. Wir sind erleichtert und fahren weiter bis Decatur. Es ist mal wieder kalt und nass in Decatur am nächsten Morgen. Die Frage, was man anzieht, hat sich damit erledigt – dasselbe wie gestern. Fast gerade läuft der Highway 287 nach Wichita Falls. Der Himmel ist dunkelgrau. Wir stolpern über die örtliche Harley-Vertretung. Ein schöner Showroom wie in den USA üblich, wenig Betrieb. Wir bekommen einen Kaffee angeboten, gut aufgewärmt geht es weiter. Nachdem wir 170 Meilen auf einsamen Straßen zurückgelegt haben, tut sich etwas am Horizont. Kleine Streifen von Blau sind erkennbar. Die Kälte lässt nach. Nach weiteren fünf Meilen löst sich die Wolkendecke auf und strahlendes Blau kommt hervor.
Mit dem Blau kommt Wärme und Euphorie. Wir beschließen, auf jeden Fall die 300 Meilen am heutigen Tag voll zu machen und Amarillo zu erreichen; dann wären wir wieder im Zeitplan. Gegen 17 Uhr halten wir natürlich an der Big Texan Steakranch, um dort gut zu Abend zu essen. Die Ausstattung des Ladens macht den Eindruck eines texanischen Hofbräuhauses. Im Hintergrund sind Tische mit Uhren, die von 60 Minuten runterzählen.
Typisch USA: In sechzig Minuten ein Zwei-Kilo-Steak
Man kann versuchen, ein zirka zwei Kilo schweres Steak inklusive Salat und Kartoffel in dieser Zeit zu verputzen. Gelingt dies fristgerecht, so zahlt man nichts. Gelingt es nicht, sind 75 Dollar Strafe fällig. Wir beschließen, uns dieser Herausforderung nicht zu stellen und bestellen jeweils eine normale Portion. Die servierten Fleischstücke sind immer noch groß. Die Zubereitung ist perfekt und wir tauchen ein in die gute Stimmung. Eine kleine Country-Combo spielt und wir lassen den Tag sacken: Wir sind in Amarillo,. Wir sind nun auf der Route 66, mehr USA geht nicht.
Tag 8 – als nächster Halt kommt selbstverständlich die Cadillac-Ranch an die Reihe. Zirka drei Meilen außerhalb von Amarillo sieht man sie schon von der Gegenfahrbahn. Ein imposantes Kunstwerk. Von der Interstate aus sehen die Autos noch klein aus, aus der Nähe betrachtet sind sie mächtig, die Cadillacs, die hier in den Boden gerammt worden sind. Überall liegen Spraydosen herum. Der Künstler wollte die Beteiligung der Zuschauer und hat explizit zum Sprayen aufgefordert. Beim näheren Hinsehen entdeckt man viele Schichten von Farbe, die Autos wirken wie konserviert. Selbst die Räder drehen sich noch auf den Hinterachsen.
Der Ingenieur aus Tennessee
Wir fahren weiter. Im kleinen Ort Adrian zweigen wir ab und besuchen das Midpoint Café der Route 66. Ein kleines Gebäude, hergerichtet im Stil der 50er Jahre. Innen aufgemacht wie ein Diner. Der Inhaber setzt sich zu uns. Was wir machen, wo wir herkommen, fragt er und erzählt dann von sich und davon, wie er das Café ergattert hat. Er war Ingenieur in Tennessee und hatte den Stress und die Eintönigkeit seiner Arbeit satt, wollte etwas anderes machen. So hat er vor einem Jahr das Café gekauft und hergerichtet. Er öffnet von November bis April und verbringt den Winter in seiner Heimat. Hinter dem Café hat er einen Wohnwagen, in dem er lebt. Die Story gefällt uns sehr.
Es geht weiter durch weites ebenes Land. In Tucamari verlassen wir die Interstate, um auf einer Nebenstraße Las Vegas in New Mexico zu erreichen. Diese Abkürzung entpuppt sich als echtes Highlight. Eine wirklich einsame Straße die durch die Ebene und später ins Hochland führt. Leichte Kurven gemischt mit langen unendlichen Abschnitten in unberührter Landschaft. Solche Momente berühren die Seele des Bikers, wir können nicht genug bekommen von dieser Etappe. In dem kleineren Las Vegas (hat nichts mit der Spielerstadt in Nevada zu tun, Anm. d. Red.) unweit von Santa Fe haben wir ein Unterkunftsproblem. Die großen Motelketten sind komplett ausgebucht. Aber man hilft uns schnell weiter: Das nette Mädel an der Rezeption des Best Western telefoniert und telefoniert und organisiert uns schließlich drei Zimmer in einem kleineren Hotel.
Auch typisch USA: Mittendrin ein Filmdreh
Wir erfahren den Grund der Zimmerknappheit: Es wird ein großer Film am Ort gedreht und die Filmteams haben alle Zimmer in Beschlag genommen. Generell war das kleine Las Vegas schon Szenerie für viele Filme: Easy Rider natürlich, No Country for Old Man, Born to be wild und viele mehr. Kein Wunder, denn die Kulisse der Landschaft ist einfach atemberaubend. Als wir am nächsten Morgen aufstehen, ist die Luft kühl und klar. Die Maschinen stehen direkt vor unseren Zimmern, das ist praktisch. Kurz getankt, weiter geht es in Richtung Santa Fe. Wir fahren wieder durch malerische Landschaften. Man sieht genau, wie die Straße immer wieder in die Felsen hineingesprengt worden ist.
Santa Fe – was für ein schönes Städtchen. Links und rechts Gebäude aus Lehm – der Adobe-Stil der indianischen Ureinwohner. Wir fahren zum zentralen Platz der Stadt. Ein Einheimischer erläutert uns die Historie der umstehenden Gebäude und gibt uns einen Tipp, wo wir frühstücken können: Eine kleine Cantina, mit kubanischer Musik und einer tollen Frühstückskarte. Der Kaffee ist perfekt. Stark und aromatisch, wie wir ihn bisher noch nicht auf dieser Reise getrunken haben. Nach diesem ausgezeichneten Frühstück gehen wir zurück zu den Bikes. Wir fahren noch an der örtlichen Kathedrale vorbei, die imposant in das Ortsbild integriert ist. Leider wird uns wegen einer laufenden Hochzeit der Zutritt zum Innenraum verwehrt. Das nächste Mal vielleicht. Bestimmt. In diesen Ort kehrt man gerne zurück.
Wo sich der Niederschlag trennt
Von Santa Fe geht es weiter nach Albuquerque. Dem Tipp eines Bekannten folgend zweigen wir auf den Highway 14 ab. Wieder eine wunderbare, einsam in malerischer Landschaft gelegene Straße. Motorradfahren pur. Wir wollen nach Gallup. Kurz vor Ende der Etappe ist nur noch die kontinentale Wasserscheide erwähnenswert. Das ist der Punkt, an dem sich bildlich gesprochen der Niederschlag trennt. Die Niederschläge der linken Seite fließen zum Pazifik, die anderen fließen zum Atlantik. Dieser Punkt liegt auf 2217 Metern Höhe. Wir machen kurz Rast und fahren die letzten Meilen bis Gallup. Im dortigen Motel kommen wir ins Gespräch mit einem älteren Ehepaar aus Wisconsin, das Deutsch spricht. Sie schwärmen von ihrer Heimatstadt Milwaukee, die ja das Stammwerk von Harley-Davidson USA beherbergt.
Tag 10: Um neun Uhr sind die Maschinen beladen, das Wetter ist klasse. Kühle Luft, blauer Himmel, die Sonne wärmt uns. Wir bewegen uns weiter auf der alten Route 66, um erst einmal dem berühmten Hotel El Rancho einen guten Tag zu wünschen. Hier haben sie alle übernachtet, die Western-Stars von damals. Grund genug für viele Leute, dort ebenfalls ihre Zelte aufzuschlagen. Uns reicht die äußere Optik, wir tanken an einer der typischen Route-66-Tankstellen nebenan. Route 66 im Wechsel mit Interstate 40. Wir kommen in diesem Teil der USA zügig voran. Gegen Mittag erreichen wir Arizona. Das Welcome-Center dieses Bundesstaates liegt eingebettet in einer gigantischen Felsenkulisse.
Der erste offizielle Nationalpark
Ein paar Meilen weiter steht der erste offizielle Nationalpark bei uns auf dem Programm. Es ist, wenn man es genauer betrachtet, sogar eine Kombination aus zwei Sehenswürdigkeiten. Zum einen gibt es die Painted Desert zu sehen, zum anderen den Petrified Forest, den versteinerten Wald. Wir zahlen gerne die fünf Dollar Eintritt pro Motorrad, werden aufgefordert, keine Steine zu klauen und rollen los. Aussichtspunkte en masse, wir schweigen atemlos angesichts der gigantischen Landschaft. Nach 20 Meilen kommt dann der versteinerte Wald. Wir halten an und schauen uns die versteinerten Baumstücke an. Man ist sprachlos, was uns die Natur immer wieder für Überraschungen bietet.
Zwischenzeitlich hat einer meiner Mitfahrer Probleme mit seiner Heritage. Der Warnblinker ist angegangen und geht nicht mehr aus. Wir rätseln, drücken immer wieder die Blinkerschalter, einzeln, zusammen, gleichzeitig. Nichts. Die Blinker blinken unisono. Als ich gerade überlege, die Hauptsicherung zu ziehen, fällt mir ein kleiner, mir bisher unbekannter Schalter am Gasgriff auf. Ich drücke drauf und der Warnblinker hört auf. Ist schon lustig, wie eingefahren man ist. Wir verlassen den Park und rollen wieder in Richtung Interstate, zu unserem Tagesziel Flagstaff.
Des Rätsels Lösung
Ein Rätsel von einem Freund daheim liegt mir im Sinn und ich frage mich, ob wir die Lösung finden. Er hatte mir für die Reise folgenden Satz mitgegeben: „Standing on the Corner in Winslow Arizona“. Ich weiß zwar, dass dies eine Textzeile aus einem Lied der Eagles ist, mehr aber auch nicht. So fahren wir die Hauptstraße entlang, schauen links und rechts und sehen außer alten Gebäuden nichts. An einer Tankstelle frage ich vorsichtig, ob es einen bekannten Platz in Winslow gibt und der Tankwart lacht. Zwei Straßen zurück sollen wir mal nachschauen. Kurz gewendet und schon sind wir da: Neben dem Riesenlogo der Route 66 gibt es eine Bronzestatue und einen Laden, der den ganzen Tag nur Eagles-Musik spielt.
Flagstaff liegt vor uns und ein Motel ist schnell gefunden. Wir beschließen, dass der Rest des Tages für jeden zur freien Verfügung steht. Ich entscheide mich, auf den Spuren des Films Easy Rider zu fahren. Der Weg führt über den Highway 89 in Richtung Grand Canyon. 15 Meilen weiter zweigt eine Seitenstraße in einen kleinen Statepark ab. Hier geht es zum Sunset Crater und zum Wupatki National Monument. Was mich dort erwartet, hätte ich mir vorher im Traum nicht ausgemalt. Eine fast surreale Landschaft, links und rechts Vulkanasche hoch aufgetürmt, dann ein bergauf und bergab durch malerische Wälder. Ein wenig später ein Wechsel in eine Heidelandschaft. Die Szene beleuchtet von der untergehenden Sonne. Die Landschaft abwechslungsreich, um dann final einen fantastischen Blick auf den schneebedeckten Sacred Mountain zu gewähren.
Auf den Spuren von Easy Rider
Ich fahre den Rest dieser Runde, die dann wieder auf die 89 führt. Zeit umzukehren, die Sonne steht schon sehr tief. Zudem wird es kalt. Nach ein paar Meilen in Richtung Flagstaff kommt das letzte Highlight des Tages. Die alte Trading Post, aus der Szene, als der Anhalter mitgenommen worden ist, liegt rechts am Straßenrand. Ich halte an, will ein paar Fotos machen. Da öffnet sich die Tür und ein Mann kommt auf mich zu. Er bietet an, mich vor dem Gebäude zu fotografieren und ich erfahre, dass er der Besitzer der Trading Post ist. Er kennt den Film und seine Botschaft und wir lächeln beide.
Tag 11: Die alte Route 66 der USA. Einsam ist es hier. Kein Mensch, kein Auto ist zu sehen. Weites Land, Prärie und ein fast unglaublicher Wind. Wie in einem Western werden immer wieder kleine und große Bälle aus Gestrüpp über die Fahrbahn gejagt. Es fängt an zu tröpfeln. Eine immer dunkler werdende Wolkenfront kündigt Übles an. Es kommt dicke, wir halten rechts an. Ich muss eine Regenhose anziehen. Ein Blick auf die anderen Maschinen zeigt, dass sie über und über mit Gestrüpp bedeckt sind. Der Regen wird immer stärker und geht in Hagel über. Die Windshields sind komplett belegt mit einer eisigen Schicht aus Regen und Schnee. Wir tasten uns weiter und erreichen Seligman.
Homemade Käsekuchen mitten in den USA
Ein paar Trucker sitzen schon in Lilo’s Café, wir sind froh, dem gruseligen Wetter entronnen zu sein. Lilo selbst bekommen wir leider nicht zu sehen, aber ihre Speisekarte zeigt viele deutsche Spezialitäten. Einer meiner Freunde probiert den original homemade Käsekuchen. Draußen – als ob nichts gewesen wäre – zieht blauer Himmel auf. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite findet ein Oldtimer-Treffen statt. Corvettes, Mustangs, Porsches fahren vor und parken nebeneinander. Was für Charakterautos. Ein Porsche 356 bringt uns in Gedanken zu James Dean und irgendwie auch wieder auf die Route 66 zurück. Für uns geht es weiter auf einer einsamen Strecke bis Kingman. Dort angekommen, entscheiden wir uns für den direkten Weg nach Las Vegas.
Der geplante Weg über Oatman fällt dem wechselhaften Wetter zum Opfer. Das ist zwar schade, aber die Bergstrecke ist bei diesem Wind und den einstelligen Temperaturen ein Risiko. So geht es auf den Highway 93 und wir donnern an schöner Wüstenkulisse unserem Etappenziel Las Vegas/Nevada entgegen. Vor der Wüstenstadt besuchen wir kurz den Hoover-Damm, ein imposantes Kunstwerk. Ein Parkplatz mit Fußweg auf die gegenüberliegende Autobahnbrücke beschert uns einen atemberaubenden Blick auf die Staumauer. Wir schießen ein paar Fotos, müssen uns aber erneut dem Regen beugen, der kurz und heftig unsere Weiterfahrt nach Vegas begleitet.
Über den berühmtesten Strip der USA
Wir rollen ins Zentrum der Wüstenstadt, finden unser Hotel, stellen die Bikes ab. Das Hotel ist riesig, wir haben Mühe, die Rezeption zu finden. Mit Regenklamotten laufen wir durchs Casino bis zum Empfang. Zimmer beziehen und dann erst einmal eine Dusche. Der Tag wird beendet mit einem Spaziergang auf dem Strip. Wir schlendern in die beleuchtete Nacht. Ein aufgrund des Wetters recht anspruchsvoller Tag geht zu Ende. Wir legen einen Tag Pause ein in Las Vegas. Der erste Tag, den wir nicht im Sattel verbringen. Irgendwie ungewohnt. Aber wir liegen nun gut in der Zeit.
Tag 13: Nach einem Abstecher durch die Mojawe-Wüste, vorbei am Joshua-Tree-Nationalpark, kommen wir nach Palm Springs. Die Palmenkulisse der Stadt, die warme Luft, der strahlend blaue Himmel und das schöne Motel überzeugen uns, hier ebenfalls noch einen Tag Ruhe vor der letzten Etappe zu genießen. Kostenlose Parkplätze sind überall vorhanden. In der Mitte der Stadt wartet eine überlebensgroße Statue von Marilyn Monroe in ihrer wohl bekanntesten Pose auf Freiwillige, die sich unter ihr ablichten lassen wollen. Mittag machen wir in einem Restaurant, das die Tische und Bänke wie Schaukeln schwenkbar gelagert hat. So gondeln wir hin und her, können beim Essen auf die Straße schauen und die Autokultur von Kalifornien beobachten. Das Wetter macht es möglich: Wir können im T-Shirt Motorrad fahren. Das Tempolimit von 25 mph entspannt den Verkehr zusätzlich, alle verhalten sich rücksichtsvoll.
Zum letzten Mal die Maschinen packen
Tag 15: Nach dem Frühstück am Pool wird zum letzten Mal gepackt. Wir rollen die Maschinen vom Hof. Hinter Palm Springs geht es an gigantischen Windkraft-Parks vorbei. Wir fahren kurz auf die Interstate, bis wir Pasadena im Norden von Los Angeles erreichen. Für eine Großstadt wie Los Angeles ist das Hinterland erstaunlich attraktiv. Berge, Seen und Wälder. Und das alles nur zirka 120 Kilometer nördlich dieser Megacity der USA. Wir biegen auf eine kleinere, steil ansteigende Straße und kommen in bergige Regionen, links und rechts Wälder und Felsen. Die Sonne zaubert uns einen komplett blauen Himmel dazu.
Was für eine schöne Etappe am letzten Tag unserer USA-Reise. Die Straße wird immer schmaler und wir sind nun weit oben in den San-Gabriel-Bergen. An einer Gabelung müssen wir uns entscheiden, wie wir nach Los Angeles reinfahren. Die Variante über den Highway 2 sieht auf der Karte sehr serpentinenartig aus und sagt uns natürlich zu. Nach zwei Meilen sind wir auf einem Hochplateau angelangt, müssen aber leider feststellen, dass ein Schild mit der Aufschrift „Road closed in 5 Miles“ uns diese schöne Straße vorenthält. Wir schießen noch ein paar Fotos auf dem Hochplateau und wählen die Alternativroute Richtung Los Angeles.
Lob für die Ironbutts
Bevor wir die Außenbezirke erreichen beginnt aber der schönste Teil der Etappe. Die Straße wird sehr kurvig, es gibt Serpentinen und meine Road King nimmt Fahrt auf. Wunderbar, wie leicht sich die schwere Maschine in die Kurven legt. Stabil, spurgetreu, ein wahrer Genuss. Nahezu schwebend wird man durch die Berglandschaft getragen und Wehmut kommt auf in Anbetracht der nahenden Großstadt. Ein paar Kurven und Meilen weiter ist die abwechslungsreiche Bergstrecke wirklich zu Ende und wir werden auf eine fade Landstraße geleitet. Ein letzter Stopp an einem Fastfood-Restaurant bringt noch den Kontakt mit einem Vietnam-Veteranen, der uns für unsere Reise und unsere „Ironbutts“ lobt und der selbst ein paar schöne Motorradgeschichten in breitem Akzent zum Besten gibt.
Schließlich erreichen wir die Stadtautobahn von Los Angeles. Breiter und breiter wird die Straße, immer mehr Spuren füllen sich mit Autos. Auf der Gegenseite entwickelt sich ein Megastau, um uns herum ein wahrhaft ameisenartiges Treiben. Die einzig brenzlige Situation erleben wir, als ein riesiger LKW plötzlich von der Standspur auf unsere Spur zieht. Aus dem Stand heraus, ohne Blinker. Vollbremsung, panisches Ausweichen unserer drei Maschinen und die Situation ist gemeistert. Kurz nach 16 Uhr erreichen wir unsere Motorrad-Rückgabestation. Ein letztes Foto, Zustandscheck aller Maschinen, „No new damage detected“ ist das Urteil unseres Inspekteurs. Alles ist gut gegangen, keine Panne, kein Schaden. Die Maschinen sind gelaufen wie Uhrwerke. Iron Hearts aus Milwaukee. Schön, dass ich so etwas noch erleben darf. Unsere USA-Reise geht zu Ende. Eine kurze Nacht steht uns bevor, der Flieger startet früh gegen acht. Wir setzen uns im Hotelzimmer zusammen, genießen das letzte Bier und sind zufrieden mit uns und der Welt.
5325 Kilometer USA auf dem Buckel
Daheim angekommen trennen sich unsere Wege. Abschied nach 5325 Kilometern gemeinsamer Fahrtstrecke in den USA. Wir haben es wirklich geschafft. Die einhellige Meinung aller drei Reisenden ist: Gut, dass wir das gemacht haben. Das nimmt uns keiner mehr weg. Ein realisierter Traum. Mal raus aus dem Trott, mal nicht von morgens bis abends arbeiten, mal ein paar Tage lang nicht wissen, wo man abends landet. Dazu ein Land kennengelernt, das so reichhaltig ist an Natur, an Sehenswürdigkeiten und an Menschen. Armut und Luxus nebeneinander, vorbildliche Aktivitäten in Sachen Umweltschutz neben grenzenloser Energieverschwendung. Und dann diese Freundlichkeit und Rücksichtnahme. Wo wir gefragt haben, wurden wir unterstützt, jeder versuchte uns weiterzuhelfen. Autofahrer nahmen Rücksicht, wenn sie sahen, dass wir drei Motorradfahrer zusammengehören. Wir haben ein wenig vom Mythos der Route 66 mitgenommen und deren Reisende kennengelernt. Aber das Wichtigste: Wir haben uns einen kleinen Traum verwirklicht: 3307 Miles on a Harley, going from Coast to Coast, einmal quer durch die USA. Der Wahnsinn!