Harley-Davidson Sport Glide – Die Wollmilchsau



Die Vorzüge der Harley-Davidson Sport Glide wurden lange vom Publikum nicht erkannt. Das hat sich mittlerweile geändert …

Die Sport Glide ist schon seit einigen Jahren eines der bestverkauften Modelle der Company. Und das wird 2023 nicht anders sein. Im Gegenteil. War beispielsweise die Softail Street Bob in der Vergangenheit noch satte 3.500 Euro günstiger zu haben, so schmilzt die Differenz zwischen den beiden Softails durch die teils drastischen Preiserhöhungen im Modelljahr 2023 auf nur noch 1.500 Euro. Was vor allem daran liegen dürfte, dass die Sport Glide – warum auch immer – als einziges Modell neben der Softail Standard weiterhin mit dem „kleinen“ 107er Milwaukee-Eight bestückt ist.

Warum bloß verwehrt man der Sport Glide den großen 114er-Motor?

Aber auch die Softail Standard ist 2023 deutlich teurer geworden. Sie kostet nun 18.995 Euro, die Sport Glide ist exakt 2.000 Euro teurer (jeweils zzgl. 560 Euro Transport- und Aufbaupauschale sowie 275 Euro Sonderzuschlag für gestiegene Rohstoff- und Logistikkosten). Dabei sprechen viele Ausstattungsdetails für die Sport Glide. An der Front ist bei der Standard beispielsweise eine stinknormale Telegabel verbaut, während die Sport Glide mit einer feinen Upside-down-Gabel protzt. Auch bei den Rädern gibt es Unterschiede. Der Standard steht auf recht langweiligen Leichtmetallgussrädern während die der Sport Glide teilpoliert sind und stylische Fräsungen besitzen.

Koffer und Verkleidung der Sport Glide lassen sich schnell abnehmen

Dazu kommt reichlich Chrom an Motor und beispielsweise den Risern, ein bildhübsches Rundinstrument in einem polierten Dashboard, all das wirkt sehr viel wertiger und ist es auch. Und es gibt serienmäßig ein Plätzchen für die Sozia, während die Standard nur für einsame Wölfe taugt. Tja, und dann sind da ja noch die Verkleidung und die Koffer. Die lenkerfeste Verkleidung sieht aus wie eine Kopie der Batwing-Verkleidung der E-Glides, bloß deutlich kleiner. In die schnittig gestylten Hartschalenkoffer am Heck passen zusammen fünfzig Liter, genügend Platz also für Zweitjeans, Unterwäsche und Socken für den kleinen Wochenendtrip. Der Gag bei alldem ist, dass sich sowohl die Verkleidung als auch die Koffer ohne Werkzeug mit wenigen Handgriffen entfernen lassen.

Mit Verkleidung ohne Koffer, ohne Verkleidung mit Koffern, komplett nackt oder full dressed – die Sport Glide ist das Chamäleon unter den Softails

Was durch die Abbau-Aktion herauskommt, ist ein völlig anderes Motorrad, das ein bisschen an die erste Fat Boy erinnert. Tatsächlich verkörpert die Sport Glide im Grunde zwei Motorräder in einem, ein erfreuliches Kriterium, das bei der Kundschaft sticht und dieses Motorrad so beliebt gemacht hat. Wobei es dennoch ein Rätsel ist, warum sich irgendwelche Marketing-Lurche in Milwaukee entschlossen haben, ausgerechnet der angenehm agilen Sport Glide den 114er-Motor zu verwehren.

Der 107er M8 hat den etwas geschmeidigeren Motorlauf

Wäre es so, dass nur die „Dicke-Backen-Modelle“ wie Fat Boy und Breakout den 114er bekämen, wäre das noch verständlich, weil argumentierbar. Aber dem ist ja nicht so. Denn auch der Retro-Cruiser Heritage Classic und sogar die Street Bob werden mit dem 114-Kubikinch-Motor ausgeliefert. Und da die Sport Glide ja doch gerne mal mit Sozia und Gepäck bewegt wird, bleibt die Entscheidung ihr weiter nur den 107er zu gönnen, fragwürdig. Der Leistungsunterschied der beiden Aggregate: 83 gegen 95 PS und 139 gegen 155 Newtonmeter Drehmoment. In der Praxis fühlt sich der Unterschied allerdings geringer an und immerhin: der 107er hat den etwas geschmeidigeren Motorlauf.

Wer möchte kann, dank ordentlicher Schräglagenfreiheit, mit der Sport Glide auch mal mit Schmackes um die Ecken

Was die Sitzhöhe (680 mm) und das Gewicht (317 kg) angeht, rangiert die Sport Glide im Mittelfeld der Softail-Familie und lässt sich somit auch von kleiner gewachsenen Fahrerinnen und Fahrern gut beherrschen. Apropos beherrschen: Dank der von den Entwicklern klug gewählten, nicht übertrieben fetten Bereifung (vorn 130/70 B18, hinten 180/70 B16) macht die Sport Glide auf der Straße ihrem Namen alle Ehre und überzeugt durch spielerisches Handling in Tateinheit mit einem satten Fahrgefühl. Der 18-Zöller vorn sorgt auf der Bahn für einen sturen Geradeauslauf, ohne beim Einlenken großartig störrisch zu wirken. Zugegeben, die Deluxe und die Heritage geben sich noch handlicher als der Sport-Gleiter, die fahren aber auch auf vergleichsweise schmalen 16-Zöllern.

Harley-Davidson Sport Glide – 2023 ein Schnäppchen

Die Boden- und somit die Schräglagenfreiheit ist seit der Komplettrenovierung der Softail-Baureihe ja nicht mehr das große Thema. Seit der Milwaukee-Eight-Ära kann man mit allen Softails bei Bedarf auch mal ordentlich angasen, so auch mit der Sport Glide. Die Bremsen arbeiten unauffällig, ohne in Benchmark-Verdacht zu kommen. Die Fahrwerksabstimmung ist im Originalen stimmig, kann aber durch bessere Komponenten auf ein anderes Level gehievt werden. Unterm Strich ist die Sport Glide ein sehr empfehlenswertes Motorrad, dass durch seine Wandlungsfähigkeit und viele schöne Details überzeugt. Angesichts der teils drastischen Preiserhöhungen für viele andere Modelle geht sie 2023 sogar als Schnäppchen durch.

 

 

 

Motor
Typ Milwaukee-Eight 107, 1745 ccm
Bohrung x Hub 100,0 x 111,1 mm
Ventiltrieb ohv Vierventiler,
Steuerung über Stößelstangen
Gemisch elektron. Kraftstoffeinspritzung, Saugrohr 55 mm
Leistung 83 PS bei 5020 U/min
Drehmoment 139 Nm bei 3500 U/min
Vmax 190 km/h

Getriebe
Typ Sechsgang
Sekundär Zahnriemen
Fahrwerk
Radstand 1625 mm
Lenkkopfwinkel 30°
Nachlauf 150 mm
Bereifung vo. 130/70 B18 Michelin Scorcher 31,
hi. 180/70 B16 Michelin Scorcher 31
Metrie
Leergewicht 317 kg
Zuladung 209 kg
Tank 18,9 l (davon 3,8 l Reserve)
Sitzhöhe 680 mm

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Fotos: Carsten Heil
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Kommentare

2 Antworten zu „Harley-Davidson Sport Glide – Die Wollmilchsau“

  1. Avatar von Heinz Grefenstein
    Heinz Grefenstein

    Vor zwei Jahren hätte ich jeden, der mir eine HD angeboten hätte, für verrückt erklärt… Aber die hat was!

  2. Avatar von Dani Waser
    Dani Waser

    Die beste Harley, die es gibt! Zumindest für mich. In 3 Jahren über 60’000 km abgespult und freue mich auf jeden weiteren, der noch kommt… Mit dem Öhlins Federbein im Heck ist sie jetzt noch sahniger zu fahren.

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