Diesen schlanken, gerade mal 45 Zentimeter breiten Panhead Chopper hat Thunderbike zum 35-jährigen Firmenjubiläum auf die Räder gestellt.

Zum Jubiläum hat Thunderbike das komplette Menü aufgetischt und diesen unfassbar schmalen Chopper gebaut. Sieht man von den Fußrasten ab, misst das Bike an der breitesten Stelle nur 45 Zentimeter. Wie das geht? In dem man wirklich jedes Bauteil einer Prüfung unterzieht, ob es nicht doch noch irgendwie schmaler geht. Bei über 100 Mitarbeitern kann man sicher sein, dass es dafür genügend Ideen und auch Umsetzungsmöglichkeiten gibt. Der hohe Anspruch der Thunderbiker an sich selbst hat einen ganz besonderen Chopper geboren, wie man ihn nicht alle Tage sieht.

Bei Thunderbike entsteht fast alles in Eigenregie

Hamminkeln mag ein kleiner, beschaulischer Ort am Niederrhein sein, er beheimatet jedoch mit Thunderbike ein international agierendes Harley-Business. Was vor mehr als dreieinhalb Jahrzehnten als One-Man-Show in „Onkel Toms Hütte“ begann, ist heute ein Szene-Riese, wenn es um Parts und Bikes geht. Individuelle Lösungen von Problemchen, die die schweren Eisen aus Milwaukee zuweilen mitbringen, gehören hier zum Tagesgeschäft. Das Heck gefällt nicht, die Blinker sind zu groß, die Räder langweilig – die Liste ist bekanntlich lang.

Maximal schlank hieß die Devise, und so markieren die Handhebel und die Fußrasten die breitesten Stellen am Bike

Die Parts, die man in Hamminkeln außer Harleys hauseigenem P&A-Sortiment zukauft, kann man an zwei Händen abzählen. Als Dienstleister kommen nur Lackierer, Sattler und Oberflächenveredler zum Zuge, der Rest entsteht in Eigenregie. Bestes Beispiel ist dieser Chopper. Er entstand nach Besuchen der Thunderbiker auf der CUSTOMBIKE-Show in Bad Salzuflen und in Verona auf der Motor Bike Expo. Zwischen hunderten Umbauten waren es dort jeweils die langgestreckten Chopper, die die Aufmerksamkeit des Teams vom Niederrhein erregten.

Panhead Chopper mit langer Eigenbau-Gabel

Zurück in ihrer Custom-Werkstatt, nach ein paar After-Work-Bieren, dem Raum voller Zigarettenrauch und aufgeregtem Stimmengewirr, wurde der Entschluss gefasst: Zu unserem 35-jährigen Jubiläum werden wir so ein Hot-Shit-Bike bauen! Irgendwas zwischen 70er-Jahre und Schwedenchopper sollte es werden. Was braucht man dafür zuerst? Eine lange Gabel. Doch Thunderbike wäre nicht Thunderbike, wenn man einfach eine Gabel in den üblichen Katalogen bestellen würde. Sie haben alles, was man dazu braucht, um selbst eine zu bauen und dazu noch Leute, die es drauf haben und auch verrückt und mutig genug sind, ein solches Bike ins Ziel zu bringen.

Das Luftfiltergehäuse stammt aus dem Hause Thunderbike, die gestaltete Plakette stellte – wie alle übrigen am Bike auch – Björn Kremer her

Was braucht man als Nächstes? Rahmen und Räder. Der Rahmen war schnell gefunden. Jemand, der mit Trennschleifer und Schweißgerät perfekt umgehen kann, auch. Um ehrlich zu sein, es gibt ein ganzes Team von solchen Leuten, und sie sind es gewohnt, ungewöhnliche Dinge zu tun, zum Beispiel Rahmen passend zu machen. Das erste Vorderrad, das sie ausprobierten, war mit 21 Zoll zu klein, der Nachlauf würde nicht gut funktionieren. „Okay, dann müssen wir unseren Konstrukteur und seine Maschinen ein neues Rad machen lassen.“

Hinten läuft ein Fünfspeichen-Vorderrad aus der Softail Rocker

Die Teile für die Gabel wurden, abgesehen von den Federn, komplett bei Thunderbike hergestellt. Die Gabelbrücken und die Gabelrohre sind aus Stahl gefertigt, um die Wandstärke der Gabelrohre möglichst schmal halten zu können. „Es gibt nichts Vergleichbares auf dem Markt,“ erklärt Andreas. „Die innere Feder ist eine Kupplungsdruckfeder, darüber liegt eine WLA-Feder und außen eine normale Springergabelfeder. Da merkst Du nix beim Fahren, die Gabel schluckt alles weg.“

Der Panhead-Motor ist nagelneu und stammt vom Wernberger Unternehmen Motortechnic mfg

Am Heck läuft ein stylisches Fünfspeichen-Vorderrad aus der Softail Rocker. „Das fand ich schon immer geil!“ verrät Andreas. Und ja, auch damit hat er recht: Nichts passt besser zum Chopper-Thema als ein Fünfspeichen-Rad! Aber leider gab es auf dem Zubehörmarkt kein einziges Rad, das die gewünschten Maße für die Front erfüllt. Also musste auch das – wie soviele andere Teile an dem Bike – selbst gebaut werden.

Die Kollegen aus der Polierbude wienerten mit Hingabe

Thunderbikes CAD-Designer hat das originale Rocker-Vorderrad verwendet, es virtuell in den Computer übertragen und allen Anforderungen angepasst. Im nächsten Schritt wurde die Felge in der hauseigenen Produktion aus dem Vollen gefräst. Das Rad erhielt eine freistehende Nabe und ein Felgenbett, das den Gebrauch eines Schlauchs notwendig macht. Der muss mit vier Bar Luftdruck befüllt werden, um ein Abrutschen des Reifens von der Felge zu verhindern. Daher kommt auch die Typenbezeichnung: „Clincher“.

Ebenfalls ein Einzelstück: Auspuffendkappe am hautnah verlegten Auspuff

Glücklich kann sich wohl derjenige schätzen, der eine Kiste mit Rohrstücken hat. Man kann unter die Werkbank greifen, die Kiste nach vorn ziehen und, wie bei Legosteinen, die Rohrstücke zusammenbauen. Der Unterschied ist, dass Legosteine immer irgendwie ineinander passen, indes, bei den Rohrstücken wird mit verschiedenen Metallen, Wandstärken und Durchmessern „gespielt“. Der Schweißer lieferte seine beste Arbeit ab und den Rest erledigten die Kollegen aus der Polierbude mit der gleichen Hingabe, mit der sie an die vielen anderen hochglänzenden Teile gegangen sind.

Harley-Davidson Panhead? Fast. Der V2 kommt aus Deutschland

Um zu verhindern, dass der Auspuff die schmale Silhouette des Motorrades zerstört, läuft er innerhalb des Rahmens. Dafür wurden Aussparungen in den Auspuff geschnitten und sorgsam wieder verschlossen. Zwischen Auspuff und Sissybar oder zwischen Auspuff und Kotflügel passt nur noch die berühmte Briefmarke – ohne Spucke wohlgemerkt. Natürlich musste dieser Über-Chopper eine King-and-Queen-Sitzbank bekommen, und selbstredend entstand auch diese komplett in Handarbeit. Die Sitzbasis baute die Mannschaft in Hamminkeln, die Polsterung und den Bezug fertigte der Lederkünstler Jimi von Spirit Leather in Düsseldorf.

So gehört das! Soziusfußrasten sind eh nur was für Milchwagenausbremser

Und klar war auch: Ein solcher Chopper schreit förmlich nach einer starken Lackierung. Da nimmt es nicht Wunder, dass die Wahl auf Thunderbikes Haus- und Hoflackierer Ingo Kruse fiel. Ingo begleitet die Umbauten oft schon während der Entwicklung und bekommt ein Gefühl dafür, was man will, bevor man es selbst weiß. Zuerst lieferte er den Rahmen und die Gabel. An einigen Stellen ist der Lack dunkler und akzentuiert zum Beispiel den Lenkkopf, an anderen Stellen ist der Lack strahlender und setzt den Motor in Szene. Der übrigens kein originaler Panhead ist, sondern „Made in Germany“ von Motortechnic Mfg.

Der Herstellungsprozess der Embleme ist sehr komplex

Dank Ingos Lackierkunst bekommt selbst ein vergleichsweise dünnes Rohr eine echte Hauptrolle. Leuchtende Farben mit einer irren Tiefe, die von fünfzehn Schichten Klarlack herrührt. Als Letztes kamen die Embleme an das Bike. Ihr Schöpfer ist der Graveur Björn Kremer aus Düsseldorf, der ausschließlich solche hochwertigen Einzelstücke fertigt. Der Herstellungsprozess ist sehr komplex und umfasst viele Schritte durch Maschinen und von Hand, bis hin zu einem 10000er Schleifpapier.

Das nennt man hohe Fertigungstiefe: Selbst das Lampengehäuse entstand in den hauseigenen Werkstätten in Hamminkeln

Am Abend vor der Jungfernfahrt finden wir Andreas alleine an seinem Jubiläums-Chopper. Mit einem Lappen. „Ich poliere das ganze Bike per Hand und gehe dabei alles noch einmal durch. Ob wir an alles gedacht haben, ob alle Schrauben angezogen sind, ob etwas fehlt.“ Tags darauf wird der Chopper aus der Custom-Werkstatt nach draußen geschoben. Das spricht sich schnell herum, aus allen Ecken kommen die Mitarbeiter dazu. „Das will ich nicht verpassen, schließlich ist das unser aller Baby!“ ist zu hören und die erste Kiste Bier ist ebenfalls schon am Start, wie freitags spätnachmittags üblich.

Der Panhead läuft seidenweich

Bei der dritten Kiste Bier läuft die Maschine und der Schweiß, Andreas kickt standesgemäß selbst. Dann wird noch mal am Vergaser und an der Zündung gedreht und schon erklingt das berühmte Potato-Potato. Und wie fährt sich der Langgabler? „Total easy. Der Motor läuft seidenweich und das Getriebe schaltet schön sauber. Der Nachlauf liegt bei 140 Millimetern, das ist ungefähr wie bei den Softails, kein bisschen kippelig.“ Das sagt der Chef natürlich mit seinem bekannten Grinsen im Gesicht. Einige Leute meinen, sein Grinsen sei breiter als das Bike.

Info |  thunderbike.de