In den Neunziger Jahren musste ein Motorrad lang, niedrig und schwarz sein … und einen Hypercharger haben. Das geht auch heute noch, wie diese Harley-Davidson Heritage Softail beweist.

Es ist wie der Ritt auf einer Zeitmaschine: Supertrapp-Schalldämpfer, Kellermann-Blinker und dann noch ein Hypercharger-Luftfilter von Küryakyn. Wann haben wir diese Kombination an Namen zuletzt gehört? Dennis Böllinger, der Mitdreißiger, hörte sie in seiner Jugend, wenn sein Vater von Harley-Umbauten schwärmte. Wir müssen keine Rechenkünstler sein, um zu wissen: Dennis verbrachte seine Jugend in den Neunziger Jahren. Und wir müssen keine Oldschooler sein, um den Spruch Goethes zu kennen: „Was du ererbt von deinen Vätern hast, erwirb es, um es zu besitzen.“

Hypercharger von Küryakyn. Die Lufteinlässe konnten klicken, man konnte es bei laufendem Motor nur nicht hören

Interessant am Jahrzehnt der Neunziger ist seine Symbollosigkeit. Die Siebziger hatten die Schlaghosen, die Achtziger das Neonlicht. Aber was hatten die Neunziger? Okay, Techno kam groß raus, aber genau das Sampling der Technobeats ist typisch für die Neunziger, die nur noch Stile zitierten, aber keinen eigenen Stil ausbildeten. Doch halt, in der Mobilität tat sich einiges: Einspritzanlagen, elektronische Assistenten und die Zentralverriegelung. Das typische Geräusch der Neunziger Jahre war neben dem wummernden Techno das vielfache Klicken einer Zentralverriegelung.

Die Zündspulen hat Dennis unter dem Öltank versteckt

Das typische Geräusch der Neunziger Jahre war auch das basslose Knallen einer Schalldämpferanlage von Supertrapp. Damals schraubten die Biker nämlich gerne ein, zwei Scheiben mehr rein, in der Hoffnung, dass der Wachtmeister nicht zählen kann. Und wenn wir es bei einem polternden Harley-Motor hätten hören können, dann hätten wir auch das Klicken in den Lufteinlässen eines Hyperchargers vernommen.

Black is beautiful. Das hat sich Dennis auch gesagt, die Heritage Softail in ein ganz neues Licht gestellt und sich an den Bikes der 90er orientiert

Oder sucht jemand die Zündspulen? Dennis hat sie unter dem Öltank versteckt. Die Zündkabel sind damit einen halben Meter länger geworden, was sich im Zündverhalten aber nicht bemerkbar macht. Obendrein hat er diese dicken Dinger durch das Rahmenrohr gezogen. Auch die sind also gut versteckt, mindestens so gut wie die Multifunktionsblinker in den Fenderstruts. Oben ist der Öltank gleich noch von einem selbstgefertigten Carbon-Cover verdeckt. Auch das kann Dennis selbst. Einzig das Schmälern des Belts für die Breitbereifung musste Dennis einem Spezialisten überlassen.

Harley-Davidson Heritage Softail von 1997

Zassel aus dem pfälzischen Steinweiler erledigte das und schnitt den 350 Millimeter breiten Riemen auf 190 Millimeter zu. Zassel, ja klar, das ist ein Customizer, der sich seinen Ruf in den Neunziger Jahren verdiente. In seinen Hallen stand auch die Softail Heritage Classic von 1997, eine der letzten Evolutions, natürlich mit Vergaser. Genau aus der durfte Dennis seine Nineties-Vintage-Harley schließlich zaubern.

Die Supertrapp-Schalldämpfer bekamen gerne mal ein, zwei Scheiben mehr. Dann wurden sie lauter. Und vielleicht konnte der Wachtmeister ja nicht zählen

Ist denn nun alles Neunziger an diesem Bike? Ist es nicht. Die Lackiertechnik ist älter. Dennis hatte seine Harley ursprünglich schwarz lackiert, war damit aber unzufrieden. Aus Frust begann er, an seinem Lack zu kratzen und entdeckte so die alte Technik der Radierung wieder, die wesentlich eine Kunst des Wegnehmens ist. Anschließend musste nur noch Klarlack drüber. „Ich wundere mich selbst, dass mir das so gut gelungen ist“, freut er sich. Und wir wundern uns auch, denn diese Lackierung hätten wir eigentlich nur einem Profi zugetraut.

Kaum ist das Metall freigelegt, fängt es an zu rosten

Wollt ihr es selbst probieren? Einen kleinen Tipp hat Dennis da parat: Ihr müsst schnell sein. Denn kaum ist das durch den Lack geschützte Metall freigelegt, fängt es an zu rosten. Da kann es nach einer Nacht schon zu spät sein. Die Neunziger jedenfalls brauchten länger, um Kult zu werden. In der Regel beginnt das erste Revival eines Jahrzehnts dreißig Jahre später. Dennis hat dafür vielleicht den Startschuss gegeben.