Wer nicht die großen Scheine hat, kann sich auch für relativ kleines Geld ein abgefahrenes Bike wie diesen Boulevard-Tracker auf Basis einer Ironhead Sportster aufbauen.

Oldschool ist schon seit mehr als 20 Jahren schwer angesagt, am liebsten als schmerzfreier Genuß ohne Reue. Keine öligen, schraubenwerfenden Eisenhaufen, sondern geschmeidige Technik, sechsgängig und abgasgereinigt. Rollende potemkinsche Dörfer, Stilikonen des Zeitgeists, zum Gegenwert eines Mittelklassewagens in gehobener Ausstattung.

Wieviel Zoll zum Glücklichsein?

Das hier vorgestellte RR 1000-Projekt geht den umgekehrten Weg: Warum nicht einmal authentisches Altmaterial upgra­den? Die Welt ist voll von Youngtimer Triumphs, BSA und Harleys der 60er und 70er Jahre, die für kleines Geld eine neue Zweierbeziehung eingehen würden, spätere gemeinsame Pokal-Ehrungen und viele unvergessene Kilometer nicht ausgeschlossen. Eine Eisenkopf-Sportster ist beispielsweise so ein Bike, mit dem man nicht viel falsch machen kann, wenn man realistisch einschätzen kann, was auf einen zukommt.

Wer ernsthaft sparen will, sollte mehr können, als ohne Blutvergießen einen Kettensatz zu wechseln. Ohne Schweiß- und Dengelarbeiten lässt sich nunmal kein individuelles Bike „Beyond bolt-on“ auf die Räder stellen

Generationen von „Wanna be a HD-Mechanics“ haben die angebliche „Milwaukee-Traktoren­technik“ (Bullshit!) misshandelt. Die Zylinder sind aufs letzte Übermaß gebohrt und das Teil läuft trotzdem wie ein Sack Muscheln, weil banale Dinge wie korrekte Zündungs- und Vergasereinstellung weniger wichtig zu sein scheinen als „Smokey Yunicks Powersecrets“. Lasst euch nicht abschrecken, ein simples Reparturhandbuch wirkt Wunder und wer lesen und verstehen kann, ist klar im Vorteil. So einfach ist das – fast.

Ironhead Sportster für 2.500 Euro Startgeld

Die für das Projekt verwendete 79er XL 1000 stand im Internet bei mobile inseriert, hat lediglich 2.500 Euro gekostet und war ein in ehrlicher Gammeligkeit daherkommendes Ratbike. Aluriffelblech zum Sitzen, Gussrad vorne, Speichen hinten. Der Vorbesitzer erzählte, dass mehrere Leute das Bike nicht kaufen wollten, weil es ölte. Bei dem Preis auch noch museumskonserviertes Altmaterial erwarten? Eher nicht …

Authentisches Gusseisen: Die Zylinder des Eisenkopf-Aggregats besitzen noch immer die originale Bohrung, in der originale Kolben werkeln. Moderat modifizierte und geportete Zylinderköpfe sorgen für mehr Druck im Keller

Die Eisenkopf-Sportster sah richtig scheiße aus, lief anfangs nur auf einem Zylinder und machte dabei ein ungutes Geräusch von der Kickermechanik her. Das Bike war ursprünglich kanadisch, hatte bereits den ab 1979 verbauten, geänderten Rahmen und war früh nach Deutschland exportiert worden.

Ironhead Sportster Projekt RR 1000 „Boulevard-Tracker“

Da das Bike nicht ernsthaft an Flattrack-Rennen teilnehmen soll, wurde der „Boulevard-Tracker“ ersonnen. Ein Bike, welches cool daherkommt und einen fetten Auftritt vor dem Szene-Café oder beim Treffen garantiert und das trotzdem durch aktuelle Modifikationen jede Menge Fahrspaß garantiert. Weil, einen schwabbeligen Rahmen, sieche Federung und beschissene Bremsen braucht kein Mensch. Denken wir die Idee zu Ende, ist es keine Wissenschaft: Man nehme ein stilsicheres Bike der 60er oder 70er Jahre, verstärke, wenn notwendig, den Rahmen, suche sich eine zeitgemäße gebrauchte Gabel, Räder und Bremsanlage, (z.B. bei Internet-Auktionen) und kröne das ganze mit Tank und Sitz nach Wahl. Das Ergebnis ist individuell und preiswert.

Details sind alles! Und deswegen vor der Kür erst die Pflicht: das heißt zusammenbauen, anschauen, den Zusammenhang suchen. Demontieren, anpassen, Halter bauen, Verstärkungen anschweißen … und dann das Ganze wieder von vorn. Wenn irgendwann alles stimmt, kommen die Oberflächen und der Motor dran

Preiswert ist das Stichwort, weil das Budget bei diesem Projekt minimal war, und deswegen in einer Art „run what you brung“ das verbaut werden sollte, was in der Asservatenkammer zu finden war. Ganz hat das natürlich nicht gereicht, Teile zum Gegenwert des Startgeldes, wie zum Beispiel die neuen Stoßdämpfer, mussten am Ende eingekauft werden. Aber beschränkte Mittel schärfen die Sinne und Kreativität.

Vorplanung und Teilesichtung

So begann das RR 1000-Projekt (RR für Race Replika, weil eine XR ist es nicht) am Computer. Dort wurden einige Ideen visualisiert. Nicht in vorzeigbarer CAD-Qualität, sondern nur um Proportionen und Farben zu sichten und zusammenhängende Gestaltungslinien zu finden und zu verstehen. Danach folgt dann der beste Teil eines jeden Projekts, die vorbereitende Gestaltungs- und Teilesichtung. Dazu wurde das Bike bis auf Rahmen und Motor gestrippt und mit Hilfe von Pappe, Draht und Kabelbindern versucht darzustellen, wie verschiedene Gestaltungen und Teile am fertigen Bike wirken würden.

Am Anfang steht die Teilefindung. Storz-Alutank, klar das passt immer! Flattrack-Heck auch, aber dann Auspuff, Krümmer, Fuß-, Beinfreiheit, Lenkerhöhe? Wenns keine Trailerqueen werden soll: Immer wieder Probesitzen! Dann sieht ein Bike nicht nur gut aus, es fährt auch so!

Eine der legendären Roma-Gabeln von White-Power, Brembo-Bremszangen rundrum, Speichenfelgen und lange Stoßdämpfer sollten die Basis bilden. Ergänzt durch einen fast 20 Jahre aufbewahrten Storz-Alutank, der damals für eine „ganz besondere Gelegenheit“ weggepackt wurde und nun in Kombination mit einem Heck im XR-style obenrum die Linie des Bikes bestimmt.

Ironhead Sportster als Boulevard-Tracker

Als nächstes wurden dann sämtliche Teile angepasst und am Rahmen die notwendigen Haltepunkte geschaffen. Merke: je mehr Mühe Du dir hier gibst, desto stimmiger kommt das Bike später daher. Deswegen macht es Sinn, das Bike immer wieder komplett mit allen Anbauteilen zu montieren, bevor der Rahmen beschichtet oder die Teile lackiert werden. Nichts ist ärgerlicher, als später eine Halteschelle montieren zu müssen, wo bei sorgfältiger Vorbereitung ein angeschweisster Halter eleganter gewesen wäre oder beispielsweise ein Kabel hätte verdeckt verlegt werden können, welches dann aber mit Kabelbindern am Rahmen befestigt werden muss.

Kaum zu glauben, aber der verranzte Eisenkopf-V2 war vollkommen original!

Der Rahmen wurde im Bereich der oberen Stossdämpferaufnahme verstärkt, in der Heckunterverkleidung ein gutes Versteck für die Elektrik konzipiert. Weitere Rahmenänderungen lassen die integrierten Heckblinker und den Übergang zum Flattrack-Heck harmonisch aussehen. Der neu gebaute Öltank hängt schwingungsentkoppelt in Federn und trägt genauso wie der rahmenfeste Ölfilterhalter einen Schutz gegen vom Hinterrad aufgewirbelte Steine.

2-in-1-in-2 mit einem frühen Interferenzpunkt für viel Drehmoment

Die für die gewählte Fahrwerksgeometrie notwendigen langen Stoßdämpfer sehen furchtbar crosslastig aus und sollten durch eine geschickt verlegte Abgasanlage optisch weniger markant wirken. Dabei sollte der auf einer Seite verlegte XR-typische Doppelauspuff unbedingt vermieden werden, weil es ja eben keine XR werden sollte. So kam man nicht daran vorbei, eine komplette Auspuffanlage zu bauen. 2-in-1-in-2 mit einem frühen Interferenzpunkt für viel Drehmoment aus dem Keller und Krümmer von exakt gleicher Länge standen im Pflichtenheft. Also wurden einige gerissene Buell-Rohrrahmenkrümmer zur Organspende gebeten, die sich nun als bandagiertes Geflecht um das Bike schlängeln und in den geradlinigen Megaphonen enden. Eine wahre Eisenkopf-Symphonie.

Moderat modifizierte und geportete Zylinderköpfe sowie freie Atemwege lassen die 60 Pferdchen stramm antreten

Viele weitere Teile wurden extra für das Projekt angefertigt, wie die hintere Bremsankerplatte, Halterungen für Fußrasten, oder der rahmenseitige Lenkanschlag. Die verheerend aussehende dünne Serienschwinge der Ironhead Sportster wurde verstärkt und mit einer einstellbaren Stoßdämpferaufnahme sowie neu angefertigten Kettenspannern versehen. Bei der Gelegenheit wurde auch die völlig zerstörte Schwingenlagerung instandgesetzt. Drehen, Fräsen, Bohren und Schweißen sollte man natürlich beherrschen, sonst wird ein solches Projekt nix; oder man sollte zumindest Freunde haben, die sowas können …

Projekt Ironhead Sportster: Oldschool meets New Age

Klarglasscheinwerfer und Mini LED-Rücklicht unterstreichen, dass der Eisenkopf im neuen Jahrtausend angekommen ist. Das Fahrwerk ist mit der stabilen USD-Gabel in den eigens gefertigten Gabelbrücken und den Progressive Suspension-Stoßdämpfern auf der Höhe der Zeit. Die Bremsanlage, deren vordere Leitungsführung durch das Lenkrohr führt, verzögert nun dank Brembo-Stoppern und überarbeiteter Bremsscheiben zeitgemäß. Der LSL-Fat Bar-Lenker und die Bedienelemente aus gleichem Hause sorgen zusammen mit dem Lenkungsdämpfer für ein sportliches Ambiente.

Die beiden Exan-Tüten machen auf dicke Hose und sorgen für einen fetten Bass

Bei den Felgen kam hinten die ursprüngliche 16 Zoll-Felge zum Einsatz, vorn wegen der etwas zu kurzen Gabel eine 21 Zoll-Akront-Alufelge. Beide waren so verwarzt, dass sie mit den Naben und vielen weiteren Teilen inklusive des Rahmens in der Farbe des Herren pulverbeschichtet wurden. Schwarz passt immer. Die wenigen Lackteile wurden in sattes Customgelb getaucht, die Seiten des Alutanks poliert und darüber mit einem Dekal in mattschwarz versehen. Ein rotes Pinstriping von Tom Gus sorgt für Kontrast und verstärkt die Boulevard-Wirkung des Bikes.

Positive Überraschung: Der Ironhead-Motor

Eisenkopfmotoren sind zuverlässige Gesellen, wenn sie fachgerecht revidiert und gewartet werden. Teile sind problemlos zu bekommen, lediglich brauchbare originale Zylinder sind wegen der Übermaßwut während der 80er Jahre schwer zu finden. Die im Zubehör angebotenen Neuzylinder sind teilweise von grausiger Gußqualität.

Zur Nachahmung empfohlen: „Beyond bolt on“ – die richtige Basis, ein paar gute Ideen, viel Arbeit und wenig Kohle machen am Ende ein richtig geiles Bike bei dem Fahrspaß und Auftritt stimmen

Das billig gekaufte Ratbike war in Sachen Motor ausgesprochen dankbar. Beim Zerlegen kam schnell die Ahnung auf, dass Zylinderköpfe und Cam-Cover noch original montiert waren – und so war es. Zylinder in Originalmaß! Lediglich im Primär-Departement und Getriebe hatten die Vorbesitzer ihr Unwesen getrieben, was inklusive des defekten Kickertriebs schnell instandgesetzt war.

In Sachen „Fahrspaß per Euro“ ganz weit vorn

Ein Satz nie verbauter, vor Urzeiten moderat modifizierter und geporteter Zylinderköpfe kam nun endlich zum Einsatz. Das Motorgehäuse wurde äußerlich überschliffen und die Oberflächen sämtlicher Motordeckel instandgesetzt und beschichtet beziehungsweise poliert. Der 79er-Motor konnte ursprünglich sowohl per Elektro- als auch per Kickstarter zum Leben erweckt werden. Um Platz für die Auspuffführung zu bekommen und damit die Rohrführung möglichst eng am Motor erfolgen konnte, wurde auf den E-Starter verzichtet und die Cam- und Sprocket-Cover entsprechend modifiziert.

Tom Gus veredelt den Stortz-Tank mit ein paar sauber gezogenen Pinstripes

Die RR 1000 wird mit den Maßnahmen keine wirkliche Rennmaschine. Sie steht aber dank offener Beatmung mit drehmomentorientierten 60 PS gut im Futter und fährt sich mit der kurzen Sekundärübersetzung ausgesprochen knackig. Gäbe es eine Wertungskategorie Fahrspaß per Euro, so wäre der Boulevard-Tracker ganz weit vorne.

Youngtimer-Upgrade

Ein Neumotorrad mit Erzeugnissen der Zubehörindustrie im Oldschool-Stil umzubauen ist nicht jedermanns Sache. Coole Optik, zuverlässige Technik und zeitgemässes Fahrvergnügen treffen auf überbordende Elektrik, Euro-Normen und einen tiefen Griff in die Tasche. Für diejenigen die es etwas kerniger möchten, auf der Suche nach dem Ursprünglichen des Motorradfahrens sind und vielleicht auf den Euro schauen müssen, ist das Upgraden eines Youngtimers eine spannende Sache. Die Möglichkeiten sind unendlich, die Reglementierungen geringer als bei neuen Fahrzeugen und die Basis-Bikes wie Triumph Bonnevilles, Harleys Ironhead Sportster und auch die kleinen Evos, BSAs oder Nortons sind noch halbwegs preiswert zu bekommen.

Fazit
Es macht keinen Sinn sich zu überschätzen. Veränderungen am Fahrgestell und in der Fahrwerksgeometrie wollen durchdacht und erprobt sein, damit am Ende etwas Fahrbares dabei herauskommt. Und man tut gut daran, den Umbau vorab mit dem TÜV zu besprechen, damit der am Ende auch seinen Segen gibt. Spaß macht, was funktioniert und zuverlässig ist. Daher sollte man beim Triebwerk keine Kompromisse eingehen und notfalls bei einem Spezialisten eine Komplett-Revision vornehmen lassen. Nichts turnt mehr ab als ein beschissener Antrieb in coolem Outfit.

Info | nccr.eu