Kein Getriebe, kaum Bremsen: Bei Laurent Dutruels modernem Boardtracker schmiegt sich ein Minimum von Rahmen um den V-Twin einer Buell XB9

Ob Laurent Dutruel mehr Techniker oder mehr Künstler ist, kann man nicht mit letzter Sicherheit sagen. Der französische Customizer hat schon so manches Custombike auf die Räder gestellt, das sich jeglichem Trend entzog. Wenn Laurent ein Motorrad baut, kann man sicher sein, dass es sich um etwas ganz Spezielles handelt. 2009 trat der Franzose zum ersten Mal auf dem Salzsee von Bonneville an, die BUB Speed Trials bieten mit ihren zahlreichen Klassen und vier Streckenlängen eine ideale Basis für zweirädrige Rekordjäger – denn hier werden die Rekorde für die Listen von AMA und FIM registriert. Nach seinem ersten Besuch in Bonneville wusste Laurent, dass sein nächstes Bonneville-Bike etwas ganz Besonderes sein würde: Ein spezieller Boardtracker für Geschwindigkeits-Weltrekorde.

Buell XB9 auf Rekordjagd

Rückblende: 1995 baute der japanische Customizer Masayuki Morimoto einen minimalistischen Boardtracker, der im Stil wegweisend war und Laurent bei diesem Projekt stark beeinflusste. Und wie das Leben so spielt, besuchte ausgerechnet dieser Masayuki Morimoto dieses Jahr mit einem japanischen Journalisten die BUB Speed Trials – und war begeistert von Laurents Maschine, deren Design sehr stark an seine „Hagakure“ angelehnt ist. In Laurent Dutruels modernerer Version schmiegt sich ein Minimum von Rahmen um den V-Twin einer Buell XB9. Ein Getriebe sucht man vergebens. „Ich wollte einen echten Boardtracker, so, wie die Maschinen in den 20ern Jahren des letzten Jahrhunderts über die Holzplanken donnerten”, erklärt Dutruel. Also amputierte er das Getriebe weg!

Hier das Vorbild für Laurent Dutruels Tribute-Bike. Das Bike „Hagakure“ entstand 1994/95 im Custom-Shop „Saga MC“ in Yokohama unter den Händen von Masayuki Morimoto. Der Antrieb ist ein aufgehübschter 1200er Shovelhead von 1978. Dutruel übernahm alle Stilelemente annähernd eins zu eins, interpretierte diese aber neu.

Der Primärantrieb arbeitet lediglich auf eine Zwischenwelle, von der aus der Sekundärtrieb ans Hinterrad weitergeht. Die Übersetzungsanpassung geschieht über Änderung der Ritzel und Kettenräder. Laurent baute Rahmen, Gabel, Sitz und Tank, das Vorderrad stammt von einer H-D Rocker, das hintere von einer V-Rod. Der Öltank ist minimal und sitzt hinter dem Kurbelgehäuse. Ein praktisches Detail und so noch nie an einem Salt Flat-Racer gesehen (und damit wohl patentverdächtig) sind die Bürsten an Vorder- und Hinterrad. Sie sorgen dafür, dass sich bei feuchtem Boden kein Salz am Reifen festsetzen kann.

Das Reglement schreibt Bremsen vor

Eigentlich hätte Laurent auch gerne komplett auf Bremsen verzichtet, aber das erlaubt das Reglement nicht. Zwar gibt es auf dem Salzsee genug Auslaufstrecke, aber die Fahrer sind bei den Rekordfahrten angehalten, die Fahrspur nach dem Durchfahren der Lichtschranke so bald wie möglich zu verlassen, um den nachfolgenden Racern die Strecke frei zu machen; somit können Taktfrequenzen von bis zu 3 Minuten zwischen den Rekordläufen erreicht werden. Hat der Fahrer die Sicherheitszone erreicht, startet schon der nächste.

Eigentlich hätte Laurent auch gerne komplett auf Bremsen verzichtet, aber das erlaubt das Reglement nicht

Was so einfach klingt, wird auch unter guten Sichtbedingungen problematisch. „Die Erde ist rund“ – diese Feststellung darf man heute verlautbaren, ohne dafür – wie noch Galileo Galilei – den Kopf zu riskieren. Aber nahe den Salzseen in Bonneville im US-Bundesstaat Utah kann man dies sogar mit eigenen Augen sehen! Satellitenmessungen haben ergeben, dass die Oberflächenhöhe der Bonneville Salt Flats nur um 20 cm schwankt – also folgt die ebene Salzkruste exakt der Erdkrümmung. Aus den Bergen oberhalb von Wendover kann man die aus Salt Lake City kommende Autobahn sehen, die hier 64 Kilometer flach und kerzengrade verläuft – doch die Autos scheinen über einen runden Hügel zu fahren.

Die Höhendifferenz steigt mit dem Quadrat der Entfernung

Es ist die Krümmung des Planeten! Tatsächlich liegt das Autobahnende über 325 Meter „tiefer“ als der Startpunkt in Wendover. Betrifft das auch die Rennstrecke? Der Taschenrechner fördert Erstaunliches ans Tageslicht, denn die Höhendifferenz steigt mit dem Quadrat der Entfernung! Auf den 8.851 Metern bis zur Mitte der Rennstrecke beträgt die Höhendifferenz 6,148 Meter, bis zum Streckenende bei Meile 11 gar stattliche 24,59 Meter! Da wundert man sich nicht mehr, dass man die Motorräder so spät nach der Startmeldung sieht – ganz plötzlich ist der Planet viel kleiner als man denkt …

Der schmale Rahmen erwies sich bei höheren Geschwindigkeiten als Zappelphilipp. Auch der versuchsweise Umbau auf eine Telegabel half nicht weiter

Beim ersten Versuch am Sonntag hatte Laurent Pech. Nach Stunden in der brütenden Hitze des Vorstarts erreichte er die Startposition erst, als die Läufe für den Tag schon beendet waren. Dafür durfte er montags dann ganz vorn an den Start: Er hatte beste Bedingungen bei kühler Luft, frisch präparierter Strecke und minimalem Wind. 108 mph, also 172 km/h, waren trotzdem ein ernüchternder Wert. Die Vergaserabstimmung bedurfte einiger Feinjustierung, denn der Höhenunterschied zwischen der französischen Riviera und den Bonneville Salt Flats beträgt 1.285 Meter! Die Zielsetzung von Laurent waren 200 km/h – und das ist noch ein ganzes Stück vom Klassenrekord entfernt, der bei 148,937 mph oder 238 km/h liegt.

Buell XB9 mit Sidewinder-Schlangen-Fahrwerk

Schon am nächsten Tag knackt Laurent diese Marke mit 130 mph, also 208 km/h, aber während im Motor noch Potential steckt, verwindet sich das filigrane Fahrwerk wie eine Sidewinder-Schlange. Vielleicht sind einige Dimensionen am Fahrwerk doch zu schwach ausgelegt? „Ich hatte im Gepäck zur Sicherheit noch eine Telegabel, für den Fall, dass sich das Fahrwerk als problematisch herausstellen sollte“, resümiert Laurent, „aber mal ehrlich, das Bike ist so nahezu unfahrbar!“

Zufrieden mit dem Bonneville-Einsatz: Customizer Laurent Dutruel

Am Dienstag entschließt sich das Team, die Gabel auszupacken und zu montieren – was in einer Stunde bewerkstelligt ist. „Das Fahrverhalten verbesserte sich zumindest ein wenig“, gibt Laurent zu, „die Geschwindigkeit aber nicht.“ Die nächsten Läufe brachten 122 und 128 mph – und der Donnerstag brachte wetterbedingt das Ende der Rekordfahrten, bevor Laurent die Fahrwerksprobleme in den Griff bekam. „Schade“, gibt Laurent zu, „aber wir haben unser Ziel erreicht.“ Rekorde waren ohnehin nicht geplant – das wäre mit einem Motorrad ohne Getriebe auch eine ziemliche Überraschung gewesen.“