Ex-Rocker Ahlsdorf und Collega Heil auf Strom. Als Anbeter von Verbrennungsmotoren wollen sie irgendwie keinen gemeinsamen Nenner in Sachen E-Antrieb und LiveWire finden. Philosophisches Streitgespräch.
Heil: Hey, Ahlsdorf: Hab ich das richtig gehört, dass Du alter BIKERS-NEWS-ROCKER neulich auf ’ner LiveWire gesichtest wurdest?
Ahlsdorf: Neulich ist gut, das ist mittlerweile schon ein Weilchen her.
Heil: Weiss ich ja, aber wie mir jetzt zu Ohren gekommen ist, bist Du auf Deine alten Tage tatsächlich ein Freund der Elektromobilität geworden. Schick! So geziemt es sich wohl für einen ehemaligen Rocker und Grünen-Wähler, wie?
Ahlsdorf: Vor vielen Jahren durften wir ja noch Harleys Prototypen fahren, die „Project Live Wire“. Und ich muss zugeben: Die Fahrt auf ihr war berauschend wie eine Nase Koks. Okay, es war das erste Mal, dass ich auf einer Elektro-Harley fuhr.
LiveWire – Geil nur beim ersten Ausritt?
Heil: Und?
Ahlsdorf: Ich bleibe skeptisch. Im Jahr 1843 schrieb der dänische Philosoph Sören Kierkegaard ein kleines Büchlein unter dem Titel „Die Wiederholung“. Er beschreibt darin ein Erlebnis, das erst die Drogis des nächsten Jahrhunderts wirklich nachvollziehen konnten: Kein Kokain-Rausch kommt noch einmal so geil rüber wie der erste. Kierkegaards Fazit: Es gibt keine Wiederholung.
Heil: Dein dänischer Philosoph irrt sich! Wenn jemand auf die Geilheit von Wiederholungen gebucht ist, dann ja wohl wir Harley-Fahrer. Das liegt vielleicht an unserem einfachen Gemüt. Hat der Kulturkritiker Tom Stark in seinem Buch über das Harley-Design nicht geschrieben, dass Harley-Fahrer wie kleine Kinder seien, die das gleiche Lied immer wieder hören wollen? Deshalb fahren wir seit Jahrzehnten das gleiche Motorrad und freuen uns jedesmal wie am ersten Tag. Eine Wiederholung scheint also möglich.
Ahlsdorf: Okay, bin ja auch Harley-Fahrer und weiß, was Du meinst. Ausnahmen gibt’s eben immer, trotzdem finde ich Kierkegaards Argument einleuchtend.
Heil: Gut, dann probier’s halt mit Mucke. Wenn Dich ein Song wirklich an den Klöten packt, wird er sogar ein ganzes Weilchen immer besser. Beim ersten Mal kannst du doch noch gar nicht erfassen, in welche Regionen von Herz und Hirn diese Töne noch vordringen werden.
Ahlsdorf: Der Philosoph Theodor W. Adorno empfiehlt dagegen die zwölftönige Musik, weil nur die das Seelenleben in stabilen Bahnen führt. Irgendwann geht’s nämlich wieder steil bergab: Wenn heute auf einem Treffen „Born to be wild“ aus den Boxen tönt, geh’ ich lieber die Kartoffeln abschütten, als mir diesen Song und eine abgehalfterte Lady anzutun, die mich barfuß und völlig abgefüllt antanzt.
Heil: Sowas passiert auch nur Dir. Du tust mir irgendwie leid …
Ahlsdorf: Das war jetzt auch nicht das Thema. Ich wollte was anderes sagen, bevor Du mich unterbrochen hast: Nach Kierkegaard dürfte nämlich das zweite Mal LiveWire nicht mehr so geil sein.
LiveWire – Drehmoment aus dem Keller und schaltfreies Fahren
Heil: Aha, gab es ein zweites Mal?
Ahlsdorf: Na ja, in den Genuss der serienmäßigen LiveWire sollte ich leider nicht mehr kommen, weil Kollege Heinrich sie in den letzten Tagen der alten DREAM-MACHINES in ein Auto rammte, das ihm die Vorfahrt genommen hat. Deshalb hier mein Urteil zur Elektro-Harley, wie ich sie kenne: Ja, sie hat den besseren Motor. Sprichwörtlich aus dem Stand heraus legt sie mit einem gewaltigen und vor allem linearen Drehmoment los, das bis zum Schluss nicht nachlässt. Schalten? Vergiss es. Also vergiss es wirklich!
Heil: Drehmoment aus dem Keller und schaltfreies Fahren: Waren das nicht die Parameter, die einst für einen guten Harley-Motor in Stein gemeißelt waren?
Ahlsdorf: Die Elektro-Harley hat den besseren Motor. Das bedeutet für uns aber nichts. Der Philosoph Hans-Georg Gadamer würde hier ein hermeneutisches Phänomen diagnostizieren.
Heil: Oh nee, nicht noch einer!
Ahlsdorf: Extra für Dich, Carlos. Jeder versteht einen Sachverhalt eben anders. BMW baut ja auch die besseren Motorräder. Wir bleiben trotzdem auf unseren gusseisernen Harleys sitzen, weil wir nämlich auf dem materialisierten Mythos sitzen und seine Flamme weitertragen.
Heil: Auch, wenn die Flamme nur noch glimmt wie eine schlecht ausgetretene Zigarette. Wir wollen die paar Jahre, die uns noch bleiben, ja auch erleben. Mittlerweile sind drei meiner Kumpel von so einem Elektroteil unsanft abgestiegen. Und das sind alles Jungs, die wissen, wie man ein Pferd reitet. Aber dieser Elektrohuf fällt ja derart ungestüm übers Hinterrad, dass der walkende Gummi einen vom Gaul schmeißt.
Ahlsdorf: Hm, sollte man denen dann nicht noch eine Traktionskontrolle verpassen, wenn man schon so elektrisch ist?
Twin Cam mit materialmordenden 480 Umdrehungen bei Standgas
Heil: Traktionskontrolle haben die alle, aber die scheint hie’ und da schlicht überfordert. Und überhaupt – ich will doch keine Nullen und Einsen darüber entscheiden lassen, wieviel von meinem Ziehen am Hahn am Hinterrad ankommt. Ein bisschen mehr Eigenverantwortung, bitte!
Ahlsdorf: Der Zug ist doch schon längst abgefahren. Mein Kumpel hat in seine Twin Cam ein Steuermodul von Thundermax eingebaut. Tja, dieser äußerlich so klassische Harley-Motor wird elektronisch geregelt befüttert. Wir vergessen das schnell, wenn wir wie Waldorf und Statler über Neuerungen nörgeln. Mein Kumpel also hat dieses Modul verbaut, seinen Laptop drangehängt und die Standdrehzahl seiner Twin Cam auf materialmordende 480 Umdrehungen heruntergeregelt. Dabei soll eine Twin Cam aus dieser Baureihe im Stand doch zwischen 800 und 1200 drehen. Wenn ich an der Ampel neben ihm stehe, macht es mich fertig, wie diese Kolben sich mühsam hochquälen, gerade noch den Totpunkt überwinden und dann mit einem Knall, den niemand mehr erwartet, in den müden Schwung einer weiteren Umdrehung versetzt werden, die nun aber wirklich die letzte zu sein scheint.
Heil: So muss es sein! Ich will mir aber eben nicht von einem Rechnermodul die Leerlaufdrehzahl oktroyieren lassen, um es dann wiederum mit dem Laptop zu verarschen …
Ahlsdorf: Das war früher wirklich besser: Der Born to be Wild MC hatte auf seinen ersten Harley-Jamborees einen Contest ausgerichtet. Gewinnen sollte der am niedrigsten eingestellte Harley-Motor, der gerade noch läuft. Das war zu einer Zeit, als die Big Twins noch mit Vergaser befüttert wurden, und es war eine hohe Kunst, mittels zweier Stellschrauben und nur nach Gefühl die richtige Einstellung zu finden.
E-Lover aus Alterstrotz
Heil: Und? Ist das Gleiche mit Mausklick-Tuning am Laptop noch sportlich? Ach Gottchen, das ist ja auch überhaupt nicht gut für den Motor! An den Stammtischen sagen die einen, die Lichtmaschine würde bei solch niedrigen Drehzahlen nicht mehr versorgt werden. Andere sagen, die Ölpumpe würde keinen Schmierstoff mehr liefern. Und dann kommt noch dazu, dass die Kurbelwellenlager unter der niedrigen Drehzahl leiden wie Hund.
Ahlsdorf: Also das wäre jetzt eine Diskussion, die ich in ewiger Wiederholung und mit ewig gleicher Lust an jedem Stammtisch weiterführen würde. Die Motor-Komponenten leiden nämlich genauso unter zu niedriger Vergaser-Einstellung.
Heil: Okay, Future-Man, leck mich.
Ahlsdorf: Wo bitte liegt denn Dein E-Problem? Spüre ich Hass?
Heil: Ja, Mann. Dieses Geschwafel, dass ein 2,5-Tonnen-SUV mit E-Power einen zum grünen Engel macht, nervt mich. Dann doch lieber einen altgedienten Vergaser-V2 treiben, das kann umwelttechnisch unmöglich schlechter sein.
Ahlsdorf: Fast sind wir uns einig! Ich bin ja E-Lover aus Alterstrotz. Nicht, weil ich mal angegrünt war, sondern weil es mir heute klammheimliche Freude bereitet, den Grünen ihren Strom wegzunehmen, und das mit hirnrissigem Motorradfahren.
Heil: Hirnrissig ist Motorradfahren doch wohl nur, wenn man ohne Helm auf’s Maul fällt. Ich seh’s so: In den Bürgerkäfigen sitzt meist eh nur ein einziges Menschlein, das aber tonnenschweres Material spazieren fährt. Da ist es egal, ob Elektro oder Verbrenner – das kostet einfach Unmengen Energie. Und solange der Strom überwiegend mit Kohle erzeugt wird, ist die Ökobilanz wohl kaum weniger mies als bei einem Verbrenner. Da scheint mir ein leichtes, wendiges Zweirad mit E-Power schon zielführender. Bei Harleys schickem Pedelec geht mir förmlich das Herz auf. Zum Pendeln ist das doch eine durch und durch feine Sache.
Mit der LiveWire zum Rockerstammtisch
Ahlsdorf: Wenn ich mich recht erinnere, hast Du Dir auf so einem Teil fast den Schädel zertrümmert, weil Du einfach keinen Helm tragen willst. Das ist alte Schule, was?
Heil: Schädel und Schlüsselbein, ist aber wieder heile. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass diese Diskussion unsäglich ist und jetzt enden muss. Kauf’ Du Dir von mir aus ’ne LiveWire und am besten noch ’nen Tesla und fahr’ damit zu Deinem Rockerstammtisch. Aber Vorsicht, die Jungs könnten Dir unter Umständen ’ne E-Schelle verpassen …
Info | livewire.com