Bei keiner anderen Motorradmarke gibt es dieses Phänomen. Einzig und allein die Fahrer eines Milwaukee Irons beschäftigen sich ebenso intensiv wie leidenschaftlich mit dem Standgas des Harley V2. Wir beleuchten den Hype um möglichst niedrige Leerlaufdrehzahlen und klären über so manche Stammtischweisheit auf.
Fakt ist: Nichts ist dem Harley-Fahrer so wichtig wie der Sound seines V2. Selbst die fanatischsten Originalheimer vergessen beim Thema Auspuff alsbald ihr Credo und heißen wohlklingendere Zubehörtöpfe an ihrem ansonsten serienmäßig belassenen Fahrzeug willkommen. Das Verbauen anderer Töpfe dürfte die am meisten durchgeführte Änderung an Motorrädern von Harley-Davidson sein. Doch das allein genügt so manchem Zeitgenossen nicht. Hardcore-Fans streben noch nach etwas anderem. Sie erfreuen sich an dem legendären Sound bei Leerlaufdrehzahl, den findige Marketingleute von Harley einmal mit der wirklich passenden Lautmalerei „Potato Potato“ beschrieben haben. Probiert’s selbst mal aus: Sagt einfach unmittelbar vier Mal hintereinander „Potato“ und ihr werdet erkennen, dass die Taktung der Silben genau der Taktung des Auspuffgeräuschs entspricht.
Niedriges Standgas beim Harley V2 dank Vergaser
Der Knackpunkt: Diesen unregelmäßigen Potato-Sound kann man nur mit niedrigsten Drehzahlen im Leerlauf erzeugen. Und da kommen die modernen ECU-gesteuerten Motoren ins Spiel. Der Bordcomputer und dessen Mapping haben vehement was gegen niedrige Leerlaufdrehzahlen, was die Umbau- und Tuningszene auf den Plan gerufen hat. Denn es gibt genügend Biker, die trotz der Aufnötigung eines Hersteller-Mappings auf eine niedrige Leerlaufdrehzahl bestehen. Anfragen in diese Richtung erreichen viele Harley-Vertragshändler. Wir haben uns mit den Prüfstandsgurus von Börjes Harley-Davidson Weser-Ems gemeinsam dran gesetzt, um die Möglichkeiten und auch die Konsequenzen zu benennen, die eine Leerlaufreduzierung bei den drei letzten Motorengenerationen Evo, Twin Cam und Milwaukee-Eight mit sich bringt. Darüber hinaus nennen wir noch ein paar Lösungen, die verkehrsrechtlich zwar nicht zulässig, aber technisch möglich sind.
Des Mechanikers und des Kunden Glück: Bei Vergaser-Motoren lässt sich der Leerlauf mit einem Schraubendreher einstellen
Fangen wir sinnigerweise mit dem Evolution-Motor an. Der wurde mit dem Modelljahr 1984 inthronisiert und – für Harley typisch – schlanke 15 Jahre lang, nämlich bis ins Modelljahr 1999 hinein gebaut. Da alle Evos noch mit Vergasern befeuert wurden, haben es Freunde niedriger Leerlaufdrehzahlen besonders leicht. Bei Vergasern wird diese in aller Regel über die Stellung der Drosselklappe eingestellt (Stichwort Luftzufuhr). Es bedarf also lediglich eines Schraubendrehers, mit dem die Drehzahl an den entsprechenden Luft- und Gemischeinstellschrauben nach oben oder unten geregelt werden kann. Aufgemerkt: Gemäß Hersteller liegt die serienmäßig angedachte Leerlaufdrehzahl eines betriebswarmen Evo-Motors bei 1000 Umdrehungen, ein Wert, den Milwaukee zwar gerne sehen würde, in der gelebten Praxis aber so hoch sehr selten vorkommen dürfte.
Am unteren Limit: Harley V2 mit Standgas bei 600 Umdrehungen
Unsere Nachfrage bei etlichen Evo-Treibern ergab, dass deren Leerlaufdrehzahl im Mittel zwischen 700 bis 800 U/min eingeregelt ist. Bei Börjes hält man sogar 600 Umdrehungen für denkbar, ohne das Schäden am Material zu befürchten wären. Darunter aber „kann es zu Problemen kommen“. Eine andere Zahl ist geeignet, ungläubiges Kopfschütteln zu verursachen. Im Kaltstartbereich sieht Harley laut Herstellerleitfaden das Standgas bei größer gleich 2000 Umdrehungen. Bei diesem Wert graust es jeden, dem die Begriffe Schmierfilmaufbau, Maximalverschleiß und Kaltverschweißung geläufig sind.
Aber die Zeiten, in denen ein Schraubendreher genügte, sind (leider) vorbei. Bei Einspritzern muss man andere Geschütze auffahren – und einen Laptop bereithalten
Ansonsten sehen die Spezialisten aus dem Weser-Ems-Kreis eine niedrige Leerlaufdrehzahl beim Evo-Motor gelassen, denn die gemäß Hersteller geforderten 0,35 Bar Öldruck sind bei 600 Umdrehungen gewährleistet, man weist lediglich darauf hin, dass allzu niedrige Standgaseinstellungen Einfluss auf die Leistung des Generators haben und somit zu Problemen an elektrischen Komponenten führen können. Für die frühen, Vergaserbestückten Twin Cams der Modelljahre 1999 bis 2003 gelten die gleichen Aussagen wie oben im Kapitel Evo. Auch bei diesen Modellen kann die Leerlaufdrehzahl über die Drosselklappe eingestellt werden, bei älteren Modellen übernimmt dies der Vergaser über einen Luftbypass oder man regelt eine Schraube, welche den Gasschieber etwas höher hält. Bis auf 700 Umdrehungen können Vergaser-Twin-Cams runtergeschraubt werden, ohne das Probleme zu befürchten sind. Aber auch hier gilt: Bei einer reduzierten Leerlaufdrehzahl sinkt die Leistung des Generators stark ab, es können Spannungsspitzen auftreten, die den elektrischen und elektronischen Bauteilen zusetzen.
Der Leerlauf wird über das Motorsteuergerät geregelt
Von Haus aus ist auch der Twin Cam werksseitig auf 1000 Umdrehungen Standgas konzipiert, die Weser-Ems-Jungs empfehlen gute 900 Umdrehungen. Ganz anders verhält sich das bei den Einspritzer-Twin-Cams. Harley führte diese schrittweise ein. Ab 2002 hatten einige Tourer eine Fuel Injection, auch einige wenige Softail-Modelle (Fat Boy, Deuce) konnten wahlweise damit geordert werden. Erst ab dem Modelljahr 2004 war die Vergaser-Ära bei Harleys Big-Twin-Motoren endgültig vorbei, ab da besaßen alle Twin Cams ausschließlich eine Einspritzanlage. Auf einen Schlag war Schluss mit lustig, denn eine Einspritzanlage wird von einem Bordcomputer befehligt und der wiederum greift auf Daten von im Schnitt 10 bis 12 Sonden und Sensoren zurück, allein, um das Einspritzmanagement zu berechnen.
Der Leerlauf wird also über das Motorsteuergerät geregelt. Das Electronic Control Module (ECM) überwacht die Drehzahl über den Kurbelwellensensor. Da die Drehzahl nicht konstant ist, wird ein Mittelwert errechnet. Der wird mit dem in der ECM hinterlegten Wert verglichen. Ist die Drehzahl zu hoch, erfolgt eine Reduktion der Luftzufuhr, ist sie zu niedrig, erfolgt eine Erhöhung der Luftzufuhr – alles elektronisch gesteuert.
Gut, aber ein Wahnsinn – Die Erhöhung der Schwungmasse
Einfach mal die Leerlaufdrehzahl runterregeln ist also nicht mehr. Wer das trotzdem will, muss kräftig in die Motor-Hardware eingreifen. Entweder muss mit einer anderen Kopfdichtung das Verdichtungsverhältnis reduziert werden, was automatisch mit einem Leistungsverlust einhergeht. In der Regel sollte dann auch auf eine Zündanlage vom alten Schlage (etwa Kontaktzündung) gewechselt werden, weil solche altbackenen Technologien viel robuster sind und weniger anfällig bei Überspannungen oder Spannungsspitzen. Theoretisch ist für einen stabilen niedrigen Leerlauf auch die Erhöhung der Schwungmasse denkbar. Solch eine Maßnahme allerdings zielt ganz tief ins Eingemachte des Motors. Hierfür müsste der Motor komplett zerlegt werden, um danach etwa die Kurbelwellenwangen an bestimmten Stellen auszufräsen und dann mit hochgradig dichten Wolfram-Inlets schwerer zu machen. Danach müsste die Kurbelwelle natürlich noch hochpräzise feingewuchtet werden. Stellt sich die Frage: Wer soll das bezahlen?
Auto Tune für PowerVision gibt’s zum Beispiel bei Custom Chrome. Im Bild die speziellen Lambda-Sonden
Für den Milwaukee-Eight gilt im Prinzip das Gleiche wie für die Einspritzer-Twin-Cams. Ein niedriger Leerlauf ist nur mit immensen Eingriffen und Kosten zu realisieren und von daher niemanden ernsthaft zu empfehlen. Allerdings haben die Entwickler bei dem Vierventiler der Kundschaft gewissermaßen ein wunschgemäßes Entgegenkommen verpasst, denn die reguläre Leerlaufdrehzahl beim betriebswarmen Milwaukee-Eight-Motor ist werksseitig für Europa auf – man höre und staune – 850 Umdrehungen festgelegt. Im Mutterland USA läuft er im Stand 100 Umdrehungen höher. Dafür liegt der Kaltlaufbereich in Europa bei ungesunden 1750 Umdrehungen, in den USA genügen 1450 Touren.
Perfekten Potato-Sound gibt’s nur mit Vergaser
Der Grund hierfür ist ganz einfach. Um die EU-Abgasnormen zu erfüllen, soll der Katalysator hierzulande schnellstmöglich auf Betriebstemperatur kommen, deshalb die hohe Kaltlaufdrehzahl. Dass dies den mechanischen Bestand teilen des Motor alles andere als gut tut, ist den verantwortlichen Gralshütern in den Umweltbehörden völlig egal. Wenn ein solchermaßen gequälter Motor mechanisch früher die Grätsche macht, muss halt ein neuer gebaut werden. Damit hat man dann der vielgelobten Nachhaltigkeit Genüge getan! Fazit: Wer perfekten Potato-Sound an seiner Harley haben möchte, sollte konsequenterweise auf ein originäres Vergaser-Modell zurückgreifen. Die Eingriffe, um einem Einspritzer-Twin-Cam ein niedriges Standgas zu verabreichen, sind gewaltig und vom Aufwand her kaum zu rechtfertigen. Und mit den serienmäßigen 850 Umdrehungen des Milwaukee-Eight kann man doch wirklich leben, oder!?
Elektronische Steuermodule
Eine andere Methode, die Leerlaufdrehzahl nach unten zu regulieren, ist das Verwenden eines der vom Handel angebotenen elektronischen Steuermodule. Die derzeit geläufigsten Geräte für Harley-Davidson-Motorräder sind der Dynojet Power Commander 6, das PowerVision oder das Thundermax mit Auto Tune. Beim Power Commander handelt es sich um ein Gerät, das „inline“ zwischen den originalen Bordcomputer (ECU) und die Einspritzanlage geschaltet wird. Danach müssen entweder vorgefertigte neue Mappings, die mitgeliefert werden, aufgespielt werden, besser aber ist es, eigene Mappings auf einem Leistungsprüfstand erstellen zu lassen. Der Vorteil des Power Commander ist, dass alles reversibel ist, will heißen, er kann ausgebaut und das originale Werksmapping wiederverwendet werden. Der Preis für den PowerCommander 6 liegt – modellspezifisch – zwischen 498 bis 569 Euro plus Einbau.
„Inliner“: Power Commander 6
Das Gerät PowerVision ist ein sogenannter Flasher. Mithilfe dieses Moduls kann man sich das – stets verbesserungswürdige! – Serienmapping anschauen und es gezielt verändern. Mit dem PowerVision kann man entweder vorgefertigte Mappings, die auf dem Gerät gespeichert sind, verwenden oder auf einem Prüfstand eigene Kennfelder erarbeiten, die in der Serien-ECU abgelegt werden. Mit einem separat anzuschaffenden Auto-Tune-Modul samt anderer Lambda-Sonden wird das Kennfeld während jeder Fahrt ständig neu optimiert. Gut: Auch hier ist alles reversibel in Richtung Serienmapping. Die Preise: PowerVision zirka 770 Euro, Auto Tune für PowerVision 660 Euro plus Einbau.
Optimalen Parameter für alle möglichen Fahrzustände
Einen tiefen Eingriff in die Motorradtechnik bedeutet das Verbauen des Moduls Thundermax mit integriertem Auto Tune, denn dieses Gerät ersetzt komplett die werksseitig verbaute ECU. Nicht nur die Serien-ECU weicht hierfür, auch die Serien-Lambda-Sonden werden durch spezielle Breitband-Lambdas ersetzt. Die gelieferte Thundermax-Software beinhaltet mehrere hundert Mappings, die auf Dyno-Prüfständen erarbeitet wurden. Die eigentliche Abstimmung erfolgt beim Fahren, indem das integrierte Auto-Tune-System mit den Spezial-Lambda-Sonden kommuniziert und daraufhin die optimalen Parameter für alle möglichen Fahrzustände ermittelt und abspeichert. Der Spaß kostet 1.324,– Euro plus Einbau. Natürlich lässt sich auch hier alles wieder zurückbauen.
Thundermax mit integriertem Auto Tune
Gerätschaften dieser Art gibt es im Aftermarket, zum Beispiel bei Micron, Custom Chrome und Co. Sie taugen auch was, das haben wir von DREAM-MACHINES in den letzten Jahren mehrfach getestet. Die Motoren laufen besser, gesünder, werden weniger heiß, haben mehr Power, machen viel mehr Spaß. Zum Schluss die schlechte Nachricht: Jeglicher Eingriff in die Motorsteuerung, wie etwa mithilfe der oben beschriebenen Module, ändert die Immissions- und die Emmissionswerte des Motorrads und führt zum Erlöschen der Betriebserlaubnis. Punktum!
Wir verwenden Cookies, um dir das beste Nutzererlebnis bieten zu können. Wenn du diese Seite verwendest, nehmen wir an, dass du damit einverstanden bist. Weitere Informationen findest du hier
Diese Website verwendet Cookies, um Ihre Erfahrung zu verbessern, während Sie durch die Website navigieren. Von diesen Cookies werden die nach Bedarf kategorisierten Cookies in Ihrem Browser gespeichert, da sie für das Funktionieren der Grundfunktionen der Website unerlässlich sind. Wir verwenden auch Cookies von Drittanbietern, mit denen wir analysieren und nachvollziehen können, wie Sie diese Website nutzen. Diese Cookies werden nur mit Ihrer Zustimmung in Ihrem Browser gespeichert. Sie haben auch die Möglichkeit, diese Cookies zu deaktivieren. Das Deaktivieren einiger dieser Cookies kann sich jedoch auf Ihr Surferlebnis auswirken.
Notwendige Cookies sind für das reibungslose Funktionieren der Website unbedingt erforderlich. Diese Kategorie umfasst nur Cookies, die grundlegende Funktionen und Sicherheitsmerkmale der Website gewährleisten. Diese Cookies speichern keine persönlichen Informationen.
Alle Cookies, die für das Funktionieren der Website nicht unbedingt erforderlich sind und die speziell zum Sammeln personenbezogener Benutzerdaten über Analysen, Anzeigen und andere eingebettete Inhalte verwendet werden, werden als nicht erforderliche Cookies bezeichnet. Es ist zwingend erforderlich, die Zustimmung des Benutzers einzuholen, bevor diese Cookies auf Ihrer Website verwendet werden.
Functional cookies help to perform certain functionalities like sharing the content of the website on social media platforms, collect feedbacks, and other third-party features.
Performance cookies are used to understand and analyze the key performance indexes of the website which helps in delivering a better user experience for the visitors.
Analytical cookies are used to understand how visitors interact with the website. These cookies help provide information on metrics the number of visitors, bounce rate, traffic source, etc.
Advertisement cookies are used to provide visitors with relevant ads and marketing campaigns. These cookies track visitors across websites and collect information to provide customized ads.