Boardtrack ist die Mutter aller Motorradrennen. Beim Vollgas-Rennspaß donnern am kommenden Wochenende wieder echte Boardtracker durch das Velodrom in Darmstadt. Es ist ein Erlebnis für alle Sinne, leider nur einmal im Jahr.
Es ist fast ein bisschen so, als wolle der eine Thomas dem anderen Thomas die Schau stehlen. Der hauptberufliche Lufthansa-Techniker Thomas Bund hat das Hinterrad seiner Excelsior Super X gerade auf dem mobilen Rollenstand fixiert und so den Oldtimer angeworfen. Nun brüllt und scheppert er im Konzert eines halben Dutzends weiterer historischer Boardtracker ohne Schalldämpfer. Rundum stimmen alle in das akustische Inferno ein.
Der 8-Valve-Racer von 1916 will nicht richtig laufen
Dünn erklingen da die Hilferufe des Harley-Dealers Thomas Trapp. Er hat seine Harley nach der gleichen Methode angelassen. Die historischen Maschinen haben weder Kickstarter noch Anlasser. Aber Trapps seltener 8-Valve-Racer von 1916 will nicht richtig laufen.
Die Anfänge …
Ende des 19. Jahrhunderts sind Radrennen vor allem in Frankreich in sogenannten Velodromen, ovalen Holz- oder Zementbahnen mit mächtigen Steilwänden, ein riesiger Zuschauermagnet. Und schon werden erste Motorräder als „Schrittmacher“ auf die Bahnen geholt, in ihrem Windschatten jagen tollkühne Radfahrer über die Bahn. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Motorräder nicht mehr nur Gastauftritte bei Radrennen haben, sondern die motorlosen Zweiräder hinter sich lassen und zu einer eigenen Sensation werden.
Thomas Bund also steigt wieder ab. Die Männer stellen fest, dass die Magnetzündung nicht richtig angesteuert wird. Ein kurzer Blick unter den Deckel offenbart es: Der Keil, der das Steuerrad auf der Welle fixiert, ist gebrochen. Thomas Trapp muss das Rennen abbrechen, seine Harley von der Strecke schieben und seine Werkstatt aufsuchen.
Motorräder, die vor einem Jahrhundert exklusiv für Ovale dieser Art gebaut wurden
Thomas Bund wiederum muss das Rennen ohne seinen Buddy fahren. Er ist trotzdem nicht alleine. Das halbe Dutzend anderer Boardtracker steht nun mit ihm auf der schrägen Bahn. Endlich. Nach unzähligen Kategorien von Rollern, Kleinkrafträdern, Gespannen, „Late Classic“, „Pre Classic“, „Wirtschaftswunder“ und sogar Autos fahren nun die Motorräder, die vor einem Jahrhundert exklusiv für Ovale dieser Art gebaut wurden.
Klar, nach dieser Aufregung stirbt auch die Excelsior ab. Bund schiebt sie nach oben, ganz außen an der Bahn. Die Maschine ist ja warm, und im Rollen abwärts dürfte sie prompt wieder anspringen. Das tut sie auch, das Rennen hat begonnen. Endlich fädelt Bund sich ein, und die Excelsior zieht ihre Bahnen. Das unter ohrenbetäubendem Radau, ohne einen weiteren Aussetzer, eisern, wie ja auch all die historischen Boardtracker noch aus Eisen sind.
Vor hundert Jahren nannte man diese Bahnen auch „Murderdrome“
Mal setzt Bund an und schwenkt auf die rechte, äußere Spur, die ja auch die höhere ist, mal bleibt er unten und lässt sich von anderen rechts überholen. Überholt werden darf nur rechts, damit es auf der Bahn keine Missverständnisse gibt. Früher, vor hundert Jahren, nannte man diese Bahnen auch „Murderdrome“, denn selbst geringstes Touchieren konnte auf dem engen Kurs tödlich enden. 100 Sachen sind allemal drin, wenn die Maschine gut läuft und der Fahrer die Linie hält.
Vollgas in den USA
Anfang des 20. Jahrhunderts wird Nordamerika zum Superlativ der Motorradrennen. Der erste Einzylinder wird von der Hendee Manufacturing Company – kurz darauf Indian Motocycle – 1901 vorgestellt, Harley-Davidson folgt 1903. Schnell entbrennt ein Konkurrenzkampf zwischen den beiden Marken. Und wo können die noch jungen Unternehmen besser zeigen, wer das Sagen hat, als im Wettkampf Mann gegen Mann, Maschine gegen Maschine.
Die Rennen werden zunächst auch in den USA noch auf Pferde- und Radrennbahnen ausgetragen, bevor ab 1909 die ersten hölzernen Ovale speziell für Autos und Motorräder gebaut werden. Der erste Boardtrack-Rundkurs entsteht in Playa del Rey in Kalifornien. Nach dem Vorbild französischer Radbahnen hat die Strecke an beiden Enden 25-Grad-Steilkurven, die die Piloten davon abhalten sollen, die Geschwindigkeit in den Kurven zu drosseln. Mit Handschuhen Schutzbrillen und Wollpullovern ausgestattet rasen die Biker mit bis zu 100 Meilen (160 km/h)pro Stunde an zehntausenden Besuchern vorbei.
Es ist kein ganz hartes Rennen, die Starts erfolgen fliegend, echte Zweikämpfe will hier keiner riskieren. Die Preise der seltenen und wertvollen Maschinen sind schließlich kaum zu benennen. Nach einer Viertelstunde schwenkt der Streckenwart die Zielflagge. Alle rollen wieder unter ihre Zeltpavillons. Die sind dringend nötig. Der Wetterbericht hat für diesen Samstag 36 Grad Hitze angekündigt.
Die Zielflagge wird geschwenkt
Thomas Bund aber bleibt in seiner historischen Lederhose und seinen sorgfältig geschnürten Stiefeln, zweimal zwölf Ösen. Die Fingerei will er sich nicht noch einmal geben. Sein antiquiert wirkender Helm ist übrigens tatsächlich antik, war aber ursprünglich ein Football-Helm. Motorradhelme nach DIN-Norm gab es vor hundert Jahren noch nicht. Immerhin, diesen Helm legt er für die nächsten zwei Stunden ab.
Der Mann steckt was weg. Lässig fläzt der Lufthansa-Techniker sich in seinen Campingstuhl und zündet sich die nächste Zigarette an. Er hat mehrere Bücher über die heute so seltenen Excelsior-Maschinen geschrieben – und über Boardtrack, einen Motorradsport, der nur in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts ernsthaft betrieben wurde, weil er einfach zu gefährlich war. Über seine Excelsior weiß er alles, und an ihr kann er alles. Sie ist so gut in Schuss, dass er sie einfach aufbockt und bis zum nächsten Lauf abkühlen lässt. Keine Einstellarbeiten, keine Reparaturen. Einfach Mittagspause.
Es kann heiß werden, beim Vollgas-Rennspaß in Darmstadt
Nach der Pause sind die 36 Grad erreicht. Als zum zweiten Rennen geblasen wird, steckt Thomas noch immer in seiner Lederhose und hebelt die Excelsior wieder auf die Rollen, um sie anzulassen. Die Banden des Ovals sind bereits geschlossen, da werden sie noch einmal aufgerissen. Thomas Trapp ist wieder da, schiebt seine Harley eilig über die Bahn, wirft sich in seine Klamotten und hebelt die Eight-Valve ebenfalls auf die Anlassrollen. Der Keil ist gefeilt, sie läuft wieder!
Bund ruft freudig: „Thomas, du bist ein Held! Darf ich weiter „du“ zu dir sagen?“ Jetzt brettern die beiden wieder gemeinsam über die Bahn, mal der eine rechts, mal der andere. Aber weil Trapps Eight-Valve Pedale hat und die vor jeder Kurve umpositioniert werden müssen, gerät Trapp in der Hektik an ein Zündkabel und löst den Stecker – wieder raus. Zum Glück muss er diesmal nur den Stecker fixieren, dann geht’s wieder auf die betonierte Bahn.
Es geht nur ums Dabeisein beim Vollgas-Rennspaß
Dabei wollten wir doch eigentlich über Thomas Bund schreiben und nicht über Thomas Trapp. Aber Thomas Bund dreht einfach nur seine Runden, eisern und unter ohrenbetäubendem Radau. Bis Thomas Trapp sich mit fixiertem Stecker wieder zu ihm gesellt. Mal der eine rechts, mal der andere. Es ist ja kein echtes Rennen, es geht um nichts. Es geht nur ums Dabeisein beim Vollgas-Rennspaß im Darmstädter Velodrom. Nächsten Samstag, am 22. Juni 2024 ist es wieder soweit …
Info | vollgas-rennspass.de