Es ist wie mit Drogen: Beim ersten Mal wird einem schlecht, aber dann wird man süchtig. Im Rahmen des Vollgas Rennspaß in Darmstadt sind wir mit einer V-Rod im Oval steil gegangen …

Es ist wie in einer Rummelbude: Alle physikalischen Gesetze werden in ihr Gegenteil verkehrt. Da kann die Fahrt im Oval schon mal der Fahrt in einer Kotzmühle gleichen. Dabei genieße ich doch eine persönliche Einweisung. Thomas Kern ist einer der Veranstalter des „Vollgas-Rennspaß“-Rennens in Darmstadt. Er klärt mich über den Sinn der Linien auf: „Die rote Linie ist die Linie, die exakt die 333 Meter bezeichnet, die diese Bahn lang ist.

Die V-Rod mit ihrem 240er Hinterreifen taugt nicht für die Bahn

Und die ideale Linie deiner Fahrt liegt zwischen der roten und der blauen Linie darüber.“ Das war’s schon? Nicht ganz: „Wenn du eine Rundenzeit von 12 Sekunden hast, dann bist du exakt 100 Stundenkilometer gefahren. Aber das solltest du nicht gleich riskieren.“ Natürlich nicht. Überhaupt muss ich meine Erfahrungen erst mal selbst machen. Und das geht schnell: Es ist schon schwierig genug, die V-Rod mit ihrem 240er Hinterreifen in die Gerade hineinzumanövrieren und dort senkrecht zu halten, weil dann der breite Reifen außerhalb der Mittellinie auf seiner Flanke rollen muss.

Thomas Kern erklärt das mit den Linien: „Die rote Linie ist die Linie, die exakt die 333 Meter bezeichnet, die diese Bahn lang ist.“

Mit kraftzehrendem Gegenlenken auf der um 30 Grad geneigten Bahn gelingt es mir, ein paar Meter geradeauszufahren. Und dann kommt die Kurve. In einem über einige Jahrzehnte eintrainierten Reflex nehme ich kurz vor der Kurve Gas weg. Nur ein wenig. Und prompt lande ich unterhalb der Linie auf dem blauen Streifen. Peinlich. Also nehme ich mir vor, überhaupt etwas mehr Gas zu geben und das Gas nach der nächsten Geraden zu halten. Es klappt. In der zweiten Kurve bleibe ich über der roten Linie. Aber wie ist das passiert? Ich kann es mir nicht erklären.

Das mit der Schräglage macht die Steilkurve von ganz alleine

Weder habe ich gelenkt, noch habe ich die Harley in Schräglage gedrückt. Muss ich doch auch gar nicht! Das mit der Schräglage macht die Steilkurve doch von ganz alleine. Im geometrischen Sinne gilt es also, immer senkrecht zur Bahn zu fahren und so immer in der von der Bahn vorgegebenen Schräglage zu bleiben. Das geht übrigens von ganz alleine, wenn ich nur im zweiten Gang bleibe und meine Drehzahlen halte. Wie viel es sind? Ich weiß es nicht. Eisern versuche ich, meinen Blick geradeaus auf die Fläche zwischen den beiden Linien zu richten. Vermindere ich das Gas versehentlich, so gleite ich sofort abwärts in Richtung der roten Linie. Drehe ich dann wieder auf, so treibt es mich nach oben zur blauen Linie. So einfach ist das.

Falsch: Wer versucht, das Motorrad senkrecht zu halten, muss nur mit um so mehr Kraft gegenlenken. Das Bild zeigt deutlich, wie extrem ein breiter Hinterreifen auf der Flanke gefahren wird

Das Gehirn aber lässt sich nicht abschalten. Zum Ende einer jeden Kurve hoffe ich, dass es bald vorüber ist, denn die Widersinnigkeit des Fahrens ohne Lenken und Drücken in die Schräglage schlägt sich schon nach Kurzem in einem flauen Gefühl und leichter Übelkeit nieder. Nach vier oder fünf Runden nehme ich in der Geraden vorsichtig das Gas weg und lasse mich auf den blauen Streifen absinken.

Immer feste druff und um Gottes Willen kein Gas wegnehmen

Jetzt nochmal: Wieder in die Bahn und Gas geben! Heissa, es klappt, ich halte den Kurs. Fast glaube ich, wie in einem Rummelkarussel das Scheppern der Planken zu vernehmen. Dabei ist das hier doch eine Beton-Bahn. Die Übelkeit zum Ende der Kurve, tja, die will einfach nicht weichen. Also nach vier, fünf Runden wieder Gas weg und sinken lassen. Na, wie war ich? Von weitem grinst Thomas mir zu und motiviert mich, die Bahn noch einmal zu nehmen. Tu ich auch. Jetzt sitzt es. Immer feste druff und wie beim Driften im Flat Track um Gottes Willen kein Gas wegnehmen. So fahren die Runden sich allmählich von ganz alleine.

Steiler als Darmstadt: Die Bahn in Bielefeld hat bei gleicher Länge von 333 Metern eine Neigung von 46 Grad

Es wird zum Sport, die eigenen Reflexe zu bezwingen. Allmählich habe ich mir das Lenken und das Drücken in die Schräglage ausgetrieben. Das geht nur mit mentaler Disziplin. Eisern halte ich meinen Blick nach vorne gerichtet. Jedes Blinzeln nach links oder rechts treibt mich und die Harley aus der Richtung. Aber nach der dritten Fahrt hätte ich fast fragen wollen, ob ich nochmal darf. Doch da ist meine Zeit schon abgelaufen.

Ich hab es nicht mal geschafft, auf den Tacho zu gucken

Als meine Kumpels sich am Abend die Fotos anschauen, kommentieren sie unter Gegröhle meinen starren Blick, sie nennen ihn auch „schreckgeweitet“. Na denn. Dabei waren das hier kleine Fische. Die Bahn in Darmstadt hat eine Neigung von 30 Grad. Die Bahn in Bielefeld, sagt Thomas, hat bei gleicher Länge von 333 Metern eine Neigung von 46 Grad. Und der legendäre Kurs in Montlhéry, 25 Kilometer südlich von Paris, ist sogar zweieinhalb Kilometer lang, mit 180 Meter langen Geraden und für Geschwindigkeiten von bis zu 220 km/h vorgesehen. Das wäre mal ein ganz anderer Schnack.

Zeiten und Gechwindigkeiten für eine Bahn mit 333,33 Metern
•  24 sec – 50 km/h
•  20 sec – 60 km/h
•  16 sec – 75 km/h
•  12 sec – 100 km/h

Wie schnell ich eigentlich war? Ich hab es während der Runden nicht mal geschafft, auf den Tacho zu gucken. Also frage ich Thomas. Dem sind die Rundenzeiten hier in Fleisch und Blut übergegangen. 18 Sekunden hätten es so ungefähr sein können, sagt er, also irgendwas zwischen 60 und 70 km/h. Ob er das sagt, um mich zu trösten? Thomas Bund treibt seine Excelsior aus dem Jahr 1925 in 16 Sekunden durch die Runden, also mit 75 km/h. Und dem wird während der Fahrt jedenfalls schon lange nicht mehr schlecht.

Info | vollgas-rennspass.de