History Indian Motorcycle – Die erste Fabrik der Hendee Mfg. Company wurde 1905 in Springfield, Massachusetts bezogen.
Dort oben, in Springfield/Massachusetts, existiert auch heute noch ein großes Gebäude, erbaut aus roten Ziegelbacksteinen, in dem jetzt etwa 500 Menschen in schönen Wohnungen leben. Alle diese Anwohner sind sich ausnahmslos der Geschichte des alten Gebäudes bewusst. Vormals, in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, war es die Produktionsstätte der Motorräder der legendären Marke Indian.
History Indian Motorcycle – Es fehlt ein „Sacred Ground“
In einem Gespräch mit Ola Stenegård, Chefdesigner des heutigen Herstellers Indian Motorcycle, räsonierten wir über die glorreiche Vergangenheit der alten Marke. Ola meinte zu mir, der modernen Marke Indian fehle, was Konkurrent Harley-Davidson mit der Juneau Avenue in Milwaukee habe: ein heiliger Ort – ein „sacred ground“, wie er es damals auf Englisch ausdrückte.

Zwar existieren heute noch wichtige Gebäude-Gruppen der ursprünglichen Indian-Fabrik in Springfield, aber welches Interesse hätte der heutige Besitzer, die Polaris-Gruppe, daran, einen Teil davon zu erwerben, befindet sich der Polaris-Hauptsitz doch im weit entfernten Medina in Minnesota. Die Motoren werden in Osceaola/Wisconsin gefertigt. Die Endmontage findet in einem Werk in Spirit Lake/Iowa statt. Und dennoch, für in der Wolle gefärbte Indian-Enthusiasten der alten Ära ist der Gebäudekomplex zwischen State Street und Wilbraham Road in Springfield bis heute so etwas wie ein Wallfahrtsort.
Das Ford Building war der Geburtsort der ersten Indians
Vor 1905 fand Indians noch recht übersichtliche Produktion in von Firmengründer George Hendee gemieteten Räumlichkeiten statt, dem Ford Building in der Worthington Street in der Innenstadt von Springfield. Doch mit den wachsenden Verkaufserfolgen und der rasanten Entwicklung des Unternehmens wurde es schnell unumgänglich, in eine größere Fabrik umzuziehen. Das fand am 1. Oktober 1905 statt, als die Hendee Mfg. Co. die Hälfte eines vierstöckigen roten Backsteingebäudes von der Stadt anmietete, die Adresse lautete 837 State Street.

Dieses Gebäude war ursprünglich 1895 hinter der neun Jahre zuvor erbauten Feuerwache am Winchester Square errichtet worden. Es diente seinerzeit zunächst als christliche Stiftung für Missionare, später als Schule für technische Berufe. Nachdem Hendee im Herbst 1905 einen Teil des Gebäudes angemietet hatte, wurde 1906 die gesamte Motorradproduktion dorthin verlagert. Seine Fahrräder produzierte Indian aber bis zum Jahr 1930 weiterhin im Ford Building in der Worthington Street.
Im zweiten Stock wurden die Motoren zusammengesetzt
In dem neu bezogenen Gebäude an der State Street gab es gleich vier Stockwerke, die folgendermaßen genutzt wurden: Im Erdgeschoss wurden die Rahmen und die Schmiedeteile hergestellt, hier wurde auch galvanisiert, vernickelt und poliert und sinnvollerweise lagen dort im Erdgeschoss auch die Anlieferung sowie der Versand.

Im ersten Stock befanden sich diverse Büros sowie ein prächtig ausgestatteter Ausstellungsraum. Ferner waren dort die Auftragsbearbeitung sowie die Forschungs- und Entwicklungsabteilung von Oscar Hedström, dem für die Technik zuständigen Geschäftspartner von George Hendee, ansässig. Im zweiten Stock wurden die Motoren zusammengesetzt, die Räder eingespeicht, Vergaser montiert, kurzum, hier fanden die Endmontage und die ersten Lauftests statt.
History Indian Motorcycle – 1909 wurde es eng
Im Obergeschoss schließlich waren Lackierer und Polsterer sowie eine Abteilung, die Kleinteile produzierte, untergebracht. Doch diese räumliche Konfiguration reichte gerade mal aus, um im Jahr 1906 1.698 Motorräder zu produzieren. 1907 waren es schon 2.176 und im Jahr 1908 deren 3.257. Im Jahr 1909 wurden bereits 4.771 Motorräder gefertigt und die Fabrik stieß platzmäßig an ihre Grenzen. Folgerichtig wurde im Jahr 1909 die Gebäudefläche erheblich erweitert, indem Hendee zunächst das komplette Gebäude kaufte.

Zudem erwarb er auch das unmittelbar östlich der bestehenden Fabrik gelegene Grundstück. Dadurch war es zukünftig möglich, den „Wigwam“ – so der Spitzname der Fabrik – bei Bedarf zu erweitern und dem Ganzen noch ein Stockwerk hinzuzufügen. Hendee kaufte aber nicht nur, sondern verlängerte das vorhandene erste Gebäude an der State Street direkt nach dem Ankauf, während ein zweiter Anbau ab 1910 die Bildung eines „V“ entlang der Wilbraham Road bildete, wobei die Feuerwache gewissermaßen die Basis dieses „V“ bildet.
Der Spitzname der Fabrik war „Wigwam“
Im Jahr 1910 beschäftigte die Hendee Mfg. Co. bereits 500 Mitarbeiter, die 6137 Motorräder produzierten. Doch um das Unternehmen weiterzuentwickeln und die Produktionszahlen weiter steigern zu können, musste man immer größer denken. Also kaufte Hendee 1911 Land außerhalb von Springfield und baute dort eine neue einstöckige Fabrik namens „Hendeeville“.

Und auch in der Stadt wurde 1913 neues Land gekauft, auf der anderen Seite der Eisenbahnlinie, die die State Street und Wilbraham Road kreuzte. Dort gab es bereits zwei Backsteingebäude, die 1883 beziehungsweise 1896 erbaut worden waren. In den Jahren seither wurden sie von der Bullard Repeating Arms Co. und der Elektron Manufacturing Co. genutzt. Es sind dies die Gebäude, die bis heute von dem riesigen „Wigwam“ übrig geblieben sind.
Die altehrwüdige Feuerwache verlor 1915 ihren Turm
Und weil damals eine öffentliche Eisenbahnlinie mitten durch das jetzt vereinte Firmengelände hindurch fuhr, entschloss man sich, die beiden Gelände und Gebäude jeweils mit überdachten mehrstöckigen Brücken zu verbinden. Ohne direkte Anbindung zur Indian-Fabrik verlor die altehrwüdige Feuerwache 1915 ihren Turm, um die Einfahrten zu den Garagen für neue Einsatzfahrzeuge verbreitern zu können.

Heutzutage ist es schwierig, den Namen eines Architekten zu nennen, der für den Bau des „Wigwams“ verantwortlich war. Francis R. Richmond zeichnete die Pläne für dasjenige Gebäude von 1895, das im Oktober 1905 von Hendee angemietet wurde. Charles Sidney – oder laut anderen Quellen Levi Moody – wären die Architekten des Bullard Building von 1883. Aber laut Historiker Harry V. Sucher hätte Oscar Hedström selbst die Arbeiten der Baufirma „Rice Valentine Co.“ überwacht, um der gesamten Fabrik, die damals die größte der Welt in der Motorradindustrie war, eine ästhetische Einheit zu verleihen.
History Indian Motorcycle – Aufstieg, Fall und Auferstehung
Sobald das Werk 1913 seine endgültige Größe erreicht hatte, stieg die Produktion auf 31.950 Motorräder. Während des Ersten Weltkriegs und der 1920er Jahre stagnierte sie bei etwa 20.000 bis 25.000 Maschinen pro Jahr. Doch in Folge der Weltwirtschaftskrise brachen diese Zahlen nach 1929 auf einen Schlag ein. Indian trennte sich daher von seinem Vorstadt-Standort in Hendeeville, wo später während des Zweiten Weltkriegs Rolls-Royce-Flugzeugmotoren gebaut wurden.

Nach Ende des Krieges kaufte Indians damaliger CEO Ralph B. Rogers im September 1946 diesen Komplex von der amerikanischen Regierung. Er war überzeugt, dass die Firma neue Fertigungsräumlichkeiten benötigte, um die neuen Einzylinder und stehenden Parallel-Twins der Marke bauen zu können. Und tatsächlich fand die Endproduktion der einzylindrigen Indian Arrow (220 ccm) und der jeweils zweizylindrigen Scout (440 ccm) und Warrior (500 ccm) dann in Hendeeville statt, jener einstöckigen Vorstadtfabrik, die Hendee 1911 hatte bauen lassen. Die großen 1200er Chiefs wurden Anfang 1948 zum letzten Mal im Wigwam in der State Street montiert.
Schmerhafter Niedergang der alten Firma
Wie allgemein bekannt ist, führte eine Reihe von geschäftlichen Fehlentscheidungen schließlich 1953 zur Insolvenz der ursprünglichen Marke Indian. Dies zog auch den Verlust der verschiedenen Produktionsstätten nach sich. Das Kaufhaus „King‘s Department Store“ zog nun für viele Jahre in das 1910 errichtete Gebäude direkt hinter der alten Feuerwache.

Doch in den frühen 80er Jahren verkam das ganze Gelände zu einer düsteren Industrieruine. In Folge wurden 1985 alle historischen Gebäude aus den Jahren 1895, 1909 und 1910 abgerissen. Ein paar Liebhaber der Marke wallfuhren dorthin, um originale Ziegelbacksteine aus der alten Zeit zu bergen. In Sammlerkreisen kursieren diese limitierten Stücke inzwischen zu erklecklichen Preisen.
Die heutige Eingangslobby sieht aus wie ein Indian-Tempel
Diejenigen Teile der alten Fabrik, die 1913 um die Gebäude Bullard (1883) und Elektron (1896) herum gebaut wurden, standen zunächst leer oder wurden teilweise als Büros vermietet, bevor sie renoviert und in ein riesiges Wohn- und Appartmenthaus verwandelt wurden. Etwa 500 Menschen leben heute dort. Der Chefarchitekt dieser Wiederbelebung ist ein großer Fan der Geschichte von Indian und hat deshalb alles getan, um die historischen Materialien so gut wie möglich zu erhalten und sie nur dann zu ersetzen, wenn dies aus Gründen der strukturellen Solidität unbedingt erforderlich ist.

Bei baufälligen Böden suchte er zum Beispiel nach den gleichen Holzarten und -qualitäten wie damals verwendet und stellte fest, dass die altvorderen Bauherren für ihre Balken und Böden nur Holz aus dem „Herzen“ von Bäumen verwendet hatte, was nichts anderes als Premiumqualität bedeutet. Die Eingangslobby der heutigen Residenz, ein ehemaliger Heizraum, sieht aus wie ein Tempel, der der Marke gewidmet ist. Da diese Privatresidenz grundsätzlich nicht öffentlich zugänglich ist, sollten sich echte Enthusiasten der Marke an den örtlichen Indian-Händler wenden, dort „werden Sie geholfen“.
Info | indian-motorcycle.de
