Ein veränderter Markt und Kapitalknappheit bringen die Motor Company aus Milwaukee Ende der 60er-Jahre an den Rand des Ruins. Der Freizeitartikelhersteller AMF sorgt im letzten Moment für die Rettung von Harley-Davidson.
Der neue OHV-V-Twin Motor, der wegen seiner schaufelförmigen Kipphebelabdeckungen schnell den Spitznamen „Shovelhead“ bekam, war zunächst so ganz neu nicht: Der untere Teil, das „Lower End“, wurde äußerlich weitgehend von dem alten Panhead-Motor übernommen. Von 1966 bis 1969 wurde der „Early Shovel“ – allerdings mit ständigen kleinen Weiterentwicklungen – unter der Motorenbezeichnung „FL“ und „FLH“ produziert. Optisch leicht erkennbar an der vor dem Motor platzierten Lichtmaschine und an der Zahnradabdeckung des rechten Gehäusedeckels, die nun allerdings glatt und ohne die horizontalen Rippen war. Der Unterbrecher saß immer noch in seinem handverstellbaren, kleinen, zylindrischen Gehäuse direkt oben auf dem Motorblock.
1968 verkaufte die Company weltweit nur noch 26.600 Motorräder
Interessant ist, dass schon damals, nämlich in den Jahren 1965/66, die Entwicklungsabteilung unter Willie G. Davidson ein supermodernes Alternativ-Modell entwarf – die X 1000 mit einem querstehenden dohc-Reihen-Vierzylinder (also mit obenliegenden Nockenwellen). Die X 1000 schaffte es bis zur Serienreife. Aber angesichts der katastrophalen Finanzlage der Company und vielleicht auch, weil das Gerät so völlig Harley-untypisch aussah, wurde das vielversprechende Projekt von den Chefs verworfen und verschwand wie üblich im „schwarzen Loch“ der firmeneigenen Ideenentsorgung.

Dabei hätte man ein solch wettbewerbsfähiges Motorrad damals dringend nötig gehabt. Auf dem Markt der schweren Maschinen konnte Harley-Davidson nur noch zwei veraltete Modelle anbieten: die 883er Sportster und die 1200er Electra Glide. Der Verkauf war permanent rückläufig. Der Tiefststand war 1968 erreicht, als die Company weltweit nur noch 26.600 Einheiten verkaufte, darunter gerade mal etwas über 15.000 Stück aus amerikanischer Produktion. Die unzähligen Mofa- und Mopedmodelle aus italienischer Produktion (Aermacchi) standen wie Blei bei den Händlern herum und die Big-Twin-Modelle verkauften sich auch nicht viel besser.
Harley-Davidson kam bei der „AMF Motorcycle Division“ unter
Da nahm es kein Wunder, dass Harley trotz aller Anstrengungen mit der immer aggressiver werdenden japanischen Konkurrenz einfach nicht mehr fertig wurde. Die Firma stand auf der Kippe und die verschiedensten Kaufinteressenten standen bereits in den Startlöchern, um den angeschlagenen Konzern zu übernehmen – manche seriös, andere unseriös, die einen freundlich, andere aber auch feindlich gesinnt.

1968 war die Lage der Company derart kritisch geworden, dass der drohende Konkurs unabwendbar schien. Die immer noch mit harten Franchise-Verträgen geknebelte Händlerschaft war entsetzt und drohte mit Rebellion und Schlimmerem. In seiner Not bat Firmenboss William H. Davidson seinen alten Freund und Harley-Enthusiasten Rodney C. Gott um Hilfe, der Chef des Großkonzerns AMF war. Die American Machine & Foundry stellte unter anderem Bowling-Bahnen, allerlei Sportgeräte und auch Waffen her. Rodney Gott konnte seine Gesellschafter überzeugen und am 7. Januar 1969 wurde AMF für 21 Millionen Dollar Mehrheitseigner von Harley-Davidson. Und weil er den Deal eingefädelt hatte, wurde Rodney C. Gott auch gleich der neue Chef der „AMF Motorcycle Division“. Harley-Davidson hatte zwar seine Selbstständigkeit verloren, war aber – zumindest fürs Erste – gerettet.
„Think big“ heißt die Devise bei AMF Harley-Davidson
Zufall oder Omen – im gleichen Jahr erscheint der gesellschaftskritische Hippiefilm „Easy Rider“ und wird in einem weltweiten Triumphzug zum neuen Freiheits- und Rebellions-Kultstreifen der Jugend schlechthin. Der Vorstand in Milwaukee ist ob des zweifelhaften Images „not amused“. Bei AMF herrschten andere Maximen. „Think big“ war die Devise. Ausgestattet mit nahezu unerschöpflichen Finanzmitteln, sah Mr. Gott das Heil in hohen Produktionszahlen, schließlich sollte Harley-Davidson ein gewinnbringendes Kind des Mischkonzerns werden.

1972 – inzwischen waren Motorräder zu Freizeitgeräten statt Transportmitteln avanciert – produzierte man bereits 60.000 Einheiten, was allerdings deutlich auf Kosten der Qualität ging – mit verheerenden Folgen. Gewinnorientierte, rücksichtslose Managementmethoden taten ein Übriges, um die einst so ergebene Arbeiterschaft zu frustrieren – Warnstreiks waren die Folge. 54 Millionen Dollar steckte AMF zunächst für Werkzeuge und Maschinen in eine neue Getriebefertigung. Und als das nicht genügte, beschloss man, die gerade ungenutzten, riesigen Werksanlagen in York/Pennsylvania für die Produktion der Sportster-Modelle und die Endmontage aller Motorräder einzurichten.
Die alte Harley-Garde wurde zusehends entmachtet
1973 liefen dort die Bänder an, über 1200 Kilometer von Milwaukee entfernt. Alle benötigten Teile mussten per LKW über die riesige Entfernung transportiert werden – es war dies ein weiteres, eigentlich unverantwortliches, weil unkalkulierbares Kostenrisiko. Die erste große Energiekrise trieb dann auch die Transportkosten in schwindelerregende Höhen. Zudem gab es Logistikprobleme, Engpässe und damit Ausfälle der Produktion. Oft brach die Kommunikation zwischen York und Milwaukee zusammen. Nachzubessernde Maschinen stauten sich zu Hunderten auf Halde. Die alte Harley-Garde wurde dabei zusehends entmachtet und bereits nach einem Jahr AMF-Herrschaft fühlte sich Verkaufsdirektor und Vizepräsident Walter Davidson Jr. so sehr zum Befehlsempfänger degradiert, dass er seinen Posten zur Verfügung stellte.

William Herbert Davidson, seit 1942 Präsident von Harley-Davidson, trat im Herbst 1971 zurück. Nachfolger kamen in immer schnellerer Folge, der Chefsessel war zum Schleudersitz geworden. Inzwischen bestimmte eine neue Sorte von Technikern und Technokraten den Kurs von Harley-Davidson – nicht immer in Idealbesetzung. Aber es gab auch ausgesprochene Glücksfälle. Als 1976 Rodney Gott in den Ruhestand ging, berief der neue AMF-Direktor Ray Tritten den versierten technischen Ingenieur Vaughn L. Beals zum technischen Leiter der Ingenieurs-Abteilung.
„I make the eagle fly“
Der neue Steuermann räumte im Vorstand von Harley-Davidson mit der grassierenden Apathie gründlich auf und setzte ein neues Produktions- und Qualitätsprogramm durch, das sich „I make the eagle fly“ nannte und den demotivierten Arbeitern wieder Mut und vor allem Mitverantwortung gab. In dieser für die Firma so turbulenten Zeit gab es jedoch eine ganze Menge von erstaunlichen Neuerungen in der Modellpalette. Schon 1970 kam der komplett überarbeitete Shovelhead-Motor heraus, mit innenliegendem Generator und Zündunterbrechereinheit, zunächst mit 1200 ccm (74 cui), ab 1978 dann auch mit 1340 ccm (80 cui).

Inzwischen hatte sich auch Willie G. Davidson, der ja schon 1963 das Design-Departement übernommen hatte, durchsetzen können und stellte eine neuartige Generation von Harley-Motorrädern vor, die der Customszene, die ja längst eigenständig geworden war, endlich gebührend Rechnung trug: 1971 erschien die erste geniale Kombination aus der FLH/Electra Glide mit dem schmalen Vorderteil der XLCH Sportster Modelle: Sie wurde FX/FXE Super Glide genannt und kam zunächst mit dem legendären, aber etwas verunglückten Bootsheck, dann als „Midnight Train“ und seit 1977 beziehungsweise 1979 als überaus erfolgreiche Factory-Custombikes FXS Low Rider und FXEF Fat Bob.
Harley forderte Schutzzölle auf großvolumige Importmotorräder
In diese Zeit fielen zwei in der Firmengeschichte gerne verschwiegene, aber bedeutungsvolle Ereignisse: Zum einen gab es einen fehlgeschlagenen Versuch, bei der US-Trade-Commission Schutzzölle auf großvolumige Importmotorräder durchzusetzen, zum anderen hatte man bei Porsche in Weissach den Motor für die „Nova“ in Auftrag gegeben, der bei der gesamten Händlerschaft dann aber auf so starke Ablehnung stieß, dass das Management ihn wie eine heiße Kartoffel fallen ließ. Dieser moderne V-Motor war als Zwei-, Vier- und Sechszylinder konzipiert, im Geheimarchiv, in das wir einmal ohne Fotoapparate hineindurften, stehen immer noch einige Testmaschinen herum.

Die Nova wäre ein schönes Motorrad geworden, es war aber hochgradig Harley-untypisch. 1978 hatte AMF genug vom längst unrentabel gewordenen italienischen Abenteuer und verkaufte Aermacchi an die Gebrüder Castiglioni, die dort dann ihre Cagiva-Motorräder entwickelten. Zur gleichen Zeit gab der von AMF-Direktor Tom York zum Chefingenieur berufene Jeffrey L. Bleustein bei Porsche die Entwicklung eines verbesserten, aber nach wie vor luftgekühlten V-Twin-Motors in Auftrag, mit dem alle zukünftigen Big-Twin-Modelle ausgerüstet werden sollten: das „Evolution“-Aggregat.
Die Zukunft war zunächst ungewisser denn je
Es wurde ein voller Erfolg, kam aber erst nach der AMF-Zeit zum Einsatz. Denn 1981 kaufte eine kleine Gruppe von leitenden Angestellten und Gründer-Familienmitgliedern das dem AMF-Konzern längst lästig gewordene Kind Harley-Davidson wieder zurück, einschließlich der Produktionsstätten in York. Eine quälend nervige Zeit voller Abhängigkeiten und oft chaotischer Entscheidungen war zu Ende. Die Zukunft jedoch war zunächst ungewisser denn je.

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