Wilbers hat mit dem Nivomat einen Stoßdämpfer entwickelt, der bei einigen Harley-Modellen für erstaunlich hohen Komfort und Federungsreserven sorgen dürfte.

Motorräder aus Milwaukee gehören bekanntlich nicht zwingend zu den komfortabelsten Touring-Sofas unter den Zweirädern. Dazu sind die Federwege speziell am Heck bei so manchem Modell einfach zu kurz und die Fahrzeuggewichte zu hoch. Satt gepolsterte Sitzbänke und Reifen mit hohen Seitenwänden gleichen dieses Manko in der Regel ganz gut aus, aber optimal ist das nicht.

Besonders leiden muss zumeist der Sozius, der, wie zum Beispiel bei der aktuellen Street Glide, nur einen kleinen, nach hinten abfallenden Sitzkeil als Platz vorfindet. Fahrbahnunebenheiten sind dann eins zu eins spürbar. Das verwundert auch kaum, denn die gerade mal 55 Millimeter Federweg am Heck, über zwei direkt angelenkte Federbeine bereitgestellt, kratzen schon knapp an einem Starrrahmen-Niveau.

Wilbers Nivomat – Fahren mit Niveau

Fahrwerksspezialisten wie Benny Wilbers freuen sich natürlich über solch fragwürdig minimalistische originale Fahrwerkskonfigurationen: „Mit so wenig Federweg am Heck lässt sich eine komfortable und fahrstabile Abstimmung unter allen Beladungszuständen eigentlich gar nicht realisieren!“ Womit er recht hat.

Bei der aktuellen Harley-Davidson Street Glide sind die serienmäßigen 55 Millimeter Federweg am Heck im Nu aufgebraucht, sobald zwei Personen Platz nehmen. Von Komfort – speziell für den Beifahrer – kann dann keine Rede mehr sein

Eine automatische Anpassung von Federung und Dämpfung ohne viel elektronischen Schnickschnack wäre bei diesem Motorradtyp eigentlich optimal. Genau das hat sich Benny Wilbers auch gedacht und sich im Pkw-Bereich beim Automotive-Giganten ZF Sachs schlau gemacht. Dort gibt es nämlich seit Jahren ein vollautomatisches, hydropneumatisches Niveauregulierungssystem, das sich wie von selbst den Begebenheiten anpasst.

LDC = Level and Damping Control

Nach drei Jahren intensiver Entwicklung ist aus dem Projekt ein schlanker Motorraddämpfer mit integrierter oder separat angebrachter Tragfeder entstanden. Der Clou des Systems: Das „Wilbers LDC Federbein“ (LDC steht für Level and Damping Control) ist genau genommen eine Kombination aus Niveauregulierung und automatischer Anpassung von Federrate und Dämpfung. Quasi eine eierlegende Wollmilchsau, die zudem auf jegliche Zug- oder Druckstufen-Einstellschräubchen verzichtet und auch nicht umständlich in der Feder vorgespannt werden muss, wenn ein Beifahrer Platz nimmt.

Wie funktioniert das Ganze? Nun, so ähnlich wie der Nivomat aus den 80er Jahren, der damals in einigen BMW-Tourern (RT und LT) verbaut war, sich aufgrund von technischen Unzulänglichkeiten aber nicht durchgesetzt hatte. Heute, mehr als dreißig Jahre später, ist das System ausgereift und scheint wie maßgeschneidert für eine Anwendung am Motorrad. Das LDC-Federbein (siehe technische Zeichnung unten) besteht aus zwei voneinander getrennten Ölkammern, einer dicken Kolbenstange und einer mechanischen Pumpstange inklusive Druckventil.

Der Nivomat im Schnitt: Außen ist die Niederdruckkammer, im Innern die Hochdruckkammer mit dem Gaspolster untergebracht. Unter Belastung pumpt die Stange in der Mitte Öl aus der Nieder- in die Hochdruckkammer – die Kolbenstange fährt aus und die Federrate nimmt progressiv zu

Zielführende Dämpfung

Bei den Harley-Modellen mit Stereofederbeinen ist die Tragfeder im rechten Dämpfer untergebracht. Das ist zwar optisch gewöhnungsbedürftig, dürfte aber bei den meisten Touring-Modellen sowieso niemanden stören, da beide Federbeine unsichtbar hinter den Koffern versteckt sind. Bei den Ölkammern unterscheidet man zwischen der außenliegenden Niederdruck- und der gasunterstützten innenliegenden Hochdruckkammer. Wird das Federbein nun belastet und befindet sich nicht auf dem definierten Niveau, pumpt die Stange durch ihre Auf- und Ab-Bewegung im Fahrbetrieb automatisch Dämpferöl aus der Niederdruckkammer in die Hochdruckkammer.

Dadurch wird die dicke Kolbenstange aus dem Dämpfer gefahren. Dieser Pumpvorgang dauert exakt so lange, bis das Motorrad sich wieder im Gleichgewicht befindet – das Federbein streckt sich quasi und passt sein Niveau automatisch an. Das geschieht auf schlechter Wegstrecke innerhalb von nur wenigen hundert Metern. Gleichzeitig verändert sich durch den zunehmenden Druck auf das Gaspolster in der Hochdruckkammer auch die Federrate … und zwar progressiv! Ein Effekt, der von luftunterstützten Federbeinen her bereits bekannt ist, hier in Kombination mit einer gleichzeitig ansteigenden Dämpfung aber noch zielführender erscheint.

Feines Ansprechverhalten

Im Standardbetrieb mit einer Person als Fahrer arbeitet der Nivomat wie ein ganz normaler Stoßdämpfer, der sich bereits auf dem korrekten Niveau befindet. Wobei die umgerüstete Street Glide Baujahr 2017, die wir fahren konnten, von Wilbers bereits ein wenig angehoben wurde, um der Kundschaft ein vernünftiges Gesamtkonzept anbieten zu können. Daher verkauft Wilbers den Nivomat für die Harley-Modelle nur in Kombination mit den hauseigenen, extra angepassten Gabelfedern, was durchaus Sinn macht. Hinten stehen jetzt knapp 75 Millimeter Federweg zur Verfügung und die kürzeren, linear gewickelten Gabelfedern vorn sorgen nun für ein Plus an Negativ-Federweg, da die originalen Gabelfedern beim 2017er Modell mit reichlich viel Vorspannung das Werk verlassen.

Das sind die Zutaten für einen komfortablen Harley-Cocktail: Als linkes Federbein fungiert der eigentliche Nivomat-Dämpfer, der unten auch als Schnittzeichnung zu sehen ist. Rechts ist ein Dämpfer mit der Tragfeder verbaut. Als Gabelfedern kommen bei Wilbers linear gewickelte Federn und hauseigene Vorspann- hülsen zum Einsatz, die mit einem speziellen Gabelöl für ein gutes Ansprech- verhalten bei ausreichend Progression sorgen

Die modifizierte Street Glide spricht im Vergleich zur Serie bereits im Solobetrieb deutlich feinfühliger an und bietet ein spürbares Plus an Komfort. Zurückzuführen sicherlich auch auf die weicher ausgelegte Wilbers-Tragfeder, die im rechten Heckdämpfer untergebracht ist. Diese linear gewickelte Feder muss also nicht überdimensioniert werden, um der maximal möglichen Belastung standzuhalten, da sich die progressive Gasfeder als unterstützendes Element automatisch zuschaltet. Sie kann daher für ein feines Ansprechverhalten mit einer erstaunlich geringen Federrate auskommen.

Innerhalb 400 Metern auf altes Niveau

Kommt ein Beifahrer ins Spiel, schlägt die große Stunde des Nivomat-Dämpfers. Normalerweise müsste man – noch bevor der Sozius Platz nimmt – den Koffer demontieren und das Serienfederbein vorspannen. Das macht in der Praxis aber kaum jemand. Wir auch nicht, denn in unserem Fall macht der Nivomat das ganz automatisch, schon ab den ersten Metern. Mit zusätzlichen achtzig Kilo auf der Rücksitzbank pumpt sich die Harley innerhalb von zirka 400 Metern wieder auf ein Niveau, als würde der Fahrer alleine auf der Maschine sitzen.

Das Fahrverhalten des Motorrades ändert sich also innerhalb kürzester Zeit zum Positiven, da die Grundgeometrie schnell wieder eingenommen wird. Mit zwei Personen kann die Teststrecke plötzlich deutlich schneller durchfahren werden und die „Glide“ wird ihrem Namen gerecht. Wir sind einigermaßen verblüfft und können definitiv auch keinerlei Nachteile bei dieser ersten Ausfahrt ausfindig machen. Höchstens den, dass sich das System nach einer kurzen Pause immer wieder neu aufpumpen muss, da das Öl im unbelasteten Zustand über ein Bypass-Ventil automatisch aus der Hochdruckkammer in die Niederdruckkammer zurückfließt und der Nivomat wieder seine Grundstellung einnimmt – das war es aber auch schon!

Komfortgewinn

Der Nivomat ist inzwischen für die Harley-Modelle Street Glide, Electra Glide und Road Glide zu haben. Das Stereo-Set mit zwei Federbeinen, inklusive Gabelfedern, ABE und fünf Jahren Garantie, wird von Wilbers mit  etwa 1300,- Euro kalkuliert, was in Anbetracht des Komfortgewinns nicht überteuert erscheint.