Mächtige Vulkane, tiefblaue Bergseen, kurvenreiche Motorradstrecken und zum Abschluss eine unvergessliche Fahrt über den berühmten Highway No. 1 am Pazifik entlang nach San Francisco. Das sind nur ein paar der Highlights dieser außergewöhnlichen USA Motorradtour.
„In den USA gibt es nur endlos lange, schnurgerade Highways. Motorradfahren macht da keinen rechten Spaß.“ Dieses Vorurteil ist weit verbreitet, trifft aber mitnichten zu. Gerade bei einer Tour durch den Nordwesten der Vereinigten Staaten kommen Kurvenräuber voll auf ihre Kosten.
Die Wege durch die Cascade Range und entlang der Pazifikküste sind einfach gigantisch. „Size doesn’t matter“, sagt man in den USA. Das gilt für die Breite der Highways genauso wie für die mächtigen Hamburger im „Roadhouse 101“ in Lincoln City oder den XXL-Cappuccino in der „Coffee Company“ in Sisters, einem netten Cowboynest in Oregon.
Cascade Range – Ein gigantisches Küstengebirge
Dass es immer noch ein bisschen größer geht, erkennen wir bereits beim Blick aus dem Flugzeugfenster beim Anflug auf San Francisco. Unser Airbus überfliegt gerade jenes Gebiet, das wir demnächst auf einer Harley-Davidson Electra Glide erkunden wollen. Cascade Range heißt das Küstengebirge, das sich von Kalifornien über Oregon und Washington bis hinein nach Kanada zieht.
Wie ein überdimensionaler Leuchtturm ragt aus den braun-schwarzen Gesteinsformationen ein von ewigem Eis und Schnee bedeckter Bergkegel in den Himmel. „Wir überfliegen gerade den Mount Shasta“, meldet sich der Kapitän über Lautsprecher. „Da muss ich hin“, denke ich mir, „das ist ja einfach nur gigantisch.“ Das Wort werde ich in den nächsten drei Wochen, in denen wir unterwegs sein werden, noch häufiger in den Mund nehmen: gigantisch.
Auf dem Freeway 50 über die Oakland Bay Bridge
Es geht gleich nach der Übernahme unserer Harley los. Von der Motorrad-Verleihstation weist ein Schild zum Freeway 50, der über die Oakland Bay Bridge führt, um San Francisco in Richtung Osten zu verlassen. Die Brücke ist gut dreimal länger als die berühmtere Golden Gate Bridge – und auch ein paar Monate älter. Unterbrochen wird sie nur einmal kurz von Yerba Buena Island, von wo aus man einen fantastischen Blick auf die Skyline der Millionenstadt hat. Es ist ein komisches Gefühl, die zweistöckige Brücke in der unteren Etage zu befahren, während über einem der Verkehr ohrenbetäubend laut in die City rauscht.
Doch dann herrscht Ruhe. Kein Verkehr mehr, der Freeway liegt hinter uns, wir sind auf den Highway 88 abgebogen, eine gemütliche Landstraße, die sich kurvenreich in die Sierra Nevada hinaufschraubt, bis auf 2500 Meter. Wir haben den Carson Pass erreicht, in Zeiten der Besiedlung Kaliforniens und während des Goldrausches Ende des 19. Jahrhunderts eine wichtige Ost-West-Verbindung.
Jahresausflug der Firefighter
Weite Nadelwälder versperren teilweise den Blick auf die in den Tälern dunkelblau schimmernden Gebirgsseen. Der bekannteste ist der Lake Tahoe. Im Winter herrscht in den Skigebieten ringsum Hochbetrieb, jetzt geht es ruhiger zu. Lediglich der Motorradclub der Feuerwehr von San Francisco, der auf mehr als hundert Bikes seinen Jahresausflug macht, sorgt für etwas Leben. Und wir sehen, dass in den USA nicht nur Harley gefahren wird. Viele der Firefighter sind mit japanischen Sportlern unterwegs. Sie sind es, die sich wundern, dass wir als Deutsche im Sattel einer Harley-Davidson sitzen. An der Tankstelle verabschieden wir uns mit dem obligatorischen „have a nice trip“.
Die Fahrt um den See ist ein Traum, die Aussichten grandios und die Idylle nahezu perfekt. An der Emerald Bay folgt die Straße einem schmalen Grat, links der Cascade Lake, rechts der Lake Tahoe. Nur nicht die Konzentration verlieren – beiderseits der Straße geht es steil abwärts. Hier ein Häuschen besitzen, das wär’s. Dann könnte man auch mal schnell nach Squaw Valley rüber, dem Austragungsort der Olympischen Winterspiele von 1960. Vom ehemaligen Olympischen Dorf ist nur noch wenig zu erkennen, der jetzige Ort ist eine moderne Reißbrettkonstruktion, aber charmant und überschaubar. Das Olympische Feuer brennt am Ortseingang dagegen noch immer.
Mondlandschaften und Vulkane
Mit dem Übergang der Sierra Nevada in die Cascade Range ändert sich das Landschaftsbild dramatisch. Bestimmten bis hierher alpine Gebirgsstrukturen mit richtigen Gebirgsketten das Panorama, so glaubt man jetzt, teilweise durch eine Mondlandschaft zu fahren, aus der vereinzelt ein paar weiße Spitzen herausragen. Die nächsten 1000 Kilometer führen durch eine gigantische – da haben wir das Wort wieder – Vulkanlandschaft. Heiße Quellen, brodelnde Schlammtümpel und Gasausstöße weisen darauf hin, dass die Ruhe am 3187 Meter hohen Lassen-Vulkan trügerisch ist.
Weil seit 1980 der Mount St. Helens wieder aktiv ist, beäugen Wissenschaftler auch den Mount Lassen mit Misstrauen. Zum letzten Mal spie er 1914 Feuer, 1915 explodierte der Gipfel. Aus dem Krater brach Lava hervor und eine Flutwelle aus Schlamm, Asche und Schmelzwasser ergoss sich talwärts und knickte ganze Wälder wie Streichhölzer um. Drei Tage später schossen massenhaft Asche und Gas aus dem Vulkan und rissen eine Schneise der Zerstörung in den Hang. Die Narben, die dieser Ausbruch hinterließ, sind noch nicht verheilt und prägen den Lassen Volcanic Nationalpark bis heute.
Hitzige Minikrater – Finger weg
Feuer hin, Lava her, wir entrichten am Parkeingang unsere Eintrittsgebühr und haben anschließend einfach nur noch Spaß. Die Straße durch den Park windet sich schwindelerregend um erkaltete Gesteinsansammlungen und bizarr geformte Felsbrocken, dann hinauf zu imposanten Vulkankegeln und Bergseen, an deren Rand selbst im Herbst noch reichlich Schnee vom vergangenen Winter liegt. Die schier endlose Aneinanderreihung von herrlichen Kurven lässt uns fast vergessen, dass es nur wenige Zentimeter unter der Erde des Lassen Peak kochend heiß sein kann.
An manchen Stellen steigt Qualm aus dem Boden und in Schlammlöchern blubbert es beängstigend. Da erschließt sich einem, warum die Streckenabschnitte „Chaos Crags“ und „Chaos Jumbles“ heißen. Wer gut zu Fuß ist, nimmt einen der Wanderwege durch die Vulkanlandschaft. So kommt man den hitzigen Minikratern noch ein bisschen näher. Aber Vorsicht: Nicht den Finger ins Wasser stecken, um mal zu testen – es kocht.
Mysteriöse Geschichten ranken sich um den Mount Shasta
Dem brodelnden Chaos folgt aber bald innere Zufriedenheit. Hinter dem beschaulichen Städtchen Burney sehen wir erstmals vom Boden aus den Mount Shasta, jenen schneebedeckten Felskegel, der uns schon beim Blick aus dem Flugzeug fasziniert hatte. Mysteriöse Geschichten ranken sich um den Berg: Sie erzählen von Ufos, Engeln und verborgenen Städten im Berg, die Außerirdische errichtet haben sollen. New-Age-Esoteriker sind überzeugt, dass von diesem heiligen Berg eine ganz besondere Kraft ausgeht und suchen seine Nähe.
Den Shasta im Blick, scheinen wir ihm auf der Fahrt jedoch kaum näher zu kommen. Die Straße macht zahlreiche Windungen, führt durch dichte Waldgebiete, als wolle sie dem Vulkan aus dem Weg gehen. Am Dead Horse Summit gibt es dann aber kein Zurück mehr. Auf der Passhöhe angekommen, liegt er direkt vor uns, ohne weitere Sichtbehinderung. Seine Faszination mag darin begründet sein, dass er wie ein Stück Toblerone-Schokolade mit Vollmilchhaube 4322 Meter einsam aus der Ebene in den Himmel ragt. Wie ein Magnet zieht der Vulkan die Besucher in seinen Bann, auch dann noch, wenn man sich schon wieder von ihm entfernt. Immer wieder geht der Blick in den Rückspiegel, weil der Anblick selbst dann noch riesig ist. Ein letztes Mal an einem Aussichtspunkt rund 25 Kilometer entfernt raubt er uns fast den Atem. Einfach gigantisch.
USA Motorradtour – Vulkane wie Toblerone-Kegel
Wie Perlen an einer Kette tauchen schon die nächsten Toblerone-Kegel auf: Mount Hood, Mount St. Helens und Mount Rainier. Jeder hat seine eigene Geschichte. Der Rainier ist mit 4395 Metern der höchste, der St. Helens ist bekannt durch seinen legendären Ausbruch und der Mount Hood hat eine Timberline Lodge. Als wir die knapp zwölf Kilometer lange Sackgasse hinauf zur am Fuße des Vulkans gelegenen Lodge in Angriff nehmen, haben wir eigentlich nur im Sinn, dem Schauplatz des berühmten Horrorfilms „Shining“ einen kurzen Besuch abzustatten. So ein bisschen Gruseln in beschaulicher Landschaft kommt sicherlich gut, stellten wir uns vor. Dann gehen aber doch die Pferde mit uns durch. Die Auffahrt zur Lodge ist der Hammer, eine perfekt ausgebaute, asphaltierte „Bergrennstrecke“ mit überhöhten Kurven. Tut mir leid, Mr. Davidson, aber auch eine E-Glide braucht mal die Peitsche.
In Stanley Kubricks Film heißt die Timberline Lodge „Overlook Hotel“. Der Name passt eigentlich besser, denn der Blick auf den Mount Hood ist – na, was wohl?! – gigantisch. Und gruseln muss man sich heute nicht mehr. Das Feuer im offenen Kamin strahlt Gemütlichkeit aus, draußen auf den Bergwiesen blühen violette Lupinen und das Mordzimmer Nummer 237 aus dem Film gibt es ohnehin nicht. Vor dreißig Jahren, als „Shining“ gedreht wurde, diente die Lodge nur als Kulisse für die Außenaufnahmen, der Rest wurde in Studios in London abgedreht. Illusion und Wirklichkeit können manchmal ganz schön weit auseinanderklaffen.
USA Motorradtour – Auf den Spuren der Twilight-Saga
Das gilt übrigens auch für einen anderen Hollywood-Blockbuster, die Vampir-Saga „Twilight“, auf die wir zwangsläufig auf unserer Tour durch den Bundesstaat Washington stoßen. Die Liebesgeschichte zwischen Vampir Edward und der menschlichen Bella spielt nämlich auf der Halbinsel Olympic mit dem gleichnamigen Nationalpark. Wir starten die Erkundung des bis zum Filmstart eher unbekannten US-Nationalparks in Port Angeles, einem beschaulichen Fährhafen für den kleinen Grenzverkehr nach Kanada. Doch zuvor genehmigen wir uns noch einen Abstecher nach Vancouver Island in Kanada. Wir wollen nach Tofino, einem früher als Künstlerort bekannt gewordenen Fischerhafen, jetzt ein trubeliger Urlaubsort für Freizeitkapitäne und Hochseeangler. Bekannt sind außerdem die Whale-Watching-Touren in den Buchten von Tofino. Buckelwale und Orkas tummeln sich dort das ganze Jahr über.
Für uns fast noch interessanter ist der Weg nach Tofino, das in einer Sackgasse liegt. Das heißt: zweimal sechzig Kilometer Kurve an Kurve, ohne nur einmal auf einem längeren Geradeausstück verschnaufen zu können. Zeit nehmen wir uns dagegen in Chemainus. Eigentlich hat der Ort nichts Besonderes zu bieten, außer seinem einmaligen Freilichtmuseum mit spektakulären Wandmalereien bekannter Künstler. Fast jedes zweite Haus besitzt so ein Kunstwerk, mal kleiner, mal monumental mit Motiven aus der Geschichte der Region oder dem Leben der Menschen hier. Mein Lieblingsmotiv ist die Musikkapelle, begleitet von einer jubelnden Menschenmenge, die fast real durch den Ort zieht. Man glaubt, die Posaune herauszuhören.
Wandmalereien in Chemainus
Von Victoria aus, der sehenswerten Hauptstadt von Vancouver Island, nehmen wir wieder die Fähre zurück in die Vereinigten Staaten nach Port Angeles. Die Zollformalitäten sind gegenüber denen nach Kanada deutlich strenger und penibel. Ich darf nicht einmal meinen soeben gekauften Apfel mit in die USA nehmen. Also esse ich ihn unter den Augen des Kontrolleurs schnell noch im Niemandsland der Zollstation auf. Der Officer ist erst zufrieden, als ich den letzten Bissen heruntergeschluckt habe.
Wie die meisten Orte, die etwas mit den Vampir-Geschichten zu tun haben, lebt auch Port Angeles vom Twilight-Tourismus. „Zu Tausenden sind die Fans hier eingefallen“, erzählt mir die nette Verkäuferin im T-Shirt-Laden, wo ich nach einem Souvenir für meine Tochter suche. „Dabei ist der Film hier gar nicht gedreht worden, sondern in Oregon“, verrät sie. Aber die Handlung spielt auf der Olympic-Halbinsel, und die Schauplätze gibt es tatsächlich: das Restaurant „Bella Italia“ und das Lincoln Theatre, ebenso das „Cullen House“, die Forks Highschool oder den herrlichen Küstenabschnitt „First Beach“ in La Push.
USA Motorradtour – Die Nordschleife im Hochgebirge
Wer mit Vampiren wenig anfangen kann, lässt sich lieber vom Olympic-Bazillus anstecken. Der macht süchtig nach unberührter Natur und herrlichen Bergstrecken wie der Hurricane Ridge Road, einer kurvig-steilen Sackgasse, die von Port Angeles aus in den Olympic-Nationalpark führt und dabei rund 1700 Höhenmeter überwindet. Schon die Auffahrt bietet tolle Ausblicke. Oben angelangt, öffnet sich das überwältigende Panorama der schneebedeckten Gebirgszüge des Nationalparks und auf der anderen Seite hinunter bis zum Meer. Die Strecke könnte man den ganzen Tag rauf- und runterfahren, eine Art Nordschleife im Hochgebirge.
Seit Port Angeles folgen wir dem Coast Highway 101, der erst ab Kalifornien den einstelligen Namen Highway 1 trägt. Die endlosen Sandstrände der Pazifikküste wie in La Push mit den eigentümlich geformten Felsspitzen im Wasser begleiten uns bis zum Ende der Tour. Einer der schönsten Abschnitte ist der bei Bandon. Steil fällt die Küste zum Strand hin ab, geht dann in einen feinen, goldgelb in der Sonne leuchtenden Sandstrand über, der gespickt ist mit Felsen wie ein Wildschweinrücken mit Speck.
Felsformationen wie Speckstückchen
Im Wasser setzt sich die geologische Eigentümlichkeit mit noch mehr Speckstückchen fort. Ist dieses Naturschauspiel schon tagsüber ein optisches Highlight, so steigert es sich nochmals am Abend, wenn hinterm Pazifik die Sonne untergeht und die restlichen Sonnenstrahlen zwischen den Felsformationen für – natürlich – gigantische Lichteffekte sorgen. Ähnlich beeindruckende Postkartenansichten bieten Cannon Beach mit dem prägnanten „Heuhaufenfelsen“, die „Hunter’s Cove“ bei Cape Sebastian und der Strand der Arcadia Beach, wo man mit dem Motorrad bis ganz nah an den Sand heranfahren kann.
Das ist ansonsten selten möglich, da sich der Highway meistens etwas oberhalb der Küstenlinie an den Hängen der bis ans Meer hineinreichenden Hügelketten entlangschlängelt. Das hat den Vorteil eines ausgezeichneten Überblicks, mit etwas Glück kann man Wale oder auch ein paar Seelöwen im Wasser beobachten. Zu sehr sollte man sich allerdings nicht ablenken lassen, der kurvige Straßenverlauf verlangt die volle Aufmerksamkeit, auch wenn der Verkehr eher spärlich ausfällt. Sonst knallt man eventuell gegen einen Redwood. Die riesigen Mammutbäume sind die Stars der „Avenue of the Giants“ im Redwood State Park – und eigentlich kaum zu übersehen.
Golden Gate Bridge gleich nach dem Planet der Affen
Auf der rund fünfzig Kilometer langen Panoramastraße im nördlichen Kalifornien kommt man sich winzig klein vor, selbst die mächtige E-Glide wirkt wie ein Spielzeug zwischen den bis zu hundert Meter hohen und mehrere hundert Jahre alten Giganten aus Holz. Dicht an dicht aufgereiht bilden die Redwoods eine einzigartige Allee, durch die man voller Ehrfurcht gemütlich dahingleitet. Das Licht hat es schwer, bis zum Boden zu gelangen, umgestürzte Bäume und riesige Farne schaffen eine außerirdisch gespenstische Stimmung.
Wahrscheinlich sind deshalb hier einige Szenen für Filme wie „Star Wars“ und „Planet der Affen“ gedreht worden. Aus dieser unheimlichen Welt wieder ans Tageslicht aufgetaucht, sind es nur noch wenige Meilen bis nach San Francisco zur letzten Gigantomanie unserer Tour: der Fahrt über die Golden Gate Bridge.