In Sardinien protestiert man gegen Motorradlärm, da gerät man als Fahrer einer Harley schnell in’s Visier der Lärmgeplagten, oder?.

Wir waren schon einmal mit der Harley in Sardinien. Das war 1984. Damals trugen wir Kutten und rollten mit einem Dutzend AME-Choppern über die Insel. Unsere Maschinen machten ziemlich viel Radau. Wir selbst aber auch. Und so gehörte es zum Tagesprogramm, achtkantig vom Campingplatz zu fliegen.

Rundumsorglos-Paket statt nerviges Meilenfressen

Heute haben wir bei M-Motorradreisen ein Rundumsorglos-Paket für Biker gebucht: „Sardinien erfahren“. So sind wir in nur zwei Stunden rübergeflogen. Die beiden Trucks, mit denen unsere Motorräder verfrachtet und pünktlich vor das Hotel von Orosei gewuchtet wurden, brauchten länger.

Auf der Landkarte sieht ­Sardinien überall gleich aus. Wir stechen von der Ostseite ins Landesinnere und entdecken ein Wandgemälde, das Motorradfahrer mit Faschisten vergleicht

Übrigens, einige unserer Harleys haben ein elektronisch geregeltes Soundmanagement, das wir auf Knopfdruck leise oder laut stellen können. Für die Show gerne laut, ist ja immer legal! Und für Sardinien nicht unwichtig, aber dazu später mehr.

Basislager am Strand

Unser Basislager liegt an der Ostküste Sardiniens, gegenüber des weitläufigen Strands der Marina di Orosei. Es ist Ende Mai, und es ist viel wärmer als wir erwartet haben. Am Mittag starten wir unsere erste kleine Runde, um uns mit den Straßenverhältnissen auf Sardinien vertraut zu machen.

Wir waren schon einmal hier. Damals trugen wir Kutten und rollten mit einem Dutzend AME-Choppern über die Insel

Wer die Protagonisten mediteraner Tourismuskultur vergleichen will, stellt fest: Die Sarden sind die entspannteren Autofahrer. Die Spanier auf Mallorca beharren im Kreisverkehr normalerweise auf ihrer Vorfahrt. Damit hattensie unsere Gruppe seinerzeit immer wieder auseinandergerissen. Im Gegensatz dazu gewähren die Sarden uns die Vorfahrt. Meistens.

Auf engen Serpentinen den Pass hinaufschlängeln

Wir fahren gleich mal ein Stück auf der berühmten SS 125, sozusagen die Route 66 Sardiniens. Sie führt uns in Richtung Passo Littu. Auf engen Serpentinen schlängeln wir uns den kleinen Pass hinauf. Trotz der engen Kurven halten wir an, hier muss einfach fotografiert werden.

Das für Sardinien ungewöhnlich grüne Panorama des Lago del Cedrino

Unser nächster Halt ist der Lago del Cedrino. Der grünblaue Stausee liegt zwischen den Bergen Omene und Corallino. Das saftig grüne Panorama gleicht schon fast einer Filmkulisse. Das fängt gut an. Zurück in Orosei zischen wir an der Strandbar des Hotels die ersten Bierchen. Besonders coole Biker, die es noch cooler haben wollen, springen in das etwas frische, aber glasklare Mittelmeer.

Auf der sardischen Route 66

Für den zweiten Tag gibt unser Road Captain bekannt, dass wir die berühmte „Orientale Sarda“ ein wenig ausgiebiger befahren werden. Und schon sind wir wieder auf der SS 125. Den Fahrtwind und die Sonne im Gesicht, mit Temperaturen um die 25 Grad, genießen wir den Ride auf unseren V-Twins.

Zielpunkt der ersten Ausfahrt ist der Passo Litto

Die Orientale Sarda steigt in langgezogenen Kurven stetig an. Fahrtechnisch ein Traum und mit ihren sensationellen Ausblicken ist sie ein Muss für Motorradfahrer und dürfte eine der schönsten Motorradstraßen Europas sein – und obendrein eine der wichtigsten und längsten Staatsstraßen Sardiniens, die die ganze Ostküste von Palau über Olbia bis in den Süden nach Cagliari verbindet.

Die Temperaturen machen durstig

Nach 999 Höhenmetern erreichen wir den Passo Genna Silana. Hier schießen wir das Gruppenfoto vor dem SS-125-Logo, das dem der Route 66 nachempfunden ist. Vor der Weiterfahrt müssen aber erst noch einige Ziegen die Straße passieren. Auf der echten Route 66 wäre das nicht passiert.

Die echte Route 66 ist das nicht, aber 125 ist fast doppelt so viel wie 66

Mit ultimativen Bergpanoramen bringt uns die Asphaltschlange von der Passhöhe in sanften Kurven wieder bergab, wir biegen nach rechts ab auf die SP 56. Nach weiteren 40 Kilometern nähern wir uns der Küste und Santa Maria Navarrese. Eine Strandbar ist unser Ziel, die Temperaturen machen durstig.

Goldgelber Strand und tiefblaues Wasser

Santa Maria Navarrese liegt auf halber Höhe zwischen Cagliari und Olbia. Sein Wahrzeichen ist der Sarazener-Turm am weitläufigen Strand mit dem dahinterliegenden Yachthafen. Der goldgelbe Strand mit seinem tiefblauen Wasser lädt auch uns zum Baden ein. Von hier aus sind es nur noch sechs Kilometer zu den berühmten roten Felsen von Arbatax. Die Felsformation aus Porphyr ist eines der Wahrzeichen Sardiniens.

Santa Maria Navarrese mit seinem Sarazener-Turm

Unsere Fahrt geht weiter, nun wieder auf der SS 125, und wir nähern uns dem Örtchen Baunei. Das Bergdorf liegt in wunderschöner Lage vor einer hohen Felswand und zählt gerade einmal 4000 Einwohner. Wir durchfahren den historischen Ortskern mit ordentlich Krawall, was eigentlich keine gute Öffentlichkeitsarbeit für Biker ist. Weiter geht es über den Passo Ghenna Ramene und durch eine drei Kilometer lange Felsengalerie. Der Rückweg führt über den Passo Ghenna Silana.

In Flipflops mit der Harley in Sardinien

Am dritten Tag teilen wir uns in zwei Gruppen auf. Um zehn Uhr morgens zeigt das Thermometer schon 26 Grad. Manche fahren da in kurzen Hosen oder gar mit Flipflops. Bei inzwischen 28 Grad geht es durch den Gebirgszug des Monte Albo. Mitten im Gebirge erreichen wir das Kloster Santuario dell Annunziata. Das Bauwerk aus dem 18. Jahrhundert erinnert uns an die Filmkulisse eines Italo-Westerns. Das charakteristische Element des Ortes aber sind die zahlreichen „Cumbessias“, typische Häuser rund um die ländlichen Kirchen. Der Wallfahrtsort ist nur an Feiertagen bevölkert und den Rest des Jahres unbewohnt. Dann wäre er vielleicht eine gute Location für Musikfestivals. Man verzeihe uns diese weltlichen Phantasien.

Die rote Felsformation aus Porphyr ist eines der Wahrzeichen der zweitgrößten Insel des Mittelmeeres

Unter inzwischen über 30 Grad kehren wir am Marktplatz von Bitti in einer kleinen Bar ein. Oberhalb von Nuoro erreichen wir danach den Monte Ortobene. Dort haben wir bei 35 Grad auch noch einen Fußmarsch zu einer Bronzestatue des Erlösers zu absolvieren. Der Rundumblick entschädigt uns für den entbehrungsreichen Pilgermarsch. Mit der Harley kommt man eben auch in Sardinien halt nicht überall hin.

Ein Dorf gegen Motorradlärm

Am nächsten Morgen steht endlich die Fahrt in das berühmte Banditendorf Orgosolo an. Herrliche 50 Kilometer fahren wir dafür auf der verkehrsarmen SS 129, vorbei an Nuoro. In dem Örtchen Gavoi schlängeln wir uns wieder einmal durch typische enge Gassen, und auf der kurvenreichen SS 18 erreichen wir unser erstes Ziel, den Lago di Gusana.

Baunei: Hier sind wir mit Krawall durchgefahren. Ein paar Dörfer später ­kassierten wir das schlechte Gewissen

Der riesige Stausee liegt zu Füßen des Granitplateaus von Fonni. Er ist von Anhöhen mit Flaumeichen umgeben, die ihm sein natürliches Aussehen verleihen. Jetzt aber geht es auf der kurvigen SS 389 über Hochebenen vorbei an Fonni und Marmoiada in Richtung Orgosolo!

Wandgemälde prangern alle möglichen Missstände an

Beim Einrollen in den Ort beeindrucken uns dann sofort die berühmten Wandmalereien – „Murales“ genannt. In der Dorfmitte parken wir direkt auf dem historischen Marktplatz. Wir haben Hunger und verschlingen an einem Imbissstand erstmal mit feinsten Zutaten belegte italienische Paninis. Wo sich im Hochsommer massenhaft Touristen durch die Gassen drängen, sind wir jetzt alleine unterwegs.

Es ist heiß. Da verzichtet man schonmal auf Sicherheitskleidung

Die jüngere Geschichte von Orgosoloist von Banditentum und Blutrache geprägt. Wir schlendern durch den Ort, um die Murales in Ruhe zu bestaunen, die nicht nur Kunst, sondern auch Botschaften transportieren. Als im Jahr 1970 die NATO einen Truppenübungsplatz auf der Hochebene anlegen wollte, wählten die Bewohner diese friedliche Form des Widerstandes. Die Wandgemälde prangern seitdem alle möglichen Missstände an.

Mit der Harley droht in Sardinien kein Ärger

Ein Bild meint sogar uns, denn wir sehen Motorradfahrer, die die zweitgrößten Insel des Mittelmeeres mit Lärm quälen. Der untere Teil zeigt Mütter mit schreienden Kindern. Die sind eindeutig den Figuren von „Guernica“ nachempfunden. Mit diesem Gemälde hatte Pablo Picasso die Stadt Guernica nach dem ersten deutschen Flächenbombardement im spanischen Bürgerkrieg in die Kunstgeschichte eingehen lassen.

Das Kloster Santuario dell Annunziata, Filmkulisse für einen ­Italo-Western oder wenigstens eine ansprechende Location für ein Musikfestival?

Den Vergleich finden wir dann aber doch ein ein bisschen überzogen. Darf man Motorradfahrer mit Faschisten gleichsetzen? In der Kunst ist das wohl erlaubt. Wären wir mal nicht mit unseren offenen Schalldämpfern durch die Dörfer geballert. Aber das Wandgemälde nimmt ja offensichtlich Motocross-Fahrer ins Visier – wir sind fein raus!

200 Kilometer auf dem Roadbook

Am fünften Tag führt uns unser Roadcaptain nach Burgos, einer Stadt, die malerisch an einem Berghang liegt. 200 Kilometer stehen auf dem Roadbook. Über die SP 25, die SS 129, die SP 51 und die SP 41 fahren wir schließlich durch Korkeichenwälder nach Burgos. Hoch am Berg steht dort die alte Burgruine. Die einen von uns suchen gleich das nächste Café auf, die anderen spazieren durch die Gassen hoch zur Ruine des Castello di Goceano.

Die „Murales“ in Orgosolo sind Wandmalereien mit politischen Themen. Eines davon thematisiert die Lärmbelästigung durch Motor­radfahrer

Das Kastell steht völlig isoliert auf einem Granitfelsen. Um die Anlage ranken sich Legenden von Kämpfen, Helden und schönen Frauen. Da sich Wolken auftürmen, rollen wir diesmal früher ins Hotel zum Aftertour-Bierchen ein.

Die letzte Tour mit der Harley in Sardinien

Die folgende Nacht hat es geregnet, und das auch noch durchmischt mit Sahara-Staub. Wir müssen zum Putztuch greifen. Danach steht die letzte Tour auf dem Programm, diesmal in vollzähliger Gruppe. 30 Bikes rollen über den Monte Albo zur historischen Schotterladestation Sito di Carico. Ein steiler Fußweg führt hinauf zur Location. Alle laufen, doch mit meiner geländetauglichen Pan America kann ich hochfahren.

Posada ist einer der ältesten Orte Sardiniens, wie angeklebt an einem Kalkhügel, auf dessen Spitze die alte Burg thront

Abwärts nehmen wir die SP 50, bis wir Posada erreichen. Hier finden wir gleich eine coole Bar unterhalb des Castello della Fava. Posada ist einer der ältesten Orte Sardiniens, wie angeklebt an einem Kalkhügel, auf dessen Spitze die alte Burg thront. Von der Burg aus haben wir einen letzten herrlichen Blick in das Tal des Rio Posada.

Ein versüßter Abschiedsschmerz

Nach einem guten Hamburger geht es zurück zum Hotel. Es ist unser letzter Abend, und so dürfen wir einmal auf unseren Bikes direkt vor die Bar rollen. Das versüßt uns ein wenig den Abschiedsschmerz von Sardinien – und die Harley wird beim nächsten Mal mit einem runtergeregelten Soundmanagement gefahren. Versprochen!

Info | m-motorradreisen.de