Bald startet die Bonneville Speed Week zur jährlichen Rekordjagd. Wir blicken auf unseren Besuch vor einigen Jahren zurück
Mit Adrenalinschüben kann Chris Carr umgehen: Wer den siebenfachen amerikanischen Meister im Dirt Track einmal in seinem Element erlebt hat, kann nur anerkennend feststellen, dass dieser Sport knüppelhart ist und sekundenschnelle Entscheidungen fordert. Eine Fähigkeit, die auch bei den Geschwindigkeits-Weltrekordfahrten auf den Bonneville Salt Flats überaus praktisch sein kann.
Bonneville – ein heiliger Ort
Wenn zum Beispiel nach dem Passieren der Lichtschranke mit 355 Meilen pro Stunde (was 571 km/h entspricht!) plötzlich im Cockpit alle Lichter ausgehen – inklusive der elektrischen Betätigung der Bremsfallschirme – fängt man schon mal an, sich Gedanken über die unmittelbare Zukunft zu machen …

Was Chris zu diesem Zeitpunkt noch nicht weiß: Eine Einspritzleitung des speziell für die Jagd auf den absoluten Motorrad-Geschwindigkeits-Weltrekord gebauten BUB Streamliners ist gebrochen und versprüht ihr Benzin auf den glühenden Turbolader. Durch den gleißenden Feuerstrahl verschmilzt die Elektrik im hinteren Fahrzeugbereich binnen weniger Sekunden. Ohne Fallschirm rast das Stromlinienfahrzeug auf das Ende der 11 Meilen langen Strecke zu – mit dem an Armen und Beinen im Cockpit festgezurrten Fahrer und einer riesigen Rauchwolke im Schlepp. Selten traf der Spruch vom „Hot Seat“ so ins Schwarze!
Rekorde am Fließband
Dass die BUB Speed Trials auf den Bonneville Salt Flats wie immer spannend werden würden, war schon vorher klar: Schon vor einigen Jahren hatte „Ack Attack“ Fahrer Rocky Robinson bei einem von „Top One Oil“ organisierten Rekord-Event für geladene Fahrer den Geschwindigkeits-Weltrekord auf 360.913 mph (580,83 km/h) geschraubt; übrigens auf der von BUB zwei Wochen zuvor präparierten Strecke, der man eine weitere Meile abgetrotzt hatte.

Nicht eingeladen war Denis Manning, Erbauer des „Seven“-Streamliners, BUB Auspuff-Hersteller und nicht zuletzt DIE treibende Kraft für die gesamte Motorrad-Geschwindigkeits-Weltrekordszene. Schon 2006 brach Robinson als erster den seit 1990 bestehenden Rekord von Dave Campos, konnte aber nur einen Tag den Ruhm „Schnellster Mensch auf zwei Rädern“ für sich beanspruchen, denn dann legte Chris Carr im BUB „Seven“ Streamliner die Latte auf 350 mph. Die pikante Note im Hintergrund: Bis 2005 war Rocky der Pilot von „Seven“ und bei BUB in leitender Position beschäftigt.
Das führende Speed-Event
Die BUB Speed Trials sind nicht zuletzt ein Event, der es Denis Manning erlaubt, seiner Leidenschaft nach dem absoluten Motorrad-Geschwindigkeits-Weltrekord zu frönen – das dabei auch Hunderte andere Fahrer zu neuen Rekorden kommen, ist ein nicht unerwünschtes Nebenprodukt. Tatsächlich sind die BUB Speed Trials die weltweit führende Veranstaltung für Motorrad-Weltrekorde, nicht zuletzt dank der Homologierung von AMA und FIM, die noch immer getrennte Rekordlisten und Reglements führen.

Teilnehmer aus aller Welt bringen ihre schnellen Maschinen nach Bonneville und trotzen den permanent paranoider werdenden Einreisebedingungen der amerikanischen Behörden. Wer gar – wie schon beim Team Swiss Performance geschehen – seinen eigenen E-85 Bio-Treibstoff mitbringt, gerät sogar in die Tretmühlen der „Homeland Security“. Amerika, wohin gehst du?
Bonneville – EInmal im Leben!
Fahrer aus aller Welt kommen nach Bonneville. Die Teilnehmerzahl stabilisierte sich in den letzten Jahren bei 300 bis 400 Fahrern. Im Jahr 2009 brachten es unter 300 Fahrer zusammen auf immerhin 1320 Läufe, davon 1105 Downruns und 215 „Return“ Rekordläufe! Schon damals wurden 94 Rekorde gebrochen oder neu aufgestellt! „Dabei geht es nicht unbedingt um einen Rekord, es ist die ganze Atmosphäre hier“, erklären Fahrer und Team-Member einhellig, „einmal im Leben auf dem Salzsee nach Rekorden zu jagen, ist den Trip schon wert.“

Doch oft waren die Wettergötter dem Event nicht allzu günstig gesinnt: Zwar brennt meist durchgehend die Sonne vom Himmel, doch Wind stört hier oft die fest getakteten Abläufe. Ebenfalls im Jahr 2009 hatte ein Platzregen in der Woche vor dem Event das Salz so angefeuchtet, dass die Traktion erst im Verlauf der Rennwoche besser wurde. Erst am Dienstag traten die ersten schnellen Streamliner an Meile „0“ zum Showdown an – und auch die 200-plus-mph „Sit On“-Motorräder drehten zunächst verhalten am Gas.
Hier werden legenden gemacht
Das oben schon erwähnte Team Swiss Performance, in besagtem Jahr zum Teil mit ‚E-85 Bio-Ethanol‘ auf der Jagd nach Rekorden, brachte vier Maschinen nach Utah, aber nur Sven Traber von Sven Cycles hielt die V-Twin Flagge hoch: Sein Turbogeladener S&S-V2 brachte das Hinterrad permanent zum Durchdrehen. Swiss Performance-Teammitglied Fritz W. Egli pulverisierte mit einem 400 PS starken Hayabusa-Gespann den über 30 Jahre bestehenden Seitenwagen-Rekord und setzte die Latte auf über 205 mph (330 km/h).

Mit Spannung waren natürlich alle Augen auf Chris Carr gerichtet: Denis Manning hatte erneut heftig in den Rekord investiert – mit einer deutlich sechsstelligen Summe „überredete“ Manning den Reifenhersteller „Goodyear“, mehrere Sätze Hochgeschwindigkeits-Reifen für Geschwindigkeiten über 400 mph (643,74 km/h) zu produzieren. Sam Wheeler setzte erneut auf sein verbessertes Billet-Aluminium Vorderrad und Rekordhalter Rocky Robinson trat gar nicht zum Rennen an: Würde Carr seinen Rekord wieder brechen, hatte man für Mitte September ein weiteres „Privat Meet“ angesetzt. Doch Carrs erster Lauf blieb mit 351.698 mph unter Robinsons Rekord.
Nervosität fährt mit
Am Donnerstag war die Nervosität dementsprechend groß, es war der letzte Tag und die letzte Chance. Um 8.29 Uhr startete Carr zum ersten mal, brach aber den Lauf nach weniger als zwei Meilen ab. „Ich hatte vergessen, die Startkufen einzufahren“, gab ein zerknirschter Carr zu Protokoll, „der Wind blies das Fahrzeug auf eine Kufe und machte es instabil und ich wußte nicht, was los war.“

Schon um 9.42 Uhr raste der „Seven“ Streamliner dann mit 355.047 mph durch die Lichtschranke – und brannte! „Das Fahrzeug ist absolut auf Sicherheit gebaut, die interne Feuerlösch-Anlage sprang an und erstickte die Flammen noch während des Ausrollens“, erklärte ein sichtlich enttäuschter Manning nach dem Lauf. „Seven“ rollte bis über Meile 11 hinaus, kam aber auf ebenem Salz zum Stillstand.
Bonneville – Schwerstarbeit für Mechaniker
Der Blick unter die Verkleidung brachte einen in Ruß und Löschschaum gebadeten Motor zum Vorschein – der Großteil der Elektrik war komplett verschmort. Für dieses Jahr schien die Rekord-Saison für die BUB-Truppe gelaufen. Mike Ackatiff, Erbauer des Rekordhalters „Ack Attack“ mit Pilot Rocky Robinson, sagte noch am gleichen Tag das anstehende „Top One Oil“-Meeting ab – Rocky’s Rekord war ja schließlich gesichert … oder!?

Ein bisschen „Pokerface“ gehört auch zur Jagd nach dem absoluten Geschwindigkeits-Weltrekord – und in dieser Disziplin ist Denis Manning unschlagbar: Die Enttäuschung wich schon bald der Entschlossenheit – und wer einen Blick in den Kofferraum des BUB-Trucks geworfen hatte, wußte warum. Dort lag schon seit einer Woche ein Ersatzmotor für „Seven“: 16 Ventile, V-4, 3 Liter Hubraum, Turboaufgeblasen und ready to run! In weniger als zwei Wochen wurde „Seven“ in BUB’s Workshop im kalifornischen Grass Valley komplett zerlegt und die Brandschäden beseitigt. – Ein erneutes Wettrennen gegen das Wetter.
Nächste Speed Week im August
Wenn es nicht regnet, wird das Salz mit jedem Tag trockner und härter. Und dann war es soweit: Mit den notwendigen zwei Läufen setzte Chris Carr einen neuen Geschwindigkeits-Weltrekord mit 367.382 mph (591,24 km/h) nur knapp unter der magischen 600 km/h Marke! Wir wissen, dass wir mit diesem Bike die 400 mph knacken können“, ist sich Team-Besitzer Manning sicher, „es kommt nur auf die Bedingungen an.“ So ist es immer in Bonneville, die nächste Speed Week steigt vom 23. bis 28. August 2025.
Info | Bonneville Speed Week
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