Einmal Las Vegas und zurück, inklusive Route 66 – ein Roadtrip mit der Harley durch die US Nationalparks.

Der Stoff, aus dem die Träume sind, hat viele Farben, Texturen, Töne und Gerüche. Der amerikanische ist vordergründig bunt, schillernd, laut, grässlich, schön, gefährlich; er ist gewoben aus Schrägem und Schrillem, Plastik und Eisen, Kreischen und Dröhnen, Bratenfett und Benzindampf, Größenwahnsinn und Oberflächlichkeit. Ist das schon das ganze, das echte Amerika? Die Vereinigten Staaten stehen ja im Ruch, dass es an Echtem mangelt. Doch die Bikes von Harley-Davidson zum Beispiel sind nicht unecht, die sind „the real American stuff“ … seit mehr als einhundertzwanzig Jahren.

Hier versteht man, warum Harleys sind, wie sie sind

Steigt man in Las Vegas aus dem Flugzeug, geht es sofort zu wie im Film. Zugedröhnt von der Licht- und Soundkulisse führt uns der Weg vorbei an den ersten Spielautomaten in der Ankunftshalle direkt auf den „Strip“. Hier stehen die Hotels und Casinos, in denen wir seit „Ocean’s Eleven“, „CSI – Den Tätern auf der Spur“ und „Hangover“ via TV-Bildschirm virtuell zu Hause sind. Dem Virtuellen zu erliegen ist jedoch für dieses Mal nicht unser Plan, wir wollen ja die Weite schlechthin erfahren.

Die Natur-Szenarien sind grandios, die Weiten schier endlos; Balsam für die Seele stressgeplagter Europäer

Also nehmen wir unsere Freiheitseisen in Empfang, beladen den Begleit-Van mit Sack und Pack, setzen den Helm auf, ziehen die Handschuhe an – selbst wenn’s sauheiß ist – und starten die V2s. Auch ohne mp3-Knopf im Ohr schleicht sich Steppenwolf ins Gehör: „Get your motor running“. Wir lassen Vegas für zehn Tage Vegas sein, verlassen den größten Vergnügungspark der Welt auf langgezogenen, drei- bis vierspurigen Highways. „Typisch Amerika“ denkt man sich dabei und versteht, warum Harleys sind, wie sie sind; auch wenn man nicht wie Easyrider Peter Fonda lässig am Apehanger hängt.

Mit der Harley durch die US Nationalparks – Einfach atemberaubend

Verhalten feurig vibrieren wir auf unseren V-Twins zum ersten Highlight des echten Amerika, in dem die Natur nicht künstlich ist, sondern echt. Und einfach… einfach atemberaubend! Alles ist mindestens drei Mal größer als in Europa. Die Entscheidung, heftig anzugasen und die teilweise dann doch recht ansprechenden Kurvenradien zu genießen oder besser doch „nur“ zu schauen und sich den Ausblicken hinzugeben, nimmt einem die skurril-schöne Urlandschaft selbstständig ab. Und es wird jedem schnell klar, warum das Valley of Fire so heißt, wie es heißt. Das ist nämlich angesichts der flammenden Farben keine Frage. Die Rot-Rosa-Ocker-Gelb-Weiß-Schattierungen sind tatsächlich wirklich, natürlich und echt. Der Sandstein auch, ohne Konservierungsmittel.

Bryce Canyon

Das Feuertal ist erst die Einstimmung auf der „Great National Park Tour“. Im Bryce Canyon haben die Eisen fürs erste Pause. Wir lassen sie stehen, wechseln vorerst einmal aufs Pferd und fühlen uns sofort wie in einem Western. Das Bild vom amerikanischen Ureinwohner hat sich spätestens mit Filmen wie „Cheyenne“ und „Der mit dem Wolf tanzt“ weit von der Kunstfigur des edlen Apachen entfernt.

Bizarren Felspyramiden oder zu Stein gewordene Menschen?

Aber es sind halt doch nur Filme, jeweils ein paar Blickwinkel der Realität. Und die Wirklichkeit? Ist der, der uns auf das lammfromme Ross gesetzt hat, jetzt ein echter Indianer oder nicht? Soll man ihn fragen? Wie unhöflich und zudringlich ist das denn? Der schaut nämlich ganz normal aus. Hat Jeans an und T-Shirt und Tennisschuhe. Trägt keine Federn, dafür aber eine Oakley! Aber ist es in Wahrheit nicht völlig egal?

Bizarre Felsformationen im Valley of Fire

Die Wahrheit ist in Wirklichkeit ein Traum! Denn die halbkreisförmigen Felskessel des Bryce Canyon sind in der bildhaften Welt der Indianer eine verwunschene Gegend: Sie sehen in den bizarren Felspyramiden, den sogenannten Hoodoos, zu Stein gewordene Menschen. Die Strahlen der mittlerweile untergehenden Sonne zaubern reale bis surreale Figuren und Gestalten in dieses natürliche Amphitheater.

Mit der Harley durch die US Nationalparks – Monument Valley

Unser nächstes Ziel kennt jeder. Wenn es eine Landschaft auf der Welt gibt, die als „klassisch“ für den Western gilt, dann ist es das „Monument Valley“. Die im Norden der Navajo Indian Reservation gelegene Hochebene kennt man aus zahllosen Filmen und wir ertappen uns dabei, dass wir jede Sekunde mit einer imposanten Staubwolke rechnen, die John Waynes schnaubendes Ross aufwirbelt. Okay! John hat schon lange irgendwo unten am Rio Grande sein letztes zuhause gefunden, aber darf es bitte wenigstens der Marlboro-Man sein?

Alte Tankstellen erinnern an Zeiten, in denen der Westen noch wild war. Manche von ihnen scheinen wir aus Filmen zu kennen

Womit wir hier echt in Kontakt kommen, sind die Navajo-Indianer. Heute leben etwa 300 von ihnen im Monument Valley. Sie verwalten ihr Gebiet selbstständig und daher ist die Kulisse für Filme wie „Stage Coach“, „Spiel mir das Lied vom Tod“, oder „Easy Rider“ kein staatliches Schutzgebiet. Zirka dreißig Minuten dauert die von einem Navajo geführte Tour über Stock und Stein tief hinein ins Tal. Dann – auf einer leichten Hochebene verstummen unsere Jeeps.

Wir wären bereit, die Friedenspfeife anzuzünden

Urplötzlich ist sie da! Diese Stille, die so still ist, wie nur absolute Stille sein kann. Beinahe schmerzhaft nehmen wir das laute Knirschen unserer Halswirbelsäule wahr, wenn wir demütig das Panorama mit unseren Augen aufsaugen. Eigentlich wären wir jetzt bereit, die Friedenspfeife anzuzünden, um auf das Jahr 1868 anzustoßen, das Jahr, in dem den Navajos ein Teil ihres ursprünglichen Landes als Reservation zugesprochen wurde, wozu auch das Monument Valley gehört.

Grand Canyon: Auf gut 450 Kilometern Länge grub sich der Colorado River bis heute 1.600 Meter tief in das 2.000 Meter hoch liegende Plateau

Aber leider haben wir zu wenig Zeit. Denn es warten noch viele weitere Natur-Juwelen auf uns: der „Antelope Canyon“ zum Beispiel, der mit den Farben spielt – von tiefschwarz bis hellviolett, von knallweiß bis zartgrün. Licht und Schatten zaubern das komplette Spektrum des Regenbogens in die engen Gänge und Höhlen, die fast greifbar zum Leben erwachen. Gleich darauf fühlen wir ein tiefes Ziehen in der Magengrube, wenn wir auf einer 300 Meter hohen – oder tiefen – Stufe stehend am Horseshoe Bend zum Colorado River hinunterschauen.

Harley Tour durch die US Nationalparks – Erlebnis der Stille

Unsere Kameras haben jede Menge zu tun, aber die Fotos können dieses Gefühl niemals wiedergeben und auch nicht den wirklichen, akustischen Background, den der Wind zu einem einmaligen Erlebnis der Stille komponiert, sofern nicht schnatternde Touristenscharen umherschwärmen. Denen kann man nicht immer ausweichen, am wenigsten an den markantesten Punkten des „Grand Canyon Nationalparks“. Irgendwo müssen die rund fünf Millionen Besucher pro Jahr ja hin.

Im Antelope Canyon wähnt man sich wie in einer fiktiven Hollywood-Kulisse

Die zirka 450 Kilometer lange Schlucht ist nun einmal das Top-Highlight des Staates Arizona. Eines, das keine gelangweilte Distanziertheit zulässt; weil es einem einfach den Atem raubt. Unsere Eisenrösser machen zwei Nächte und einen Tag Pause; ein Tag ist für den Grand Canyon sowieso zu wenig. Und weil ein wenig Adrenalin schon sein darf, buchen wir den Helikopter-Flug herunter in den Canyon. Instinktiv zieht man den Kopf ein, will sich gar nicht vorstellen, wie knapp die Rotorblätter an den Wänden der Schlucht(en) entlangflitzen. Letztendlich überwiegt das große Staunen, sodass unsere Kameras wieder jede Menge zu tun haben.

Die heutige 66er ist nur noch ein Schatten ihrer selbst

Die vielzitierte Zeit bleibt jedoch nicht stehen. Der Umkehrpunkt der Tour ist erreicht, Schritt für Schritt, Meile für Meile geht’s ab jetzt zurück in die sogenannte Zivilisation, auf einer Teilstrecke der legendären Route 66. Die Amerikaner nennen sie liebevoll „Mother Road”. Die heutige 66er ist nur noch ein Schatten ihrer selbst, ein Teilstück-Flickwerk, das Erinnerungen hervorruft, als Facette des amerikanischen Traums.

Der Overkill an Neon und Glitzer dient nach unserer Rückkehr nach Vegas als Katalysator, um uns wieder auf die „Normalität“ einstimmen zu können

Zum Tourende katapultiert uns Las Vegas wieder zurück in die zu Anfang unserer Reise angeschnupperte, ganz andere Wirklichkeit. Was für ein Kontrast zur grenzenlos unendlich scheinenden Weite da draußen! Jedes Hotel, jedes Casino eine Welt für sich: Man bummelt durch einen arabischen Bazar, wird dabei von Donnergrollen und einem plötzlichen Regenschauer überrascht oder man schlürft in einem Straßencafé unter dem Eiffelturm einen Café au lait. Wer noch eines draufsetzen möchte, lässt sich in einer aus Venedig importierten Gondel durch den Hotelkomplex des „Venetian“ zum Markusplatz paddeln. Und das alles indoor, sogar der Himmel ist nur eine Illusion.

Schrille Kulisse am Ende der Harley Tour durch die US Nationalparks

Die Rückkehr aus der großen Weite des echten Amerika in diese zuweilen arg bedrängende Künstlichkeit von Vegas und das Wiedereintauchen in diese laute und schrille Kulisse am Ende der Reise ist irgendwie auch nötig. Als Transit-Station. Bevor einen der ganz normale europäische Alltag wieder packt – damit wir nicht allzu schockartig aus den amerikanischen Träumen purzeln.