Die Eindrücke prasselten nur so auf mich ein. Alle Sinne wurden meist positiv strapaziert, gleichzeitig war ich verwirrt. Mein Erlebnis mit der Harley Davidson Szene auf Kuba war eigentlich unbeschreiblich, ich versuche es dennoch.

Der Grund für meine Reise war eine Dokumentation über die Welt von Harley-Davidson, so wie sie heutzutage auf der karibischen Insel existiert. Trotz allen Widrigkeiten überlebten hier ein- bis zweihundert Harleys und es ist eine faszinierende Welt, die sie umgibt. Als US-Amerikaner erfährt man aus den Medien nicht viel über die Situation in dem Inselstaat. Die seit mehr als 60 Jahren geltende Handelssperre behindert auch die Kommunikation. Zwar bin ich als Journalist berechtigt, nach Kuba zu reisen, doch bedingt das einen langwierigen, nervigen Akkreditierungsprozess.

Metzelers für die Harley-Davidson Fahrer auf Kuba

Das Finanzministerium stellt die Genehmigungen aus, die ich mit Zeugnissen, einem Lebenslauf und vielen weiteren Papieren beantragen musste. Man glaubt nicht, was ein Aufwand betrieben werden muss, nur um an einen Ort zu reisen, der rund 90 Meilen von der Küste Floridas entfernt ist. Es war bedeutend einfacher für mich, nach China, Tibet oder Russland zu fliegen, was ich in den letzten Jahren mehrfach getan habe. Selbst eine Reise nach Nordkorea oder den Irak wäre für einen Amerikaner kein Problem.

1954 Chevrolet

Trotz aller Neugier hinsichtlich Kuba weiß ich nicht, ob ich diese Formalitäten-Tortur auf mich genommen hätte, wenn mich nicht eines Tages ein Anruf aus Mailand erreicht hätte. Die Firma Metzeler hatte mich eingeladen, anlässlich der Premierenvorstellung der Reportage „Cuban Harlistas“, den der italienische Filmemacher Guido Giansoldati in Havanna gedreht hatte, das Filmteam auf ihrem Trip dorthin zu begleiten. Gleichzeitig nutzten die Reifenhersteller diese Tour, um die kubanischen Harley-Fahrer mit einem kostenlosen Kontingent ihrer Produkte zu beglücken.

Kuba und seine Harlistas sind einfach bezaubernd

Für jemand wie mich, der es liebt zu reisen und zu fotografieren und der auch noch Harley-verrückt ist, war das ein traumhaftes Angebot. Metzeler kümmerte sich auch um den ganzen Papierkram. Dann war es endlich soweit und ich stand eines Tages in Havanna. Ich war zwar nicht weit weg von meinem Heimatland, kam mir aber dafür um Jahrzehnte in der Zeit zurückversetzt vor. Zwei Stunden nach meiner Landung saß ich auf dem Beifahrersitz eines altersschwachen 54er Buick neben Luis Enriqué Gonzales, dem Präsidenten des MOCLA. Das ist die Abkürzung für Moto Classica Club.

Die Harley Davidson Szene auf Kuba ist im Moto Classica Club organisiert

Gemeinsam waren wir auf dem Weg zu einem kleinen Essen, um danach an der Premiere des Films im Openair-Kino neben dem Hotel National de Cuba teilzunehmen. Vorher trafen wir einige weitere Harlistas an der Strandpromenade, dem berühmten Malecon. Einige von ihnen lernte ich in der darauffolgenden Woche noch besser kennen. Ich hatte vor, die Harlista-Member zuhause oder in ihren Werkstätten zu besuchen. Nach der Vorführung gab’s eine Party. Wir liefen zu Fuß nach La Piragua, dem Amüsierviertel von Havanna. Dort wurde bis in die Nacht gefeiert, getanzt und getrunken. Bereits nach diesem einen Tag in der kubanischen Hauptstadt hatte ich Unmengen an Eindrücken zu verarbeiten, die noch lange in meinem Gedächtnis bleiben werden. Kuba und seine Harlistas waren einfach bezaubernd.

Fragwürdige Grundlage für die Besetzung von Guantanamo

Bevor ich nun noch mehr erzähle, hier ein kurzer Abriss der über 500-jährigen Geschichte dieser karibischen Insel. Als Schüler sangen wir „Columbus segelte über den blauen Ozean“, was bedeutete, er entdeckte Amerika. Unsere Lehrer erzählten uns nicht, dass der Entdecker niemals einen Fuß auf das Gebiet der heutigen USA setzte, noch, dass er gleichwohl drei Mal auf Kuba weilte. Über die Zeit davor oder die rund 400 Jahre dauernde Beherrschung der Insel durch die Spanier erfuhren wir auch nichts. Inzwischen kann man darüber wenigstens in den Geschichtsbüchern lesen. 1515 wurde Havanna gegründet.

Im Hotel Nacional bei der Premiere des italienischen Dokumentarfilms „Cuban Harlistas“

In den folgenden zehn Jahren wurden rund 100.000 Eingeborene, die sich der Christianisierung widersetzten, ausgerottet. Nach einigen fehlgeschlagenen Aufständen wurde nach dem viermonatigen Spanisch-Amerikanischen Krieg im Pariser Frieden von 1898 der Abzug der Spanier festgelegt. Allerdings blieb die Insel erst einmal von den Amerikanern besetzt, die so ihre wirtschaftlichen Interessen wahren wollten. Die formale Unabhängigkeit erlangten die Kubaner 1902, als ihr Land zu einer Republik erklärt wurde. Jedoch erlaubte ein Zusatz in der Verfassung den USA die Intervenierung. Dieser wurde zwar 1934 aufgehoben, bildet aber noch immer die Grundlage für die Besetzung des Marinestützpunkts Guantanamo.

Keine Ersatzteile für Harley-Davidson Oldtimer auf Kuba

Die meisten Präsidenten oder Diktatoren, die das Land seither regierten, konnten sich auf die Unterstützung aus Washington verlassen. Unliebsame Politiker wurden schnell entmachtet. Kuba war in den Staaten wegen seiner Hotels, Nachtclubs und Casinos bekannt. In den 50er Jahren war das Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt höher als das in Japan. Neben vielen Reichen gab es eine große Mittelschicht, aber auch Kriminalität, Korruption und Ungerechtigkeit. Der Machthaber Batista hielt sich mit Brutalität und Gewalt an der Macht. Um ihre einträglichen Geschäfte weiter zu sichern, wurde er von den Amerikanern unterstützt.

Luis Enrique Gonzalez posiert mit anderen Harlistas für ein Pirelli Metzeler-Werbefoto im Geschäft neben seinem Haus

Durch die Revolution, angeführt von Fidel Castro, wurde er 1959 gestürzt. „El Commandante“, wie Fidel Castro auch genannt wirde, übernahm die Macht und behielt diese trotz mehrerer Umsturzversuche durch die Amerikaner bis 2006 inne. Nach seinem krankheitsbedingten Rücktritt war er immer seltener in der Öffentlichkeit präsent und starb schließlich im Jahr 2016. Dennoch wird weiter an seiner Idee des sozialistischen Kuba fest gehalten, was auch zur Beibehaltung des wirtschaftlichen Embargos durch die USA führt. Darunter leiden die Besitzer der inzwischen mindestens fünfundsechzig Jahre alten Harleys und Autos. Sie dürfen offiziell keine Ersatzteile erhalten und müssen sich durch Improvisation helfen. Natürlich gibt es auch noch Fahrzeuge aus sowjetischer oder osteuropäischer Produktion und inzwischen sogar japanische und europäische Marken im Straßenbild, doch weitgehend sind die Straßen leer.

Große Leidenschaft für Harley-Davidson Oldtimer auf Kuba

Durch die Filmcrew lernte ich einige der Laien-Darsteller des MOCLA-Clubs kennen. So auch den oben beschriebenen Luis, der natürlich neben seinem Buick auch noch eine 46er Knucklehead besitzt. Die nennt er liebevoll „Hierba Bruja“, was soviel wie Hexenkraut bedeutet. Neben dieser Harley schraubt er auch noch an zahlreichen Kunden-Bikes. Er verfügt in seinem Harley-Shop über eine Menge alter Ersatzteile, Werkzeuge und Maschinen. Es war deutlich zu sehen, wie groß Luis’ Leidenschaft für Harley-Davidson ist. Er hat sie regelrecht verinnerlicht.

Harley-Davidson Knucklehead

Offiziell hat er auch noch einen Job als Parkwächter. Täglich hat er Besuch von Freunden und Bikern, die auf einen Kaffee vorbeikommen. Es ist erstaunlich, wie viele Leute in Havanna ihr Geld mit dem Schrauben an alten Harleys verdienen. Ich habe nicht ganz verstanden, wie das möglich ist in einem Land, in dem private Betriebe nur widerwillig geduldet werden. Aber es funktioniert. Ein weiteres Beispiel dafür ist José Sobrino. Er lebt in einem bescheidenen Haus am Stadtrand. Unter einem weitläufigen Dach hinterm Haus arbeitet er.

Das Panhead-Getriebe soll wieder wie neu werden

Bei meinem Besuch zerlegte er gerade eines der „neuesten“ Getriebe, das auf Kuba erhältlich ist. Es stammt von einer 58er oder 59er Panhead. Sein Ziel: Es soll wieder wie neu werden, aber eben auf kubanische Art. Zuerst zerlegte er das rostige Räderwerk komplett. Dafür nutzt er große und kleine Hämmer, Hebel und reichlich Lösemittel. Ein amerikanischer Arbeitsschutzinspektor würde die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Erst recht, wenn er sehen würde, wie José die zerlegten Parts in einem selbst gebauten Sandstrahler reinigt.

Die Werkzeuge von José Sobrino auf einem Arbeitstisch in seiner Werkstatt

Dafür nutzt er nämlich keine Handschuhe, sondern seine blanken Hände. Die Liebe zu dem, was er tut, zeigt sich in der Weise, in der er an den Bikes schraubt, seinen rauen Händen und natürlich an den fertigen Ergebnissen. Das führte vor zwei Jahren sogar zur Trennung von seiner Frau. Die gewann damals nämlich eine Green Card und verließ mit der damals 13-jährigen Tochter das Land. Sobrino entschloss sich, seine Arbeit, seine Harleys und sein Land nicht zu verlassen und blieb.

49er Panhead mit Rädern eines tschechischen Skoda

Ein anderer Mechaniker hat inzwischen sogar schon einmal mediale Aufmerksamkeit erhalten. Der Artikel in der New York Times über ihn titelte: „Für einen einsamen Schrauber ist Kuba noch immer der Hog Heaven“. Sergio war vor Luis der Präsident des MOCLA und ist besonders für seine Fertigkeiten im Restaurieren alter Motoren bekannt. Seit seinen ersten Arbeiten, die er 1972 durchführte, hat er genügend Erfahrungen gesammelt. Sein persönliches Bike ist eine 49er Panhead, die er mit Rädern eines tschechischen Skoda und einem selbst gefertigten Beiwagen auf Basis eines Ural-Chassis ausgerüstet hat. Es bedurfte keiner großen Bitten, um Sergio zu einem Ausritt zu überreden.

José Sobrino bei der Arbeit in seinem Geschäft

Trotz der streckenweise miserablen Zustände der Straßen hatten wir eine schöne Zeit. Beim Versuch, aus dem Beiwagen heraus Fotos zu machen, wurde ich allerdings ordentlich durchgeschüttelt. Sergio hatte dafür während der ganzen Fahrt ein breites Grinsen im Gesicht. Er genoss den Trip sichtlich. Dabei hätte ihn die kubanische Szene fast verloren. Gemeinsam mit seiner Frau war er in die Staaten ausgewandert. Doch trotz seiner jahrelangen Erfahrungen und Fähigkeiten schaffte er es nicht, einen festen Job zu bekommen. So entschlossen sich die beiden nach sechs Monaten wieder für ein Leben in ihrer Heimat.

Die Harleys auf Kuba sind meist Flathead, Knucklehead oder Panhead

Den nächsten Stopp legte ich in Bauta ein. Der Ort liegt rund 35 Kilometer von Havanna entfernt. Dort besuchten wir Ilado „El Calvo“ Fernandez, der dort seinen Shop hat. Auch hier handelt es sich um einen überdachten Arbeitsplatz mit freiem Zugang von den Seiten. Ilado schraubte gerade an einer 59er Duo Glide, während sich sein Sohn Andres Castillo mit einem russischen Bike beschäftigt. Nie zuvor sah ich einen charakteristischeren Laden als diesen. Selbst in meinen wildesten Träumen könnte ich nicht so ein wirres Ambiente entwerfen. Überall lagen Werkzeuge, Teile, Kabel, Flaschen mit Flüssigkeiten und anderes Equipment herum. Dennoch wusste Ilado stets, wo was lag.

Der Laden von Iladio „El Calvo“ hinter seinem Haus in Bauta, 35 km von Havanna entfernt

Ich traf noch viele weitere Harlistas auf meiner Reise. Jeder von ihnen hatte eine faszinierende Story zu erzählen. Da waren Caburo mit seiner 59er Duo Glide, die Rechtsanwältin Adriana Dominguez Leon mit ihrer pinkfarbenen 42er Flathead, die auch noch mehrere Panheads besitzt, der Restaurator José Manuel Denis Pacheco auf seiner 46er Flathead, Julio „El Flaco“, der schon mehrere Panheads wieder aufgebaut hat und der Fotograf Adalberto Roque mit seiner Knucklehead. Nicht zu vergessen der Möchtegern-Harlista William, der gern eine Harley-Davidson besitzen würde und sich bis dahin mit einer umgebauten Triumph begnügen muss.

Eine aufregende Geschichte: Harley-Davidson auf Kuba

Am letzten Tag meines Aufenthalts traf ich noch einmal eine Gruppe Harlistas und konnte sie beim Cruisen durch die Stadt in ihrem Element erleben. Das, was sie am meisten lieben, ist mit ihren Bikes zu fahren, so wie das Besitzer von Harley-Davidsons auf der ganzen Welt tun. Wir fuhren mit laut bollernden Motoren durch die Straßen und die Leute winkten uns zu. Wir wurden so selbst zu einer Attraktion. Es war ein schöner Abschluss meiner Reise in dieses wunderbare Land. Es gäbe noch so viel zu erzählen über die Bewohner dieser Insel und die Bewältigung ihres nicht immer einfachen Lebens. Aber auch die Geschichte der Harleys auf Kuba ist eine aufregende Geschichte. Nicht nur für Biker, sondern für jeden. Durch sie erfährt man viel über die Historie dieses Landes.