Wir wollten wissen, ob die Harley-Davidson Low Rider ST auch ein praktikabler Tourer für die Langstrecke ist.
Stau am Kirchheimer Dreieck. Warum immer hier? Es ist, als wäre da ein Befehl aus Adolfs Zeiten noch immer nicht aufgehoben worden. Angewiesen wegen der mustergültigen deutschen Landschaft mit Bergen und Wiesen und Wäldern, die das deutsche Volk hier unter besonderer Achtsamkeit, und deshalb nur im Schritttempo wahrzunehmen hätte: „Heute ab fünf Uhr fünfundvierzig hat Stau zu herrschen am Kirchheimer Dreieck …“
Mit der Low Rider ST von Heidelberg nach Berlin
Es ist immer das Gleiche. Die Strecke von Heidelberg nach Berlin fahr ich mehrfach im Jahr, diesmal um meinem Sohn das Soundboard zurückzubringen, das ich Schussel bei mir liegengelassen habe. Ich alter Mann dachte echt noch, dass ich es für einen kleinen privaten Techno-Rave brauchen könnte.

Und Überraschung, das Ding passt locker in die Koffer der Low Rider ST. Es passen sogar noch zwei Bände mit Goethes Farbenlehre rein, denn das will ich während meiner erzwungenen Musestunden wegen seniler Bettflucht nochmal recherchieren: Wäre Schwarz auch für den Besserwisser aus Weimar die angemessene Farbe für ein Motorrad gewesen? Die Tage in Berlin sollen mir Antwort geben.
Low Rider ST – Ein praktikabler Tourer
Die Tage sollen aber vor allem Antwort auf die Frage geben, ob die Low Rider ST nur ein Showbike oder auch ein praktikabler Tourer ist. Deshalb schnell den Daumen an den Wählhebel der linken Armatur und den Tempomaten deaktivieren, als vor mir die Warnblinker der sich stauenden Autos aufleuchten. Ruckartig nimmt der Bolide Gas weg. Das war schon ganz praktisch mit diesem Tempomaten. 180 Sachen auf dem Tacho, und trotzdem mal zum Entspannen den rechten Arm runternehmen. Über die erste Etappe war das möglich. Gusseisern folgte die Low Rider ihrem Kurs, nur die Verwirbelungen hinter vorausfahrenden Autos brachten sie in ein leichtes Schütteln.

Das also spricht für die Low Rider als Tourer: Hinter ihrer unter ästhetischen Gesichtspunkten irritierenden Verkleidung lässt es sich auch bei 180 Sachen entspannt aufrecht sitzen. In ihre Koffer passen neben Goethe und Sony-Soundbar auch noch Regenkombi und Schlafanzug mit bunten Flugzeugmotiven. Der gorillamäßige Vortrieb des 117-Kubikinch-Motors ließ mich schneller auf die Höchstgeschwindigkeit kommen, als ich über die Farbe Schwarz nachdenken konnte. Nur bei 190 riegelte er ab. Es passierte einfach nichts mehr, kein Stottern, kein Ruckeln, einfach Schluss bei 190, gelegentlich blinkte auf dem Tacho auch mal die Zahl 193 oder 194 auf, bergab oder bei Rückenwind. Dabei merkt man es: Dieser Motor hätte genug Reserven für noch mehr!
Die Windverwirbelungen prügeln sturmartig um die Ohren
Dann aber plötzlich, und doch wie erwartet, der Stau. Nun erweist es sich als Vorteil, dass die Low Rider ST irgendwie auch ein Clubstyler ist. Schnell und wendig muss er sein. Auch nicht zu breit, deshalb kein ausladender Apehanger, sondern ein verhältnismäßig schmaler T-Bar-Lenker. Mit so einem Motorrad ließe es sich locker durch den Stau schlängeln, wenn das nicht verboten wäre. Deshalb werde ich hier auch nicht schreiben, dass ich sowas getan hätte. Aber wenn ich tun würde, was verboten ist: Die Low Rider ST würde zwischen den Autoschlangen hindurchflutschen wie ein flinker Fisch!

Nun also, im Stau, darf ich über die Schönheit der deutschen Landschaft nachdenken, über die Motorradtauglichkeit der Farbe Schwarz, und vor allem über meinen Tinnitus. Unerträglich fieptes in beiden Ohren, obwohl ich mir die doch vor der langen Fahrt sorgfältig zugestöpselt hatte. Aber es ist eben wie mit so vielen Fairings aus dem Hause Harley-Davidson: Sie scheinen fast mit Absicht so konstruiert zu sein, dass sie einem normal gewachsenen Fahrer die Windverwirbelungen sturmartig um die Ohren prügeln. Das geht auch kaum weg, wenn ich mich hinter die Verkleidung bücke.
Hätte man in der Verkleidung kein Ablagefach unterbringen können?
Und was ist dieses Bike für ein Sparbrötchen: Wie kann man in so ein wuchtiges Verkleidungsteil nur Löcher hineinkonstruieren, ohne ihm nicht wenigstens ein klitzekleines Ablagefach zu spendieren? Hinterm Kirchheimer Dreieck ist die Autobahn wieder frei. Fast wie in einem Propagandafilm schlängelt sie sich durch die Berge, gelegentlich muss ich auf 160 Sachen runtergehen, werfe dann kurze seitliche Blicke auf die Landschaft.

Nach nun bald 400 Kilometern quälen mich die nächsten Probleme. Immer wieder will ich die Beine auf die hinteren Fußrasten zurücknehmen. Aber es gibt keine hinteren Fußrasten. So bin ich für Stunden in eine einzige Körperhaltung gezwängt. Auf Trittbrettern ließe die sich wenigstens etwas variieren, aber Trittbretter hat ein Clubstyler erst recht nicht.
190 Sachen – mehr geht ja leider nicht
Linderung verschafft mir erst die Agip-Tankstelle bei Eisenberg kurz hinterm Hermsdorfer Kreuz. Dort reicht man eine seniorengerechte Portion Spiegelei mit Speck vom Nährwert eines kleinen Steaks. Das für nur 4,49 Euro. Angesichts der Inflationsrate dürfte der Preis schon nächste Woche nicht mehr gültig sein. Egal. Ich kann meine Gräten ausstrecken, das ist die Hauptsache. Und ab hier verweist jedes Schild an den Autobahnauffahrten auf Berlin! Aber erstmal Stau in der Höhe von Leipzig. Warum immer hier? Ist das noch so ein niemals aufgehobener Beschluss aus dem miefigen Bunker in Berlin?

Dann aber endlich freie Bahn ab der Elbe. „Plaste und Elaste aus Schkopau“ zeigt der Turm an der Elbbrücke hier schon lange nicht mehr. Endlich gebe ich Vollgas, 190 Sachen, mehr geht ja leider nicht, und singe gegen die polternden Windgeräusche mit einem nächsten Liedchen an: Märkische Heide, märkischer Sand!
Die wendigste aller jemals gebauten Big-Twin-Harleys
Und immer bücke ich mich hinter dieser Scheibe, und immer treibt die wuchtige Harley mich weiter durch die sandigen Felder und die kiefernbestandenen Wälder, bis zum ehemaligen Grenzkontrollpunkt Dreilinden. Ende der Transitstrecke. Diesmal nicht brav bei Tempo 100, weil hinter jedem Intershop die Volkspolizei blitzt, um Devisen einzutreiben. Damals verteilte sie auch gerne noch ein weiteres Ticket, weil wir die Stiefel auf den hinteren Fußrasten abgelegt hatten. Im Osten war auch das verboten. Das immerhin hätte mir mit der Low Rider ST nicht passieren können.

Dann beginnt der Stadtverkehr. Nun muss ich furchtbar aufpassen, meinen Geschwindigkeitsrausch ausbremsen und mich an die Tempo 50- und Tempo 30-Regulierungen halten. Glücklich bin ich aber, weil sich die Low Rider ST unglaublich lässig durch die City zirkeln lässt. Mit einem Wendekreis von nachgemessenen 4,80 Metern im Durchmesser wusele ich mit ihr die nächsten Tage tatsächlich flott und behende durch die Stadt. Als Tourer für die Langstrecke ist die Low Rider ST einigermaßen praktikabel, im Stadtverkehr ist sie aber sicher der wendigste aller jemals gebauten Big Twins.
Schwarz steht der Low Rider ST wirklich gut!
Für die Connectivity der Soundbar am USB-Anschluss der Harley interessiert mein Sohn sich übrigens nicht. Und über die Farbe Schwarz auf Motorrädern hat Goethe nichts geschrieben. Oberschlaue Physiker klären uns heute darüber auf, dass Schwarz lediglich die Abwesenheit von Licht ist. So hat der alte Goethe das noch nicht gesehen, für ihn war Schwarz noch eine echte Farbe. Und die Farbe Schwarz, so merke ich es bei der abendlichen Molle am Fuße des Kreuzberges mit Blick auf die Harley, die Farbe Schwarz steht der Low Rider ST wirklich gut!
Wer nutzt denn bitte für eine Tour von Heidelberg nach Berlin drei unterschiedliche Helme ? Auf den Aufnahmen sind ganz klar 1 schwarzer Jethelm mit Motorradbrille zu sehen, dann ein konventioneller Intergralhelm in Goldbronze und ein schwarzer Klapphelm, wo wurden diese während der Fahrt platziert ? Sicher nicht in den schmalen Motorradkoffern. Irgendwas passt hier nicht am Beitrag, nur so mal zur Info