Stehen wir derzeit an einer Schwelle zu einem neuen (alten) Trend im Custombike-Bau? Es gibt Anzeichen, dass die sogenannten Digger der 70er Jahre ein Revival erleben.

Erinnern wir uns: Vor gut zwanzig Jahren waren Chopper, und da vor allem die Varianten mit mannsbrusthohen Lenkköpfen, das Maß aller Custombike-Dinge. Fast zeitgleich hatte sich die Breitreifen-Mania entwickelt, ein Trend, der sich nicht allzu lange hielt. Ein paar Jahre später nämlich waren dann plötzlich Bobber en vogue.

Digger hatten ihre Blütezeit Anfang der 70er Jahre

Urige Dinger auf Ballonreifen, mit möglichst wenig dran, die Optik der 40er und 50er Jahre war gefragt. Die Zeit der Bobber ist noch immer nicht vorbei. Dazu gesellen sich heute Performance Bagger und Clubstyler. Und auch das Thema Chopper köchelt weiter beständig vor sich hin …

Ein besonders schönes Digger-Exemplar aus dem sonnigen Florida

Es gab in den letzten Jahren aber auch vage Anzeichen dafür, dass sich etwas Neues tut. Das Wort „Neu“ ist in diesem Zusammenhang allerdings nicht ganz korrekt, denn diesen Stil, Custom-Motorräder zu stylen, gab es bereits. Er hatte hatte seine Blütezeit Anfang der 70er Jahre des vorigen Jahrhunderts. Es war damals die Zeit der Blumenkinder, besser bekannt unter dem Begriff Hippies.

Die ersten Exemplare entstanden im reichen, sonnigen Kalifornien

Hippies waren gesellschaftliche  Aussteiger; sie stemmten sich gegen jegliches Establishment, praktizierten freie Liebe und benutzten als Kommunengefährt vorzugsweise bunt bemalte VW T1-Bullis. Das Credo dieser friedfertigen, reichlich weiche Drogen konsumierenden „Generation Woodstock“ lautete: Make peace, not war!

Nicht selten saß der Lenkkopf eines Diggers einen halben Meter oder mehr vor dem Motor

Exakt in diese Zeit wurden die „Digger“ geboren. Und wie sollte es anders sein: Wie so viele andere Freizeitbewegungen entstand auch dieses Thema im reichen, sonnigen Kalifornien. Und es war kein Geringerer als der „Godfather of Customizing“, Mister Arlen Ness, der damals eine ganz gewichtige Rolle einnahm, als sich der „Digger-Style“ Schritt für Schritt entwickelte. Mit von der Partie waren in jenen Tagen auch Jungs wie Dave Perewitz, Donny Smith und Barry Cooney.

Digger wurden von den Dragstern der damaligen Zeit abgeleitet

Aber was sind eigentlich „Digger“? Und wie entstand der Name für diese Stilrichtung? Nun, der Name kommt von „to dig“, was im Englischen „graben, wühlen, scharren“ bedeutet. Ein Digger ist also ein Gräber, ein Wühler. Bergleute heißen auf englisch Digger, aber auch Bagger heißen so. Ein Goldgräber ist ein Gold Digger, ein Kanalarbeiter ein Channel Digger.

Typisch: Prismen-Tank

Was aber hat ein Motorrad mit wühlen zu tun? Um die Herleitung des Begriffs für diese spezielle Motorradgattung zu verstehen, muss man schlichtweg wissen, dass die Digger von den Dragster-Motorrädern der damaligen Zeit abgeleitet wurden. Und eben von diesen Dragstern stammen auch die wichtigsten baulichen Merkmale, die einen Digger ausmachen.

Ein Digger muss Brocken aus dem Asphalt reißen

Digger sind sehr lang und sehr flach – so wie ein Dragster-Bike. Digger haben stark gereckte, kurze Gabeln, an denen ein schmales Vorderrad angebracht ist – wie bei einem Dragster-Bike. Die Motoren von Vollblut-Diggern sind aufgeladene PS-Monster. Ein Turbolader oder eine Kompressor war seinerzeit bei High End-Exemplaren praktisch Pflicht; mindestens jedoch fette Doppelvergaser.

Arlen Ness bot 1977 Umbau-Kits für japanische Reihenvierzylinder an

Und genau hiervon leitet sich der Name der Gattung ab. Digger sind – angeblich (!) – so stark motorisiert, dass sie beim heftigen Gasanreißen regelrechte Furchen in den Untergrund wühlen, Brocken aus dem Asphalt reißen. Vorzugsweise steckten die leistungsmäßig gepimpten und nicht selten überbordend mit Gravuren geschmückten Motoren in äußerst dünnrohrigen, langgestreckten Fahrgestellen, deren Lenkkopfpartie nicht selten über einen halben Meter oder mehr vor dem Motor platziert war.

Arlen Ness entwickelte auch Rahmen-Kits für Reihenvierzylinder

Großzügig geknickte Unterzüge im Gooseneck-Stil waren ebenfalls beliebt. Die meisten frühen Digger wurden seinerzeit mit stark veschlankten, denkbar dünnen Springer-Gabeln bestückt; ein Muss war dies jedoch nicht. Ebenso wenig war die Herkunft des verwendeten Motors festgelegt. Arlen Ness verbaute in seinen eigenen Digger-Exemplaren zwar überwiegend Ironhead-Sportster-Motoren, er entwickelte und verkaufte aber auch Rahmen-Kits für die frühen Reihenvierzylinder von Honda und die legendäre Z1 Kawasaki.

Auf diesem grundierten Rolling Chassis sitzt ein so genannter „Rocket“-Tank

Das machte Sinn, denn nicht wenige Leistungsfetischisten zogen es Ende der 70er Jahre vor, ihre „Furchengraber“ von vornherein mit starken Japaner-Aggregaten zu bestücken, anstatt dem beliebten, aber braven H-D Ironhead-Antrieb mit Ladern auf die Sprünge helfen zu müssen. „Hardhead“ nannte Arlen Ness 1977 seine Digger-Rahmen-Kits, weil seine Rohr-Kits samt neuem Lenkkopf aus hochfestem Chrom-Molybdän-Stahl gefertigt waren.

Nichts charakterisiert einen Digger so sehr wie der Prismen-Tank

Das vielleicht augenfälligste Merkmal und ein unbedingtes Muss ist der sogenannte Prismen-Tank. Nichts charakterisiert einen Digger so sehr wie der Prismen-Tank. Die ausnahmslos schmalen, länglichen Spritbehälter heißen so, weil sie keine rundliche Form haben, sondern stets aus einer Handvoll ungekrümmter, flacher, prismenförmiger Metallbleche zusammengeschweißt sind.

Neben Harley-Motoren befeuerten auch britische oder japanische Triebwerke die Digger

Digger-Prismen-Tanks sind viel eleganter und windschlüpfiger als ihre stilistischen Verwandten, die Sarg-Tanks, die gerne auf hochhackigen Highneck-Choppern Anwendung finden. Digger-Tanks sind schnittig gestylt, in manchen Fällen sogar regelrecht sportiv bis rasant; was kein Wunder ist, zitieren sie doch die Formensprache von minimalistisch ausgestatteten Wettbewerbs-Dragbikes. Eine Sache beißt sich allerdings, was die Abstammung von den Dragstern angeht.

Motor und Peripherie mit reichlich Gold-Zierrat

Top-Digger sind in der Regel im damals typischen Psychedelic-Stil lackiert, garniert mit verschwurbelt-barocker Ornamentik, die die Jungs seinerzeit wohl schick fanden, weil sie zweifellos rund um die Uhr an irgendwelchen Kräutertüten gezogen haben. Das Gleiche gilt für den offenbar kollekti­ven, zwanghaften Drang der US-Boys, den Motor und dessen Peripherie mit reichlich Gold-Zierrat zu „verschönern“. Über Geschmack lässt sich bekanntlich nicht streiten und es bleibt festzuhalten, dass auch diese Stilelemente unmittelbar zu einem veritablen Digger dazugehören. Bleibt die Frage: Entsteht hier ein neuer Custom-Trend? Wir werden sehen, ob es bei einzelnen Digger-Umbauten bleibt oder dieser Stil sich langfristig durchsetzen kann. Wegen uns – gerne!