Knapp 115 Jahre hat diese Harley-Davidson inzwischen auf dem Rahmen. Ein vermögender Sammler aus New York ließ den Silent Gray Fellow aufwendigst restaurieren.

Larry Wood und Pete Springer heißen die Restauratoren, denen die Aufgabe zufiel, den ehrwürdigen Oldie wieder in altem Glanz erstrahlen zu lassen. Und dieser Job war gar nicht so leicht. Jahrzehntelang hatte Rost der Substanz des originalen F-Head Singles Model 6 zugesetzt und es stellte sich bald heraus, dass leider einige Teile durch Nachfertigungen ersetzt werden mussten. Nicht an allen Teilen war noch genügend gesunde Grundsubstanz übrig, auf die zurückgegriffen werden konnte.

Silent Gray Fellow – Zuverlässig, unkompliziert und leise

In ihrer Bauweise waren diese frühen Motorräder noch sehr von ihren Urvätern, den Fahrrädern, geprägt, auf deren Grundkonzept sie noch immer zurückzuführen waren. Wie selbstverständlich gehörten Pedale und eine Rollenkette zum Hinterrad zur Ausstattung. Diese dienten dazu, das Fahrzeug in Bewegung und den Motor zum Laufen zu bringen.

Beim IOE-Motor (Inlet Over Exhaust) steht (!) das Auslassventil, das Einlassventil hängt (!) darüber

Der verbaute 30 cui-Motor (494 ccm) leistete im Jahr 1910 magere 4,3 PS. Damit schaffte der „leise graue Kumpel“ aber immerhin eine respektable Höchstgeschwindigkeit von rund 45 Meilen pro Stunde, was etwa 70 Stundenkilometern entspricht. Seinen Spitznamen erhielt das Bike übrigens wegen seiner hohen Zuverlässigkeit, der unkomplizierten Handhabung und des vergleichsweise leisen Motors, denn schon früh baute Harley-Davidson Schalldämpfer an seine Fahrzeuge.

Silent Gray Fellow mit Bypass

Damit wollte man eine bessere Akzeptanz in der Bevölkerung erreichen. Die damaligen Biker mussten sich die Straßen seinerzeit noch mit Pferdefuhrwerken und Reitern teilen. Doch schon damals bestand bereits die Möglichkeit, die Dämpfer mit einem Bypass zu umgehen, was etwas mehr Leistung und satteren Sound brachte, ein Thema, das bis heute hochaktuell ist.

Urige Karbidlampe

Der Antrieb am Model 6 erfolgte per Lederriemen direkt via Kurbelwellenzapfen ans Hinterrad. Um den Kraftschluss herzustellen, wird ein Hebel mit einer Spannrolle auf den Belt gedrückt und am Tank eingerastet. Dank mehrerer Rastenstufen kann die Riemenspannung bei Bedarf nachjustiert werden.

Modell 6 A war die Version mit Bosch-Magnetzündung

Bei Nässe und folglich rutschendem Riemen war eine Fahrt bestimmt kein Vergnügen. Dennoch wurden die stän­dig verbesserten Modelle aus Milwaukee immer beliebter. Sie boten den Käufern eine einfache und günstige Mobilität. Das hier präsentierte Modell 6 A (das A steht für die Ausstattungsvariante mit einer Bosch-Magnetzündung) mit 28-Zoll-Rädern kostete zu seiner Zeit 250 Dollar.

Schon damals beliebt: Mit der Auspuffklappe ließ sich der Schalldämpfertopf umgehen

In der Jetztzeit verschlang die Restauration der Pretiose den enormen Betrag von 78.000 Dollar. Dafür besitzt Besitzer Paul Ousey nun ein top restauriertes, seltenes Original, denn in seinem Entstehungsjahr 1910 wurden von dieser Version gerade mal 334 Exemplare produziert. Von der vierzig Dollar günstigeren Version mit Batteriezündung waren es immerhin 2302 Exemplare.

Replikas für unter zwanzigtausend Dollar

Heutzutage können wir uns kaum noch vorstellen, wie es war, solch ein Bike zu bewegen. Ausgestattet mit wulstigen Schlauchreifen, kaum vorhandenen Bremsen und einer funzeligen Carbidlampe, war der Ritt sicher ein sehr elementares Vergnügen. Dennoch gibt es inzwischen Replikas von verschiedenen Anbietern für unter zwanzigtausend Dollar zu kaufen. Sicher noch immer eine stolze Summe, jedoch nichts im Vergleich zu einem echten Original, sofern ein solches überhaupt zu finden ist.