Road King oder Softail Deluxe? Diese Frage wird sich so mancher stellen, der über den Erwerb eines gebrauchten Harley-Cruisers nachdenkt. Wir haben die beiden verglichen.
Dieser Vergleich steht sinnbildlich für die Frage, ob man beim Kauf eines gebrauchten Harley-Cruisers eher eine Auge auf die Softail- oder die Touring-Familie werfen sollte. Ebensogut könnte man als Protagonisten eine Heritage Softail und eine Street Glide nehmen. 20 Jahre alte Softails mit Twin Cam sind ein paar tausend Euro teurer – obwohl sie damals ein paar tausend Euro günstiger in der Anschaffung waren. Die Preise für eine 2005er Softail Deluxe liegen heute bei etwa 12.000 Euro, eine Road King gleichen Baujahrs gibt’s schon für deutlich unter 10.000 Euro.
Die Softail Deluxe hat 10 Millimeter mehr Radstand
Beginnen wir mal mit ein paar harten Fakten: Die Softail hat mit 1635 Millimetern 10 Millimeter mehr Radstand als der Tourer Road King – wer hätte das gedacht. Gemeinhin gelten die Tourer als der Inbegriff der zweirädrigen Dickschiffe, da überrascht es schon ein bisschen, dass die deutlich schlankere Softail Deluxe einen längeren Radstand hat. Beim Stichwort „Dickschiff“ – sprich Gewicht – rückt die Road King dann die Familienehre wieder zurecht. Sie bringt satte 38 Kilogramm mehr auf die Waage als die Schwester Deluxe, ein Wert, über den es später noch zu sprechen gilt.
Bis Modelljahr 2010 hatte die Road King der Softail das serienmäßige Anti-BlockierSystem (ABS) voraus, doch ab Modelljahrgang 2011 besaßen alle in Deutschland ausgelieferten Softails (mit Ausnahme der Cross Bones) ebenfalls das hauseigene ABS-System von Harley. Technologischer Gleichstand bei den Bremsen herrscht damit aber trotzdem nicht, denn die Deluxe muss sich mit einer Scheibenbremse vorn begnügen, während die Road King vorn eine Doppelscheibe trägt.
Die geringe Zuladung der Softail Deluxe ist schon ein wenig frech
Die braucht sie sowohl wegen ihres deutlich höheren Gewichts, als auch wegen der deutlich höheren erlaubten Zuladung. 249 Kilo dürfen auf die Road King gepackt werden, das ist ein sehr komfortabler Wert. Die geringe Zuladungsgrenze der Softail dagegen ist schon ein wenig frech, denn 185 Kilo sind mit kräftigem Fahrer, gereifter Sozia und ein wenig Gepäck schnell erreicht oder gar überschritten.
Beim Thema Motor, Leistung und Drehmoment kann der Tourer ab ab Modelljahr 2011 auftrumpfen. Zwar gab es die Road King auf Kundenwunsch auch noch in der 96 cui-Version zu kaufen, aber normalerweise waren alle Tourer ab Baujahr 2011 mit dem größeren und stärkeren 103 cui-Motor bestückt. Das ist ein Hubraum-Plus von 110 Kubikzentimeter gegenüber der Softail, was sich in der europäischen Euro III-Version dennoch nicht so granatenmäßig in Mehrleistung niederschlug (plus zwei PS), aber doch spürbar in einem höheren Drehmoment.
Mehr als 1.000 Euro Aufpreis für den Twin Cam 103
Die von uns gefahrene 103 cui Road King liefert nach Herstellerangaben 134 Nm bei 3500 Umdrehungen, die Softail, die sich mit zwei Ausgleichswellen im Motor herumplagen muss, hat deren 124 Nm, ebenfalls bei 3500 U/min. Angesichts der Tatsache, dass die Road King so viel schwerer ist als die hübsche Deluxe, verflüchtigt sich der motorische Vorteil der Dicken im Alltag allerdings eher auf gleich Null. Das kleine Hubraum- und Perfomance-Plus kostete damals übrigens 1.010 Euro Aufpreis – kräftig Asche für ein Mehr von zwei PS und sieben Newtonmeter. Welche Stärken und Schwächen die Twin Cams haben, erfahrt ihr übrigens in unserem großen Twin Cam Special in Ausgabe 06-24, die ihr hier innerhalb Deutschlands versandkostenfrei bestellen könnt.
Auch wenn sie sich für flüchtige Betrachter gleichen mögen, im Fahrbetrieb geben sich die beiden Motorräder grundverschieden. Seit der tiefgreifenden Renovierung der Touring-Modelle ab Modelljahr 2009 lagen deren Fahrwerke bekanntermaßen ohne Fehl und Tadel. Highspeed-Wackeln war weitgehend passé, und auch in kurvigem Geläuf gab sich der Tourer dank seiner 16-Zoll-Bereifung erfreulich agil. An die Leichtigkeit des Seins, die die Softail beim Fahren vermittelt, kam die Dicke trotzdem nicht heran.
Die Softail Deluxe lässt sich viel fluffiger bewegen als die Road King
Die Deluxe, ebenfalls auf weiß gewandeten 16-Zöllern unterwegs, lässt sobald sie rollt, alle Pfunde, die sie mit sich herumträgt, vergessen. Möglicherweise ist die erstaunliche Handlichkeit auch dem großen, breiten, Hirschgeweihähnlichen Lenker geschuldet, dem Fahrer kann das aber wurscht sein. Die Softail lässt sich viel fluffiger bewegen als die Road King, der Tourer kann seine fast 40 Kilo Mehrgewicht in Kurven einfach nicht verhehlen.
Apropos Kurven: Wo Licht ist, ist bekanntlich auch Schatten. So agil die Softail sich auch fahren lässt, dieser Spaß leidet doch sehr unter ihrer viel zu geringen Schräglagenfreiheit. Selbst beim Wenden in Schritttempo setzen Trittbretter oder links der Seitenständer hässlich kratzend auf … das nervt. Erst die Milwaukee-Eight-Softails machen damit Schluss und bieten ausreichend Freiheit, um nicht in jedem Kürvchen mit den Fußrasten oder Trittbrettern aufzusetzen. Der Tourer hat mit 146 Millimetern deutlich mehr Bodenfreiheit als die Softail (113 Millimeter), zudem sitzen die Trittbretter bei der Road King enger am Chassis, was nochmals Vorteile bringt. Wer recht zügig mit seiner Harley unterwegs sein will, wird das zu schätzen wissen.
Fazit
Die beiden Bikes bedienen völlig unterschiedliche Fahrer-Naturelle. Derjenige, der gerne weit reist, öfter auch mal mit Beifahrer(in) unterwegs ist und auf der Hausstrecke schon mal zügig unterwegs sein will, muss zur Road King greifen. Das tadellose Fahrwerk, die höhere Zuladung, die besseren Bremsen und der kräftigere Motor sprechen hier für sich; auf der Minusseite des Tourers steht sein deutlich höheres Gewicht. Derjenige, der meist nur Tagestouren unternimmt, sich auf dem Motorrad eher als genüsslicher Cruiser denn als Gelegenheitsdynamiker sieht, wem die Reisetauglichkeit und Zuladung schnuppe ist, weil er eh meist solo unterwegs ist, der ist mit der handlichen, schmucken Softail viel besser bedient als mit dem Dickschiff.