Vor ziemlich genau 15 Jahren präsentierte Harley-Davidson die neue Ultra Limited mit dem damals ebenso neuen Twin Cam 103. Wir haben sie mit der Road King Classic verglichen, die noch mit dem Twin Cam 96 auskommen musste.
Es gibt durchaus frappierende Parallelen zwischen übergewichtigen Menschen und riesigen Motorrädern oder großen Autos. In allen Fällen tragen die reichlich vorhandenen Pfunde nicht gerade dazu bei, das jeweilige Subjekt oder Objekt spritziger oder handlicher zu machen. Im Gegenteil. Je größer eine Masse, desto träger reagiert sie auf gewünschte Änderungen. Das ist kein ideologisches Geschwätz, sondern reine Physik, nachzugooglen unter dem Begriff‚ Massenträgheitsgesetze‘.
Ultra Limited mit reichlich Übergewicht
Aber weshalb bauen dann Menschen Autos und Motorräder, die eigentlich viel zu schwer sind? Die Antwort: Weil es einen Markt dafür gibt. Bei den Autos juckt es inzwischen keine Seele mehr, dass ein Golf I in der Grundversion gerade mal 720 Kilo wog, ein vergleichbarer Golf der Neuzeit mehr als das Doppelte auf die Waage bringt. Die unglaublich gestiegenen Leergewichte sind der Grund dafür, dass ein modernes Auto mit einem 1600er Motor heute noch das gleiche verbraucht wie ein gleich motorisiertes vor vierzig Jahren.
Und zumindest in den USA, dem Mutterland der Super-Cruiser, interessiert es die wenigstens Harley-Biker, wieviel ihr Ofen wiegt. Die Straßen sind zumeist breit dort, die Distanzen weit, da will man Komfort – möglichst wie in einem Auto. Beheizte Lenkergriffe, Gepäckträger aus verchromten Stahlrohren, die edle HiFi-Anlage mit Navi und zig Lautsprecherboxen, Tempomat, Hartschalenkoffersystem mit Innentaschen, belüftbare Beinschilde mit Zusatzstaufächern, Windabweiser hier, Sitzheizung und voluminöse Sozia-Rückenlehne da – all das bringt neben den ohnehin großzügig gehaltenen Aufbauten der E-Glide zusätzliches Gewicht mit sich.
Die Road King Classic ist 45 Kilogramm leichter
413 Kilogramm wiegt eine 2010er Ultra Limited fahrfertig – das sind übrigens nur 3 Kilo weniger als die 2024er Version mit Twin-Cooled Milwaukee-Eight 114 wiegt. Ebenfalls nicht gerade ein Leichtgewicht, aber immerhin mit 45 Kilogramm annähernd einen Zentner leichter ist die Road King Classic gleichen Jahrgangs. Beide hier betrachteten Tourer verfügen seit dem Modelljahr 2009 über das gleiche, damals völlig neue Fahrwerk, das wirklich richtig gut taugt. Die Tourer früherer Baujahre wackelten ab Geschwindigkeiten oberhalb der 150 km/h wie Lämmerschwänze …
Das deutlich steifere Fahrwerk samt kräftig dimensionierter Kastenschwinge hält die Spur tadellos bis hin zur recht übersichtlichen Höchstgeschwindigkeit von 175 Stundenkilometern. In kurvigem Geläuf erfreut die mittels optimierter Hauptbremszylinder nochmals verbesserte Bremsanlage vom italienischen Hersteller Brembo, Kritik lässt sich aber trotzdem nicht vermeiden. Nach wie vor regelte das serienmäßige, hauseigene ABS viel zu grobschlächtig.
Road King Classic noch mit Twin Cam 96
Da pulst es einem im Regelbereich fast den Hebel aus der Hand oder den Fuß vom Pedal. Unschick fanden wir auch, dass der Testfahrer einmal unfreiwillig nicht mehr vor einer glücklicherweise leeren Kreuzung zum Stehen kam, weil die Intervalle, in denen der Regelkreis des Harley-ABS die Zangen aufmacht, viel zu lange andauern. Andere Hersteller können das deutlich besser – und Harley mittlerweile auch.
Kommen wir zur unterschiedlichen Motorisierung, denn die war der eigentliche Aufhänger für diesen Vergleich. In der Road King Classic werkelt der bereits seit dem Modelljahr 2007 bekannte Twin Cam 96. Aus 1584 Kubikzentimetern Hubraum holt die Company 82 Nominal-PS heraus, eine vergleichsweise bescheidene Leistung. Die 127 Newtonmeter Drehmoment sind allerdings ein sehr feiner Wert. Mit diesem ordentlichen Bumms bei niedrigen 3500 Umdrehungen lassen sich im Alltag die meisten Fahrsituationen gut meistern.
Twin Cam 103 – Premiere in der Ultra Limited
Die Ultra Limited trug als einziger Serien-Tourer den 103 Kubikinch-Motor, der zuvor denjenigen Exemplaren vorbehalten war, die an die US-Polizei ausgeliefert wurden. Dieses Hubraum-Plus von sieben Kubikinch (oder 106 Kubikzentimetern) gegenüber dem Twin Cam 96 wurde durch die Vergrößerung der Bohrung erreicht, was andererseits bedeutet, dass man keine drastische Drehmoment-Explosion erwarten darf. Käme das Hubraum-Plus von einem vergrößerten Hub, sähe die Sache anders – nämlich besser aus.
Und so leistet der größere 103er Motor in der für Deutschland homologierten Version nur zwei enttäuschende PS mehr als der Twin Cam 96. In der Fahrpraxis reißen die neun Newtonmeter mehr Drehmoment der U-Limited angesichts ihres Mehrgewichts von 45 Kilogramm nicht gerade vom Hocker. Und genau so fährt sich das dann auch auf der Straße. Diese E-Glide sieht fahrdynamisch kein Land gegen die Road King. Die bescheidene Mehrleistung des 103ers kann das Mehrgewicht und die Nachteile der ungünstiger, weil hoch verteilten Aufbauten nicht wettmachen.
Die E-Glide sieht fahrdynamisch kein Land gegen die Road King
Im Gegensatz zu dem behäbigen Dampfer Ultra Limited wirkt die Road King auf gewundenen Straßen fast wie ein Rennerle. Dabei hilft ihr nicht nur ihre schlankere Gestalt und das niedrigere Gewicht, sondern auch die Tatsache, dass sie eine größere Bodenfreiheit und damit größere Schräglagenfreiheit besitzt – und darauf kommt es beim Motorradfahren ja schließlich an, zumindest hier im herrlich abwechslungsreichen, gebirgigen Mitteleuropa.
FAZIT
Es ist, wie so vieles im Leben, Geschmacksache. Aber zum reinen Motorradfahren ist die Road King unserer Meinung nach die bessere Wahl. Sie ist agiler, handlicher, kommt allenthalben besser aus dem Quark und bremst auch schneller ab. Auch wenn jetzt wieder unzählige Leserbriefe von erbosten E-Glide-Fans auf uns niederprasseln werden – wer Spaß an den Riesengeräten hat, dem sei er herzlich gegönnt – so bleibt doch festzustellen: Die überbordend ausgestatteten E-Glides mögen als kommode Reise-Riesen für die unendlichen Weiten der USA durchaus ihre Daseinsberechtigung haben, im engen Europa muten sie eher wie obsolete Dinosaurier an.
Zwei PS aus 106 ccm mehr Hubraum sind nicht genug
Zudem hat Harley es leider unterlassen, die Ultra Limited motorenseitig viel deutlicher nach oben von den anderen Touring-Geschwistern abzuheben. Zwei PS aus 106 ccm mehr Hubraum sind nicht genug. Und die Sonderausstattungen wie Chrom-Reling auf dem Topcase, Innentaschen oder beheizte Griffe gibt es schließlich auch im P&A-Programm nachzukaufen. Am Ende gewinnt die Road King den Vergleich klar, die zudem auch noch knapp 7.000 Euro billiger war. Entsprechend günstiger ist sie auch gebraucht zu haben, wenngleich sie unterm Strich etwas wertstabiler als die schwergewichtige Schwester ist.