In den letzten 100 Jahren gab es einige Motorräder, die viel mehr sind als die Summe ihrer Teile. Manche sind Kapitel der Geschichte, andere Teil einer modernen Motorradkultur. Und ganz wenige verbinden alte und neue Zeiten – wie die Knucklehead von S&S-Gründer George Smith …
Es gibt da dieses Foto des nur mit einer Badehose bekleideten Rennfahrers Rollie Free, ausgestreckt auf seiner Vincent HRD Black Shadow auf dem Salzsee von Bonneville. Oder die mit Stars und Stripes geschmückte „Captain America“-Panhead aus dem Film Easy Rider. Oder erinnert sich einer an T.E. Lawrence’ Brough Superior? Alle diese Motorräder sind Meilensteine des Motorradkultes. Und was wir Ihnen hier zeigen, ist für die Customszene einer der wichtigsten V-Twins überhaupt. Keine Vincent, Brough oder Pan, aber mit größtem Einfluss auf die Geschichte der Teileindustrie rund um die Harley-V2-Motoren. Denn dieses Motorrad legte den Grundstein für eine gigantische Aftermarket-Firma: S&S Cycles.
George Smith wird 1921 geboren, in einer Zeit, als Auto- und Motorradmanufakturen zunächst boomen, um sich danach durch die Jahre der Depression zu quälen. George entwickelt schnell ein Talent für den Bau von Bikes, es sollte seine lebenslange Faszination für Zweiräder begründen. Im Zweiten Weltkrieg macht er seine Ausbildung zum Piloten, zum Einsatz kommt es für ihn nicht, 1945 ist der Krieg vorbei. Er verlässt die Air Force, aber es gilt, eine Lücke zu füllen – George braucht den Nervenkitzel. Er holt ihn sich auf der Rennstrecke.
Grundstein für S&S Cycles war die Tramp
Erst baut er sich einen Midget-Racer auf, er ist erfolgreich, doch das genügt ihm nicht. Motorräder reizen ihn mehr, er ist getrieben von der Geschwindigkeit und dem Willen zu siegen. Auch weil siegen Preisgelder verspricht, von denen Durchschnittsamerikaner nur träumen. Als dem Sieger einer neuen Rennserie, ausgetragen auf einem Drag-strip nördlich von Chicago, der unglaubliche Geldbetrag von 1.000 Dollar winkt, ist der junge Smith entschlossen zu gewinnen
Es ist 1952 und George bringt alle Kraft auf, seine Frau Marjorie, die er im Alter von zwanzig Jahren geheiratet hatte, zu überzeugen, dass er an diesem Rennen teilnehmen muss. Es gelingt ihm. George kauft eine 1939er Harley Knucklehead, die schon bessere Tage gesehen hat. Georges Knucklehead ist beim Kauf kaum mehr als ein 61-cui-Motor mit ein wenig Beiwerk, aber dass Knuckles auf der Rennstrecke mithalten können, hatte Harley-Werksfahrer Joe Petrali schon zwei Jahre zuvor bewiesen. 218 km/h hatten Joe auf seinem V-Twin mit dem stromlinienförmigen EL-Vergaser auf dem Daytona Race Track in die Geschichtsbücher eingetragen.
Über 200 km/h auf der Viertelmeile mit der Tramp
George ging seine Sache natürlich technisch an, tunte den Knucklehead auf 1300 Kubikzentimeter, verwendete Schwungscheiben aus einer Flathead. Er verschweißt die Zylinderköpfe, montiert Riley-Vergaser. Und er experimentiert mit verschiedenen Kraftstoffen, sogar mit Nitromethan. Längst hat die Knuckle einen Namen, als „Tramp“ bestreitet sie ihr erstes Rennen. Zum Erstaunen von Zuschauern und Konkurrenz erreicht George eine Spitzengeschwindigkeit von 201 Stundenkilometern auf der Viertelmeile.
Am Ende der Saison 1952 ist klar, dass die Tramp und George nicht zu schlagen sind, die 1.000 Dollar scheinen sicher in seiner Tasche. Das wird auch dem Dragstrip-Promoter bewusst, kurzerhand zieht er das Preisgeld zurück und verleiht George den Titel „Mid West Champion“, aber behält die ausgewiesene Erfolgsprämie. Alle Arbeit, aller Einsatz umsonst. Und doch ist eines in dieser Saison nur noch größer geworden: George Smiths Hunger nach Geschwindigkeit. Und wo anders soll er ihn stillen können als in Bonneville.
Außer Spesen nichts gewesen
George überredet Al Molenaar, einen lokalen Harley-Händler, der Southside Harley-Davidson in Chicago betreibt, ihn zu sponsern, um 1954 in Bonneville zu fahren. Wieder baut George Smith die Tramp neu auf, wieder konzentriert sich alles auf den Motor, noch mehr Bohrung, noch mehr Hub. Es braucht viele Versuche, die Komponenten richtig zusammenzusetzen, bis Smith zufrieden ist.
Mit damals sagenhaften 1507 Kubikzentimetern, immer noch im Originalrahmen, aber mit der Gabel eines Harley-K-Modells, fährt George Smith seinen Lauf in Bonneville mit 244 km/h – gegen Joe Petrali auf dessen Knuckle. Es gibt das Klischee, dass niemand nur einmal in Bonneville rast. Aber nicht einmal Georges Frau ahnt damals, dass dies nur die erste von vielen, sehr vielen Reisen nach Utah aufs ewige Salz ist. Aber sie erkennt schnell, dass Georges Talent, die Performance eines Motorrades zu steigern, mehr sein könnte als nur ein Hobby. Besonders, als andere Rennfahrer kommen und um Georges Hilfe bitten.
S&S Cycle Equipment auf dem Weg nach oben
1958 gründet George gemeinsam mit seinem Freund Stanley Stankos die Firma „S&S Cycle Equipment“. Standort ist der Keller von Smiths Haus in Blue Island/Illinois. Das erste Produkt der Firma sind leichte Alu-Stößelstangen. Stanley Stankos, der daneben ein florierendes Polstergeschäft betreibt, merkt schnell, dass er beide Firmen nicht unter einen Hut bringen kann. So verkauft er schon 1959 seine Anteile an seinen Partner.
Aber warum behält George dann das zweite „S“ im Firmennamen? Nun, der Mädchenname seiner Frau ist tatsächlich Smith und Marjorie bereits ein wichtiger Teil der Firma, sie kümmert sich um Büro und Buchhaltung. Und wenn sie nicht telefoniert, findet man sie in der Werkstatt, um selbst Teile zu bauen und zu testen. Das zweite „S“ hat sie sich also mehr als verdient.
Auch Harley-Davidson verlässt sich auf S&S
Im Jahr 1969 ziehen die Smiths nach Viola in Wisconsin, wo S&S bis heute seinen Standort hat. Georges Interesse konzentriert sich nun mehr denn je darauf, die Bikes seiner Kunden schneller zu machen. Selbst Harley-Davidson verlässt sich auf ihn, wenn es darum geht, die Milwaukee-Werksracer für Bonneville fit zu machen. In den 60er Jahren entwirft und entwickelt George Smith den ersten Vergaser, zusammen mit einem Tropfen-Luftfilter, der bis heute Wiedererkennungswert hat.
1968 beginnt Smith außerdem, gemeinsam mit Warner Riley eigene Motoren zu entwickeln. Nachdem S&S praktisch jedes Teil eines V-Twins sowieso schon einmal konstruiert hatte, liegt dieser Schritt nahe. Bis heute wird jedes S&S-Teil in den USA produziert, die überwiegende Mehrheit der verwendeten Materialien stammt aus einem Umkreis von vierhundert Meilen um Viola.
Wohin ist die S&S Trump verschwunden?
Obwohl S&S zu einer Erfolgsgeschichte wird, erlebt George Smith einen Großteil der Blütezeit nicht mehr. 1980 verstirbt er nach einem Herzinfarkt im Alter von nur 59 Jahren. Bis zu ihrem Tod 1992 führt Marjorie die Firma weiter. Danach übernimmt George B. Smith Junior die Geschäfte. Aber was ist mit der Tramp? Das Motorrad, das die Marke begründet hatte, ist schon lange verschwunden.
Was mit dem Bike passiert war, kann heute keiner mehr genau zurückverfolgen. Als sicher gilt, dass die Knucklehead 1959 an Al Molenaar von Southside Harley-Davidson übergegangen ist, der den Rekordversuch 1954 gesponsert hatte. Doch Als Firma wird in den 70er Jahren verkauft und die alte Knuckle ist wohl Teil der Geschäftsmasse. Danach verliert sich ihre Spur für lange vierzig Jahre. Die Familie Smith schafft es zwar, irgendwann den neuen Besitzer ausfindig zu machen, aber nicht, das Motorrad zurückzukaufen. Der neue Eigentümer weigert sich schlichtweg.
2011 findet und kauft Jesse James die Tramp
Zum 50-jährigen Jubiläum von S&S im Jahr 2008 wird eine Replika der Tramp gebaut, die Spur des Originals hat sich mittlerweile komplett verloren – bis 2011. Im Internet taucht ein Foto von Star-Customizer Jesse James auf, vor ihm steht eine rote Knucklehead. James hatte viel investiert, das Motorrad zu finden und zu kaufen – und es ist selbstverständlich für einen Enthusiasten wie ihn, dieses historische Bike nicht anzurühren, sprich umzubauen.
Trotzdem, als Jesse James sich aus der Öffentlichkeit zurückzieht, geht auch die Tramp wieder verloren. Sechs weitere Jahre lang weiß niemand, was aus dem Bike geworden ist. Vor ein paar Jahren steht das Bike dann plötzlich im Reigen zahlloser anderer Motorräder auf der Handbuilt Show in Austin, Texas. Seit 1959 hatte kaum einer es jemals live gesehen, der neue Besitzer Gary Wattis macht es nun der Öffentlichkeit zugänglich.
Der heilige Gral – die Tramp taucht wieder auf
Viele Besucher in Austin laufen an der schmuddeligen, abgenutzten Knuckle vorbei, ohne sie eines Blickes zu würdigen. Aber nicht wenige knien davor und können kaum glauben, dass das, was sie sehen, echt ist. Vielleicht ist der heilige Gral doch kein glänzender Kelch aus Gold, sondern nur ein rostiger Becher – ein genauer Blick lohnt sich immer!
Info | sscycle.com