Harley-Power satt: V-Rod Muscle und Sportster XR 1200 X waren einst die stärksten Modelle aus Milwaukee. Was eint dieses Duo, wo liegen die Unterschiede?

Nun, die Merkmale, die diese beiden so unterschiedlichen Fahrzeugkonzepte gemeinsam haben, sind schnell aufgezählt. Da ist zum einen der Hersteller. Der heißt Harley-Davidson. Und zum anderen ist da die Farbe Mattschwarz. Natürlich heißt dieser Lackton nicht einfach Mattschwarz, sondern „Black Denim“. Tja, und der Hubraum, der ist zwar nicht genau gleich, aber fast. Die Sportster hat 1203 Kubikzentimeter, die V-Rod 1247 Kubikzentimeter Hubraum. Damit hat es sich aber auch schon mit den Gemeinsamkeiten.

XR 1200 X – Mehr Power hatte keine Sportster

Die Unterschiede wiegen da viel schwe­rer. In der Sportster etwa werkelt ein Antrieb, dessen technisches Grundkonzept bereits mehr als ein halbes Jahrhundert alt ist. Luftkühlung, untenliegende Nockenwellen, Stößelstangen, zwei Ventile pro Zylinder, langhubiges Hub-/Bohrungs-Verhältnis – all das sind Daten aus einem anderen Zeitalter des Maschinen- und Motorenbaus.

XR 1200 X: Die Armaturen sind eher spartanischer Natur, dafür sind die Bremsen vorn sehr wirkungsvoll

Hohe Drehzahlen mag so ein Aggregat nicht, hier kommt es eher auf den satten Punch aus dem Drehzahlkeller an. Gute 100 Newtonmeter Drehmoment bei niedrigen 3.700 Umdrehungen zauberte Harley aus der obsoleten Konstruktion, damit lässt es sich in urbanem Milieu und auf Landstraßen prächtig leben. Auch die Leistung kann sich mehr als sehen lassen. 91 PS sind eine echte Ansage für das luftgekühlte Evo-Aggregat, das als problemloser Dauerläufer gilt.

Erst bei 7000/min ist die Herde komplett am Galoppieren

Allerdings, um auch die letzten Pferde noch abzurufen, muss man den V2 auspressen bis fast in den Begrenzer. Erst bei 7000/min ist die Herde komplett am Galoppieren, keine 100 Umdrehungen später regelt der Drehzahlbegrenzer ab. Die Höchstgeschwindigkeit ist auf elektronischem Wege auf 200 Stundenkilometer limitiert.

Dank schmaler Bereifung sehr handlich: Kurvenwetzer XR 1200 X

Die „X“ würde noch schneller laufen, wenn sie dürfte, aber 200 Sachen sind auf solch einem breit belenkerten Nackteisen wahrlich genug. Stures Autobahn-Gebolze ist eh nicht die Bestimmung dieses für Harley-Verhältnisse außerordentlich wendigen Geräts, ihre Domäne sind eindeutig die kurvigen Landstraßen dieser Welt. Zum Fahrspaß tragen die sportlich straffen und dennoch nicht unkomfortablen Federelemente ebenso bei wie die vernünftig schmale Bereifung und die sehr gute Doppelscheibenbremse im Vorderrad.

V-Rod Muscle – Pures Adrenalin auf zwei Rädern

Die passable Schräglagenfreiheit erlaubt durchaus auch sportlichengagierte Einlagen, ein Renneisen ist die XR 1200 X aber ebensowenig wie ein Reisemotorrad. Der kleine, nach hinten abfallende Soziussitz hat eher Alibi-Funktion. „Roadster“ nannte man diese Art von Motorrädern in den 50er und 60er Jahren und dass trifft im Falle der mattschwarzen, nackten „X“ den Nagel auf den Kopf – auch wenn sie von Harleys legendärem Flat-Tracker XR 750 inspiriert war.

Im Vergleich zur Muscle steht die Sportie fast schon hochbeinig da

Ein komplett anderes Kaliber ist die V-Rod Muscle. Brutal langgestreckt, tief kauernd, schwer, überaus kraftvoll – dieses Bike in Mattschwarz ist pures Adrenalin auf zwei Rädern. Technisch hatte sich in den zehn Jahren seit dem Erscheinen der ersten V-Rods im Spätjahr 2001 wenig geändert, aber das Design war endlich stimmig.

Den Revolution-V2 hatte Porsche entwickelt

Nicht umsonst taufte die Company dieses Bike „Muscle“, denn es war so gestylt, wie Harley es von Anfang an für diese Baureihe Power-Cruiser hätte bringen müssen. Die maskulinen Ecken und Kanten stehen dem Dragstyle-Bike um so vieles besser als die fließend femini­nen Formen der frühen V-Rods. Vielleicht wäre die Akzeptanz der damals modernsten aller Harleys (Wasserkühlung, Vierventiler, 60° Zylinderwinkel) im Mutterland USA höher ausgefallen, wenn es von Anfang in diesem Macho-Gewand gesteckt hätte.

Die „X“ war die stärkste je gebaute, luftgekühlte Serien-Sportster

Doch nicht nur im Stand macht die Muscle eine kraftstrotzend geile Figur. Das von Porsche entwickelte Revolution-Triebwerk macht einfach nur Freude. In jedem Drehzahlbereich, in jeder Fahrsituation ist der Sahne-Motor präsent, ohne jedoch je zu schocken. Einer Turbine gleich dreht dieser 121 PS starke Wunder-V2 hoch, Hänger und Leistungslöcher sind ihm völlig fremd.

Perfekte Ergonomie auf der V-Rod Muscle

Klar, er will gedreht werden. Der Drehmomentgipfel von anständigen 115 Newtonmeter steht erst bei 6.500/min an, aber angesichts der Tatsache, dass der Motor kurzhubig ausgelegt ist, kann das nicht wirklich überraschen. Und wie sich über die Jahre gezeigt hat, ist der Revolution-V2 ein absolut standfests und zuverlässiges Aggregat. 100.000 problemlose Kilometer – und deutlich mehr – sind die Regel.

Die Muscle fährt sich so satt und stoisch unbeirrbar wie ein ICE

Auch die Sitzposition auf der Muscle passt. Die aus dem Vollen gemeißelten Lenkerstummel liegen perfekt in den Händen, Breite und Kröpfung stimmen, da hat sich das Ergonomie-Team in Milwaukee mal ein kräftiges Lob verdient. Die Füße ruhen relaxt auf den Vorverlegten, die Oberkörperlinie kann man als entspannt versammelt bezeichnen.

Gokart-Bahnen sind nicht die Welt der V-Rod Muscle

Bei Geradeausfahrt vermittelt die Muscle wie kaum ein anderes Motorrad die Sattheit und stoische Unbeirrbarkeit eines ICE. Doch auch in winkligem Geläuf macht die Rod eine erstaunlich gute Figur. Lediglich was Schräglagenfreiheit und fluffiges Handling angeht, muss der Muscle-Treiber Abstriche hinnehmen. Der serienmäßig verbaute, für unseren Geschmack zu breite 240er Show-Hinterreifen will vor jedem Einlenken mit Nachdruck gebeten werden, seine Geradeausfahrposition gefälligst zu verlassen.

Der 240er Reifen muss zur Kurvenarbeit „überredet“ werden

Liegt er dann geneigt in der Kurve, muss der Pneu vom Fahrer über den ganzen Kurvenradius hinweg aktiv daran gehindert werden, sich wieder aufzustellen. Das hört sich dramatischer an, als es in der Praxis ist, gleichwohl ist es erst einmal gewöhnungsbedürftig. Großartige Schräglagenfreiheit erwartet wohl sowieso niemand bei diesem Long & Low-Konzept, die breiten Fußrasten schraddeln denn auch erwartungsgemäß früh über den Asphalt. Gokart-Bahnen sind die Welt der Muscle nicht, sie braucht’s großzügig geschwungen.

Fazit

Milwaukee-Eight und Revolution-Max – gut und schön, aber die Company hat ja auch zuvor schon bewiesen, dass sie richtig kraftvolle V2-Motoren bauen kann. Mit der flotten und handlichen Sportster „X“ kann man bei Bedarf richtig engagiert Motorrad fahren, die langgestreckte V-Rod Muscle dagegen ist wie eine Dodge Viper auf zwei Rädern – ein Power-Cruiser par excellence.

Vergleichende Betrachtungen verbieten sich angesichts der völlig unterschiedlichen Konzeptionen von selbst, jedes der beiden Bikes funktioniert für sich gesehen gut. Und beide machen richtig Laune – wenn auch auf vollkommen unterschiedliche Art und Weise.