Der Mythos Sportster beruht zu einem großen Teil auf der Harley-Davidson XR 750 – der Inkarnation des Flat Trackers.

Dass der Inbegriff des Driftens im gleichen Atemzug mit einer Harley-Davidson zu nennen ist, ist nur sehr wenigen Motorsportanhängern diesseits des großen Teichs bewusst. Konkret sieht das so aus: Ein Haufen wilder Jungs pflügt mit dumpf bollernden Maschinen ohne Vorderradbremse im Pulk um ein Halbmeilen-Oval. Auf der Geraden mit Tempo 180 und der linken Hand an der Gabel, mit nur wenigen Zentimeter Abstand an der Mauer entlang. Immer linksrum, die zwei Kurven nur wenig langsamer und im Volldrift einen Meter von der Innenleitplanke durcheilend. Ein einziger Wahnsinn! Durch die permanenten Überholmanöver bietet sich den Zuschauern ein konkurrenzloses Spektakel.

Harley-Davidson XR 750 – Es ist mehr Power von nöten

Natürlich spielen Harleys bei dieser uramerikanischen Drift-Challenge schon immer eine tragende Rolle, doch mit einem Modell sollte Milwaukee ganz große Sportgeschichte schreiben. Als eine im Hub verkürzte Sportster wurde die XR 750 im Februar 1970 auf der Motorradshow in Texas von Rennleiter Dick O’Brien erstmalig als neue Wunderwaffe von AMF-Harley-Davidson präsentiert. Als Ergebnis der unüberhörbaren Forderungen nach mehr PS sollte sie die Erfolgsserie der alten KR 750 fortsetzen.

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Diese wurde auf den Dirt Tracks aufs Heftigste von BSA, Triumph und Norton angegriffen, zu denen sich auch noch Honda, Kawasaki und Yamaha gesellen sollten. Ein großer Wurf war also gefragt. Doch eine echte Waffe war die erste XR 750 wahrlich nicht. Im Prinzip handelte es sich ja auch lediglich um einen getunten XLR-Ironhead-Motor, der in den alten KR-Rahmen verpflanzt wurde.

Ein äußerst holpriger Start

Tatsächlich erwies sich der Renner 1970 bei seinen Premiere-Rennen in Daytona als eine ziemliche Katastrophe. Der mit gusseisernen Zylindern und Köpfen ausgerüstete Motor war problematisch und fiel – wie auch bei den folgenden Rennen – ständig wegen Überhitzung aus.

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Im Winter 1970/71 wurde der V2 gründlich überarbeitet, es galt eine weitere Blamage zu verhindern. Der geschundene Motor erhielt ein komplett neues Top-End aus Aluminium. Die Köpfe waren jetzt mit durchgehenden Stehbolzen befestigt und eine verbesserte, aus einem Stück geschmiedete Kurbelwelle sorgte für haltbarere Mechanik. Der Brennraum wurde optimiert und jeder Zylinder fortan von einem eigenen 36-mm-Vergaser versorgt. Die Verdichtung wurde auf 10,5:1 angehoben. Pleuel, Kolben und Ventile waren speziell für den neuen Motor mit seiner größeren Bohrung und dem kürzeren Hub entwickelt worden.

Harley-Davidson XR 750 – Da ist sie, die Leistung

Die Leichtmetallzylinder und -köpfe trugen entscheidend zur Fähigkeit der XR bei, lange und hochbelastet zu arbeiten. Technisch unterstützt von den unabhängigen Tunern C. R. Axtell und Jerry Branch, mutierte die XR zur kraftstrotzenden Rennmaschine mit etwa 90 Pferdestärken! 

Die Ur-Version der XR 750 von 1970, damals noch mit gusseisernem Aggregat: Kein Motorrad auf diesem Planeten hat mehr Rennerfolge aufzuweisen. Und sie siegt auch heute noch …

Mitte 1971 kam der neue Alu-Motor bei den Dirt Tracks zum Einsatz, der im Oktober desselben Jahres insgeheim auch beim Straßenrennen in Ontario getestet wurde. Der Leistungszuwachs war jedoch zu viel für das Getriebe, das noch bis Ende der Saison für einigen Ärger sorgte. So hatte man natürlich einen schweren Stand gegen die neuen japanischen Zweitakter und die Dreizylinder-Viertakter von Triumph und BSA in der jetzt offenen AMA-Klasse.

Harley-Davidson XR 750 – Langsam wird’s

Die ersten großen Siege errang Cal Rayborn aber schon zuvor auf den britisch-amerikanischen Halfmile- und Mile-Short-Track-Ovalkursen. Er nahm seine gusseiserne XR ohne Milwaukees Segen mit nach England. Dort jahte er die besten Briten von der Piste – und dies auf Strecken, die denen bekannt, ihm aber unbekannt waren. Das kühle Wetter und die kurzen Rundstrecken waren wie auf ihn und seine alte XR zugeschnitten. Er kehrte in die Staaten zurück und gewann die Grand National Road Races in Indianapolis und Monterey mit der Leichtmetallversion.

Wegen starker thermischer Probleme der Ironhead- XR wurde bereits Mitte 1971 eine stark überarbeitete Version mit Aluminium-Zylindern und -Köpfen eingesetzt. Die charakteristische Doppelvergaser-Bestückung ist bis heute stilbildend geblieben

Danach aber blieben der XR 750 angesichts der auf Straßenkursen übermächtigen Zweitakter nur noch die Dirt-Track-Rennen, wo die mittlerweile überaus zuverlässige XR 750 schon bald zum unbestrittenen Favoriten avancierte. Dort hat sie bis heute ununterbrochen dominiert und man darf sie den ausdauerndsten Serien-Racer aller Zeiten nennen. Zumindest, was den Motor betrifft.

Harley-Davidson XR 750 – Nur der Motor kommt noch von Harley selbst

Denn bereits Anfang der 80er Jahre zog sich das Werk aus der Rahmenfertigung zurück, weil sich die Fahrer Rahmen, Räder und Aufhängungsteile ohnehin lieber selbst zusammenstellten. Enthusiastische XR-Tüftler und engagierte Zubehörhersteller fertigten immer leichtere und stabilere Rahmen und immer ausgefeiltere Racing-Parts an, was man in Milwaukee wohl mit einem weinenden und einem lachenden Auge sah.

Kenny Coolbeth (#31), US-Champion der Jahre 2006 und 2009, wird von der Meute gehetzt

Nun konnte man zwar nur noch an den bis heute erhältlichen 750-ccm-Motoren verdienen, was bei Preisen um die 15.000 Dollar für ein aus Einzelteilen bestehendes Triebwerk allerdings auch kein schlechtes Geschäft war. Außerdem konnte man die aufwendige Fahrwerks- und Komponentenentwicklung nun guten Gewissens den XR-Maniacs überlassen. Die Strahlkraft der Siege würde ohnehin primär auf die Company zurückfallen …

Große Geschichte – Großer Preis

Um die 540 Stück des XR 750 Flat Trackers wurden in seiner Bauzeit zwischen 1970 und 1980 hergestellt. Echte Originale, die zu ihrer Zeit neu um die 4.000 US-Dollar kosteten, sind heute fast unbezahlbar. Interessenten müssen inzwischen bereit sein, das Zehnfache an Green Bucks für ein gutes Exemplar auszugeben. Wenn sie denn überhaupt einen Besitzer auftreiben, der bereit ist, sich von dem Juwel zu trennen.

Eine Eigentümlichkeit der amerikanischen „Grand National Championship“ war lange Zeit die Mischung aus Dirt-Track- und Straßenrennen. Wer US-Motorradmeister werden und die begehrte „Number 1 Plate“ tragen wollte, musste die Bahn- und Straßenmeisterschaft gewinnen. Erst 1986 trennte die AMA die beiden Disziplinen in eigene Championships

Die Faszination XR-Racing ist längst bis nach Europa geschwappt, wo sich eine extrem angefixte Flat-Track-Szene organisiert hat. Nachdem der XR-Virus immer mehr Sandbahn-Drifter befallen hat, die zuvor auf KTMs oder Yamahas unterwegs waren, gab es einige Jahre sogar einen eigenen, von W&W initiierten, European Flat Track Cup, bei dem nur Harley-Twins mitmachen durften.

Harley-Davidson XR 750The Legend goes on…

Mittlerweile hat sich das sogenannte Krowdrace als Flat-Track-Trainings- und Rennserie etabliert. Ausgetragen werden die Rennen in Kooperation mit Speedway-Bahnsport-Vereinen aus ganz Deutschland und dem benachbarten Ausland. Mit zehn Klassen darf das Krowdrace als inoffizielle Deutsche Flat Track Meisterschaft gelten. Für 2024 stehen vier Termine im Kalender. Los gehts am 25. und 26. Mai in Wolfslake, die Saison endet am 7. und 8. September in Brokstedt.

Info | krowdrace.de