Die Harley-Davidson XR 1200X erhebte einst den Anspruch, das sportlichste aller Modelle der Company zu sein. Was sie auch, doch erst mit anderen Schlappen wird sie so richtig gierig auf Kurven.

Die Sportster XR 1200X zitierte mit ihrer Optik vergangene Zeiten, als mit dem legendären Boardtracker XR 750 sportliche Erfolge zuhauf eingefahren wurden. Mit dem stärksten aller luftgekühlten Sportster-Motoren, modernen Fahrwerkskomponenten und der bissigsten Bremsanlage, die bis dahin von Harley serienmäßig eingesetzt wurde, soll Sportlichkeit demonstriert werden. Einzig der geschwungene, ausladende Buckhorn-Lenker und erst recht die 260 Kilogramm Leergewicht wollen nicht so recht zu einem sportlichen Image passen.

Harley-Davidson XR 1200X mit 18-Zoll-Vorderrad

Fahrwerk gut, Bremse gut … deshalb interessierte es uns doch sehr, ob sich an der Performance nicht noch ein Rädchen drehen ließe. Schon lange haben wir den von Harley serienmäßig montierten Dunlop Sportmax Qualifier im Verdacht, ein sturer Geselle zu sein. Fahrstabil ist der Reifen, ohne Frage, aber nicht der handlichsten einer. Also haben wir eine XR 1200 umbereift.

Die Sportster XR 1200X besitzt sehr ordentliche Fahrwerkskomponenten. Ihr volles Leistungsvermögen zeigt sie aber erst mit der richtigen Bereifung

Leider gibt es an Alternativen keine wirklich große Auswahl, weil Harley sich vorn für die ungewöhnliche Größe 120/70 ZR 18 entschied. Das hat einen Grund: Die meisten Testsieger-Reifen werden schlichtweg nicht als 18-Zöller hergestellt. Warum die Entwickler aus Milwaukee hier auf den bei Sportmotorrädern völlig untypischen 18-Zöller setzten, bleibt uns schleierhaft. Auf Nachfrage bei der Weltpräsentation erhielten wir damals von Mitentwickler Frank Savage die Antwort: „… aus optischen Gründen“. Na prima.

Dunlop Qualifier mit deutlichem Aufstellmoment

Der vom Werk aufgezogene Dunlop Qualifier ist ein ordentlicher Allround-Reifen, der der XR 1200 durchaus gut zu Gesicht steht. Der Geradeauslauf mit der Bereifung ist tadellos, das Einlenkverhalten bei Kurvenfahrt problemlos, erfordert vom Fahrer aber einen deutlichen Lenkimpuls. Obwohl die XR in Schräglage sauber die angepeilte Linie verfolgt, bleibt das Gefühl, dass sie in Kurven lieber einen weiteren Radius fahren würde. Auch beim Bremsen in Schräglage bleibt der Dunlop familientreu. Wie bei seinen älteren Schwestern D207 und D208, ist auch bei ihm ein deutliches Aufstellmoment zu verzeichnen.

In Mattschwarz ziemlich böse, in Weiß wie die Unschuld vom Lande. Steht ihr gut, auch wenn sie gar nicht so unschuldig ist, die Power-Sportster

Mit Avon, Bridgestone, Michelin, Metzeler und Pirelli gibt es weitere Reifenhersteller, der für diese ungewöhnliche Größenkombination eine Reifenpaarung parat halten. Der Roadtec Z6 wurde zwar durch den Z8 Interact abgelöst, der in allen Belangen nochmals eine Schippe drauflegt, doch auch mit der älteren Entwicklung, veränderte unsere Test-XR schlagartig ihr Fahrverhalten. Mit Leichtigkeit reagierte das Frontend nun auf Lenkimpulse.

Harley-Davidson XR 1200X – Vorsicht bei Rechtskurven!

Flink und willig ließ sie sich auch in die engsten Kurven legen, ohne die Tendenz, zum Kurvenaußenrand zu drängen. Auch das Aufstellmoment, das der Dunlop an den Tag legte, geht dem Metzeler völlig ab. Endlich konnte die Sportster zeigen, welch gutes Fahrwerk sie von Haus aus mitbringt. In Schräglagen stellte sich dieses angenehme „Anlehngefühl“ ein, das einem ein unerschütterliches Vertrauen in den Reifen gibt; schließlich sind es nur ein paar Quadratzentimeter Aufstandsfläche, die einen Abflug verhindert.

Sowohl Michelin Pilot Road 2 (links), als auch Metzeler Roadtec Z6 (rechts) machen die XR spürbar handlicher

Nach dieser Erfahrung waren wir sehr gespannt, ob der Wechsel auf Michelin eine weitere Verbesserung im Fahrverhalten bringen würde. Und ja, auch der Michelin Pilot Road 2 konnte sich positiv in Szene setzen. Zwar verlangt er ähnlich viel Engagement, was den Fahrer-Input angeht, aber dafür war er eindeutig der Grip-König dieses Vergleichs. Der Michelin vermittelte den Eindruck, dass die XR förmlich auf der Straße klebt. Mit ihm lässt sich die Schräglagenfreiheit der XR, die rechtsseitig durch die vorderen Krümmer begrenzt ist, genüsslich ausreizen. Auch bei Nässe ist der Michelin eine Bank. Der ziemlich heftige Sommerregen, der uns mitten im Odenwald erwischte, war uns schnuppe. Blöd nur, dass Michelin den Reifen mittlerweile nicht mehr anbietet und dafür einen Scorcher in entsprechenden Dimensionen im Programm hat. Und der ist bei Nässe bekanntlich nicht der ganz große Grip-Held.

Fazit

Wer wissen möchte, was die XR 1200X auf dem Asphaltband zu leisten vermag, sollte beim nächsten anstehenden Reifenwechsel darüber nachdenken, die Reifenmarke zu wechseln. Die Unterschiede sind doch sehr beeindruckend. Mit dem Dunlop Sportmax Qualifier hat Harley-Davidson seinem Sportbike einen guten Allrounder als OEM-Reifen verpasst. Er leistet sich keine großen Schwächen, glänzt aber auch nicht mit besonderen Stärken. Der Michelin Pilot Road 2 ist ein hervorragender Reifen, der sehr gut die Qualitäten des Fahrwerks zur Geltung bringt. Schräglagen braucht hier keiner zu fürchten und bei Nässe ist dieser Reifen eine Klasse für sich. Was der alternative Michelin Scorcher kann, muss ein weiterer Test zeigen. Am meisten überzeugte uns der Metzeler Roadtec. Mit ihm verwandelte sich die XR 1200X in ein überaus handliches, wendiges Sportbike, das förmlich nach Kurven giert und einen Fahrspaß vermittelt, wie man ihn von einer wirklich sportlichen Sportster eigentlich erwarten darf.