Wir sind richtig angefixt! Nachdem wir tief in die XR-History eingetaucht sind, packt es uns kräftig an den Cojones. Wir müssen eine Harley-Davidson XR 1200 auf die Räder stellen!
Nach endlosem Bücherwälzen und nächtelangem Stöbern auf diversen Flat-Track-Seiten sind wir wie vom Blitz getroffen. XR … Feuer und Flamme, Blut und nackte Weiber! Gut, wir haben schon etliche coole Sportys geritten, aber die hatten vorverlegte Fußrasten, ausladende Lenkgestänge und waren alles andere als sportlich.
Eine langweilige 883 R als Basis
Dass wirklich sportliche Sportys wie vom Teufel getrieben durch den Dreck bollern können und eine derart glanzvolle Geschichte besitzen, ist vielen nicht wirklich bewusst. Zurückverlegte Rastenanlage, ein schwungvoll geformter Alutank, eine halbhohe 2-in-2-Anlage, ein schneidiges Heck und ein angeschärfter V2? So soll es sein! Es wird ein Auftrag im Namen des Herrn werden: Auf Basis einer langweiligen 2005er 883R soll die Hommage an eines der erfolgreichsten Rennmotorräder dieses Planeten entstehen!

Schritt eins der Metamorphose sollte Deutschlands angefressenster XR-Junkie durchziehen: Thomas Weigl ist einer der wenigen Unerschrockenen, die in Europas einzigem Flat-Track-Cup auf Harleys durch den Dreck pflügten. Als langjähriger Big-Twin-Schrauber mit eigener Werkstatt und Frontschwein der Würzburger Harleyprofis von W&W der richtige Mann. Verrückt genug, um während zweier durchgeschraubter Wochenenden eine originale Sportster 883R in einen knackigen XR-Racer zu verwandeln.
Harley-Davidson XR 1200 – Das Storz-Kit gibt die Form vor
Glücklicherweise ist die Flat-Track-Szene in den Staaten schon seit den frühen 70er Jahren dabei, das XR-Feuer durch eigene Entwicklungen am Brennen zu halten. Dabei werden nicht nur immer ausgefeiltere Racing-Parts entwickelt, sondern auch komplette Umbausätze für Street-Style-Sportys angeboten. Am bekanntesten ist zweifellos der Storz-Kit mit seiner legendären Dirt-Track-Optik, die Eleganz und sportlichen Look stilsicher vereint.

Der wunderschöne Alutank und das knapp geschnittene Heckteil mit der spartanischen Solositzbank sind stilbildend für den typischen XR-Look und haben diesen vielleicht noch mehr geprägt als das Original von Harley-Davidson. Somit steht die grobe Linie unseres Umbaus schon mal fest: Am Storz-Kit führt kein Weg vorbei. Womit es freilich längst nicht getan ist. Die Auswahl von Schwinge, Gabel, Felgen, Federelementen und Lenkgestänge will wohlüberlegt sein und hängt primär vom späteren Einsatzzweck ab.
Der Zahnriemen darf bleiben …
Da wir uns einig waren, dass unsere XR eher auf gewundenen Landstraßen denn auf der Sandbahn unterwegs sein würde, sollten die Guss-Speichenräder und der Sekundärriemen beibehalten werden. Der für ernsthafte Dirt Tracker unerlässliche Kettenantrieb ist für ein Milwaukee-Streetbike unnötig, da Harley den Riemenantrieb sehr weit perfektioniert hat. Die sanften Lastwechsel und das geschmeidige Ansprechen auf jeden Zug am Gashahn lassen keinen Wunsch nach einer Kraftübertragung via Kette aufkommen.

Trotz gewissenhafter Auswahl der Umbau-Parts lauern Konfigurationsprobleme an allen Ecken und Enden. Viele Teile passen nur an bestimmte Baujahre und sind untereinander oftmals nicht kompatibel. Was in Hochglanzprospekten und auf schicken Internetseiten nach problemlosem Bolt-on-Customizing ausschaut, erfordert in der Praxis meist doch einiges an Improvisationskunst. Davon sollten wir uns noch reichlich überzeugen können …
Harley-Davidson XR 1200 – Gepflegter Stripdown
Also ab in die Werkstatt: Da es dem braven Seriengerät in vielfacher Hinsicht an sportlichem Spirit mangelt, geht es der 883 ohne jegliches Mitleid an den Kragen. Sie wird zur Schlachtbank geschoben, aufgebockt und festgezurrt. Beim Auspacken all der Zubehör- und Umbauteile herrscht eine ähnliche Atmosphäre wie bei einer durch den Spielzeugladen tobenden Horde Kinder. Uahhhh…

Nach der Bescherung geht das „Team XR“ der Sporty mit viel Motivation ans Blechkleid. Sie wird unter Ausschluss der Öffentlichkeit sowie der strikten Einhaltung des Jugendschutzgesetzes hemmungslos gestrippt! Nachdem Räder, Schwinge und Gabel verschwunden sind, kommt zum ersten Mal Ernüchterung auf. Nicht etwa, dass der selbstgebraute Schlehensaft sich dem Ende zuneigen würde. Vielmehr stellt sich heraus, dass die Alu-Schwinge eine dünnere Steckachse als das Original hat. Das heißt, die Serienfelgen lassen sich nicht mehr montieren. Nach kurzem Palaver wird noch die stämmige USD-Gabel in glänzendem Schwarz installiert, womit dem Umbaudrang zunächst mal ein Ende gesetzt ist.
Der Tracker nimmt Form an
Bis zur zweiten Schicht am folgenden Wochenende ist das Schwingen-Räder-Problem gelöst. Selbst gedrehte Distanzhülsen geben der Schwinge Halt und vorn wie hinten werden entgegen der ursprünglichen Planung nun feine 17-Zoll-Speichenfelgen von Morad verbaut, die Thomas noch in seiner Reservatenkammer findet. Diese sehen um Klassen besser aus als die originalen Gussräder und sorgen für einen stimmigen Streetbike-Look. Wie auch immer, das Bike muss für die Fotofahrten fertig werden und fahrbereit sein – die Druckmaschinen kennen kein Erbarmen und die Umbaustory ist fest eingeplant.

Also schnell weiter zu den Befehlsgebern und der Beatmungsanlage. Die virtuos geschwungenen BUB-High-Pipes und die Storz-Fußrastenanlage haben eine Mustergültigkeit an Passform, von der umwerfenden Optik ganz zu schweigen! Die angriffslustige Sitzposition wird durch den breiten Dragbar-Lenker komplettiert und lässt die Vorfreude auf den ersten Ausritt ins Unermessliche steigen.
Angespannte Stille nach dem Befüllen des Tanks
Nachdem der Storz-Kit vom Lackierer kommt, folgt die „Hochzeit“: Der fertige Lacksatz wird endlich angeschraubt. Plötzlich ist sie real, unsere „XR 883“. Vier gestandene Biker-Seelen stehen vor einem anbetungswürdigen Motorrad und philosophieren sich dank Opas Hausmarke und Rhönwurz auf ein und dem gleichen Level durch die Nacht, um sich nach zirka vier Stunden Schlaf mit der Startprozedur zu beschäftigen!

Die eisige, angespannte Stille nach dem Befüllen des Tanks lässt sich schwer beschreiben und es kommt, was keiner auch nur zu denken wagte: Der (Zünd-)Funke springt nicht über. Das krächzige Anlassergeräusch ohne ein darauffolgendes Auspuff-Tremolo ist ein hässlicher Klang. Der Fehlerteufel lässt sich nicht ohne Weiteres einkreisen: Eigentlich kann es nur das Security-Modul sein – und dieses lässt sich weder kurzschließen noch austricksen, womit die Testfahrt und das Fotoshooting erneut in weite Ferne rücken.
Harley-Davidson XR 1200 – Der Hobel läuft
Nachdem unsere Zuversicht so weit zusammenschrumpft, dass wir schon einen wagemutigen Ausweichplan schmieden, lässt ein furchterregendes, aber herrlich sonores Bollern die Hallenwände erzittern. Unsere ungläubigen Blicke verraten denselben Gedankengang. „Das ist doch niemals unsere 883!“ Doch als uns die Neugier mit Eile in die Werkstatt befördert, werden wir zum Glück eines Besseren belehrt: She’s on fire!

Das Security-Modul wird unschuldig gesprochen. Wie sich herausstellt, hat sich lediglich ein Kabel des Motorsteuergeräts gelöst und somit die Zündfunkenverweigerung auf dem Minuskonto. Nun wird keine Sekunde mehr vergeudet: Der Hinterreifen hat kaum den Asphalt berührt, als er auch schon einen langen schwarzen Strich ziehen muss. Unsere XR 883, eines echten „Dreckspritzers“ würdig, bollert mit einem wildgewordenen XR-Maniac obenauf querfeldein davon. Dirt Track rules!
Kräftiger Leistungsboost
Die anschließenden Fotofahrten können zwar unter zufriedenem Dauergrinsen stattfinden, doch genügen die 53 zur Verfügung stehenden Pferdchen sportlichen Ansprüchen nicht wirklich. Also auf zum „Waffen schärfen“ in die Frankfurter Harley-Factory, wo die 883 mittels originalem 1200er-Satz zur echten Harley-Davidson XR 1200 aufgebüchst wird. Für satte Gemischaufbereitung sorgt nun ein durchlassfreudiger HSR-42-Mikuni-Flachschiebervergaser.

Mit etwa 70 PS und knapp 100 Nm Drehmoment steht unser erstarktes Pony fortan besser im Futter als eine normale 1200er-XL-Sportster, was natürlich nicht zuletzt an den freieren Atemwegen liegt. Nach Feinabstimmung der neuen Komponenten bei Harley-Davidson Rhein-Neckar spuckt der Dynojet-Prüfstand saubere Leistungskurven aus. Das Aggregat geht kraftvoll und ohne jegliche Verschlucker ans Werk. Glücksgefühle machen sich breit …
Der Teufel liegt – wie immer – im Detail
Wie bei jedem Motorradumbau zeigen sich Detailmängel erst, wenn auch wirklich Kilometer gemacht werden. So offenbart auch unser eilig zusammengeschraubtes Projektbike schon bald diverse Schwächen: Das zu breite Vorderradschutzblech kollidiert bei tiefem Eintauchen der Gabel mit den Standrohren, was nicht nur jedes Mal hässlich metallische Klonks verursacht, sondern auch aufs Material geht. Der Kraft dieser Schläge sind die Dichtungssitze samt Simmerringen nicht gewachsen, was die Gabel alsbald mit Ölverlust quittiert.

Weitere Mängel: Gebrochener Tankhalter, steifes Lenkkopflager, haltlose Batteriehalterung, Bremssattelhalter mit zu viel Spiel, Unwucht der vorderen Bremsscheiben, zu großes Spiel der hinteren Radnabe – was in Kombination mit einem fetten Achter in der Felge das hintere Radlager zerbröselt. Außerdem hat sich ein spitzer Stein in den Belt gebohrt, der ein fieses Loch in Größe eines Ein-Euro-Stücks hinterlässt. Vielleicht hätte man mit einem frisch zusammengesteckten Umbau auch nicht gleich eine komplette Kiesgrube umpflügen sollen …
Harley-Davidson XR 1200 – Letzte Feinarbeiten
Um die technischen Unzulänglichkeiten zu beheben und der XR ein würdiges Finish zu verleihen, geht das Projektbike anschließend zu einem Meister der Metallverarbeitung: Udo Kohse ist es als gelernter Flugzeugbauer gewohnt, akribisch zu Werke zu gehen. Und genau das braucht unser Baby jetzt! In den Hallen seiner Firma Bike Project werden quasi alle beweglichen Teile einmal rundum feinjustiert, zentriert, ausgewuchtet und auf korrektes Spiel und freien Lauf getrimmt.

Und auch die optischen Defizite werden behoben: Vom in die Gabelbrücke eingepassten Motogadget-Instrument bis hin zur unsichtbar mit den Mini-Risern verschraubten V-Team-Lenkerstange bekommt die Sporty nun einen unverwechselbaren Style. Die Ochsenaugen werden durch dezente Kellermann-Blinker ersetzt und kleine Rizoma-Spiegel ermöglichen ein Mindestmaß an Rücksicht. Das Lampenschirmchen wandert zum Altmetall, die Kontroll-Leuchten ins Scheinwerfergehäuse.
Harley-Davidson XR 1200 – Street Legal
Ein massives, handgedengeltes Schutzblech wird exakt angepasst und läuft auch nicht Gefahr, der Gabel in die Quere zu kommen. Da der wunderschöne BUB-Auspuff keinerlei Chancen auf den Segen des TÜV haben, baut BSL eigens eine gesetzeskonforme Auspuffanlage, die dennoch akustisch keine Wünsche offen lässt. Vorn werden die Bremssättel neu ausgerichtet und ein Satz CCE-Bremsscheiben montiert, hinten verzögert nun eine RST-Bremsanlage, während die beiden extra für dieses Bike angefertigten Wilbers-Federbeine für spürbar verbesserte Fahreigenschaften und eine stimmige Linie im Heckbereich sorgen.

Das Zusammentragen aller Teilegutachten, ABEs und Prüfbescheinigungen, die für den amtlichen TÜV-Segen nötig sind, ist eine unschöne Angelegenheit, die viel Zeit, Geduld und Nerven kostet. Erst im dritten Anlauf sind alle Brocken sauber im Fahrzeugschein gelistet. Wenn die Amerikaner wüssten, was wir hier durchmachen!
Steiniger Weg, sauberes Ergebnis
Doch irgendwann ist sie dann fertig, unsere XR 1200. Sie fährt sich traumhaft. Liegt satt auf der Straße, geht sauber um die Kurve, hat genügend Bumms, bremst anständig, klingt, wie eine Harley klingen muss und erfreut das Auge durch ihre sportlich-elegante Erscheinung. Der Weg dorthin war allerdings weitaus steiniger, als wir uns das vorgestellt hatten. Wir erinnern uns: „Custom doesn’t come out of a box!“
Besten Dank an: Bike Project, BSL, Custom Chrome Europe, H-D Factory Frankfurt, H-D Rhein-Neckar, V-Team, Wilbers Suspension, W&W


