Dieses Modell ist eine echte Rarität und wurde für eine Schlacht gebaut, für die es zu spät kam: die Harley-Davidson XA – ein Boxer für die US-Army.

Es gibt Harley-Raritäten und es gibt echte Harley-Raritäten. Während man eine WLA oder WLC nicht wirklich als rar bezeichnen kann, ist eine XA schon eine Klasse für sich … und ganz besonders ein Exemplar, an dem sich so viele Originalteile befinden wie an dem Bike von Peter Bonito aus Wien, der seine Maschine nur zu seltenen Anlässen bewegt. Selbst in den USA existieren nur noch wenige XA in diesem OEM-Zustand.

 

Dieses Modell ist eine echte Rarität und wurde für eine Schlacht gebaut, für die es zu spät kam

Etwas geschichtlicher Hintergrund: 79 Jahre ist es her, dass die Alliierten in der Normandie landeten. 2014, das letzte runde weil genau 70jährige Jubiläum, war wohl auch eines der letzten Jubiläen, bei denen man noch mit den Veteranen, die dabei waren, sprechen konnte – jene Männer, denen die Kugeln der MG 42 um die Ohren pfiffen. Allerdings kamen jene Motorräder, die speziell für diesen Kriegszweck gebaut waren, nie auf den Schlachtfeldern an.

1000 Harley-Davidson XA für die Front

Weder Indians „Model 841“ noch die Harley-Davidson „XA“ landeten in Afrika, Sizilien, Salerno, der Normandie oder bei Saint Tropez. Der Auftrag für je 1000 Vorserien-Motorräder mit Kardanantrieb wurde zeitgleich an Indian und Harley-Davidson erteilt. Und zwar bereits am 12. März 1941 – neun Monate vor Pearl Harbour.

Die Militärsektion des Harley-Museums: Eine XA mit Seitenwagen aus der Testabteilung von Harley, bezeichnet als XS. Wie bei BMW wurde das Seitenwagenrad ebenfalls angetrieben. Drei Prototypen sollen gebaut worden sein

Zu diesem Zeitpunkt gab es wenige große Kampfhandlungen, die Italiener steckten in Albanien fest und hatten in Afrika herbe Rückschläge erlitten, Deutschland bereitete sich insgeheim auf den im Mai geplanten Einmarsch in Russland vor. Während Indian eine Lösung mit zahlreichen bereits bei der Sport Scout bewährten Komponenten entwickelte, kopierte man bei Harley-Davidson das deutsche „Original“. Ziemlich originalgetreu – allerdings das falsche!

Kopierte Harley-Davidson die falsche Maschine?

Britische Truppen hatten in Frankreich wahrscheinlich diverse BMW-R-75-Seitenwagen-Kräder erbeutet und es war dieses neben der Zündapp KS 750 eingesetzte Modell, das eigentlich nachgebaut werden sollte. Mit OHV-Ventilsteuerung und ihrer robusten Motorentechnik, die in den BMW-Boxern bis in die 90er Jahre weiterlebte, war die R 75 eine zuverlässige und kraftvolle Maschine, die dank ihres Seitenwagen-Antriebs als Gespann auch in härtestem Gelände noch fahren konnte.

Der seitenventilgesteuerte Boxer aus Bayern wurde 1 zu 1 kopiert

Die zuverlässigste und aussagekräftigste Quelle über die XA-Technik bietet Bruce Palmers Buch „How to restore your Military Harley-Davidson“. Alle Gerüchte und Spekulationen, wie sich eine R 75 auf dem Weg von der Front über die US-Army-Erprobungsstelle zur Harley-Entwicklungsabteilung schließlich in eine technisch zehn Jahre ältere R 11 verwandelte, sind wohl Phantasieprodukte der Autoren.

Harley-Davidson XA  – BMW R 71 als Vorbild

Ebenso die in der Literatur oft angegebene Quelle „Afrika“ als Herkunft des kopierten Motorrads. Als der Entwicklungsauftrag am 12. März 1941 an Harley-Davidson erteilt wurde, rollten die Fahrzeuge von Rommels „Afrika Korps“ gerade erst in Italien auf die Schiffe, um nach Lybien überzusetzen. Palmer weist die R 71 von 1939 als Vorbild der XA nach – und die konnte man schließlich bei jedem BMW-Händler in den USA erwerben.

Beim Kopieren der deutschen Technik übernahmen die Amis sogar die Kilometerskalierung des Tachometers

Wie und wer den Auftrag oder die Idee zur „Kopie“ gegeben hat, ist wohl in den Armee-Unterlagen oder den Harley-Archiven verschollen. Es steht außer Zweifel, dass Harley-Davidson eine eigene Kardan-Lösung hätte entwickeln können. Aber so kopierte man getreu den Auftragsvorgaben den deutschen „Oldtimer“, ohne den Sinn zu hinterfragen.

Trotz Entwicklungsrückstand eine moderne Maschine

Die metrischen Maße wurden in Zoll übertragen, das Vierganggetriebe fußgeschaltet. Selbst die Zahl der Kühlrippen ist identisch. Der Doppelschleifen-Rahmen mit Geradeweg-Federung hinten ist von BMW abgeleitet, die Eigengewächse WLA und WLC kamen bis zum Ende des Krieges starr daher. Für amerikanische Verhältnisse war die XA trotz ihres Entwicklungsrückstands ein modernes Motorrad: Seitengesteuerte Ventile waren Stand der Technik, daran hatte auch die Knucklehead von 1936 nichts geändert.

Der Hinweis zum Thema Schmiermittel zeigt, dass dieses Exemplar auch in kleinen Details original ist

Der 738-ccm-Motor lieferte 23 PS bei 4600 U/min, was einem Motorrad von 244 kg zu nicht gerade berauschenden Fahrleistungen verhalf. Das quadratische Bohrungs/Hub-Verhältnis war 3 1/16 Inches bei einer moderaten Verdichtung von 5,7 : 1. Wie bei der BMW war der Ölkreislauf im Motor integriert, was einen Öltank überflüssig machte. Gebaut wurden Motornummern von 42XA1000 bis 42XA2090.

Keine zivile XA-Version

Die in den Unterlagen erwähnte höchste Motornummer in einem fahrenden Motorrad war 2016, aber fünf Maschinen gingen zur Erprobung nach Kanada und verschiedene Bikes blieben zur weiteren Erprobung und Entwicklung von Varianten in Milwaukee. Die Auslieferung der Maschinen begann im Januar 1942 und war bis Juli dieses Jahres abgeschlossen.

Dale Walkslers „Wheels Through Time“-Museum in Maggie Valley besitzt eine „zivilisierte“ XA, die in diesem Nachkriegszustand ebenfalls ein Klassiker ist. Die verwendeten Knucklehead-Komponenten sind zu erkennen

Trotz etwas über eintausend gebauter Exemplare – weshalb manchmal auch die irreführende Bezeichnung „XA 1000“ zu lesen ist – kam die XA nie über das Erprobungsstadium hinaus. Getestet wurden die Motorräder bei den Panzer- und Kavallerietruppen in Fort Knox. Obwohl von vielen so erwartet, wurde nach dem Krieg keine zivile Version der XA gebaut. Wahrscheinlich saß der Company der kommerzielle Misserfolg seines ersten Boxer-Modells „W“ Sport Twin von 1919 noch in den Knochen.

Die Harley-Davidson XA bleibt eine echte Rarität

In der Literatur ist zu lesen, dass Harley 1946 einen Boxer-Prototypen mit Telegabel und moderneren OHV-Zylinderköpfen testete, aber wieder verwarf. 1945 war die Technik der XA schon fast 10 Jahre alt. Nach dem Krieg wurden die verbliebenen XAs für 500 US-Dollar pro Stück an Privatinteressenten verkauft. Immerhin gab Harley die Produktionskosten jeder Maschine mit 858,68 Dollar an. Deshalb rollen auch heute noch einige Maschinen in ziviler und militärischer Version auf Oldtimer- und Militärfahrzeug-Treffen, doch wenige davon mit allen Serien- und Zubehörteilen.

 

Hat beides: Mit der Kombination von Trittbrettern und Fußrasten wollten die Entwickler wohl Langstreckentauglichkeit und Komfort verbessern

Auch wenn die XA wohl nie ein Schlachtfeld gesehen hat: Sie ist eine echte Rarität – umso mehr, wenn sie sich durch die Herausforderungen der Zeit in solch originalgetreuem Zustand „durchgeboxt“ hat.