Wieso gesittet, werden Sie sich vielleicht fragen? Nun, der Frontfender war bei der Harley-Davidson Flat-Track-WR seinerzeit eher die Ausnahme, verpasste er der Rennsemmel doch eine regelrecht bürgerlich-zivile Ausstrahlung.

Entstanden ist das vollständig durchrestaurierte Exemplar in Florida bei Santiago Chopper. Der Besitzer fährt die Maschine ausschließlich zivil im Verkehr, deshalb der zeitgenössische Frontfender. Fehlt dieser, sollte man unter keinen Umständen auf eine nasse Fahrbahn oder gar in Regen geraten, denn dann würde man binnen kürzester Zeit aussehen wie eine Sau aus der Suhle. Serienmäßig wurde die WR aber tatsächlich mit Fender ausgeliefert.

Customizer und Restaurator dieses Bikes, Alain Bernard von Santiago Chopper, demonstriert den Sinn der Zusatzkissen auf Tank und Fender

Bei der Santiago’schen WR haben wir es mit einem Exemplar aus dem ersten Nachkriegsbaujahr 1946 zu tun. Bis auf die quietschgrünen Griffgummis und den Lack ist alles an ihr authentisch. Interessant sind die Features, die sie als Production Racer ausweisen. Da ist zum einen der Reibungsdämpfer überm Lenkkopf, an dessen Knebel der Fahrer die Freigängigkeit der Lenkung sogar während der Fahrt mit einem Handgriff einstellen konnte.

Harley-Davidson WR mit Kinnkissen

Zweites Feature ist der riesige Magneto von Wico, der auf der rechten Motorseite dermaßen erhaben zwischen den Zylindern aufragt, dass die Jungs der WR damals den Spitznamen „Harleys Dreizylinder“ gaben. Drittes Feature ist das kleine Zusatzkissen auf dem Heckfender. Das dient nicht etwa dem Transport eines Sozius, nein, dorthin pflanzt der Fahrer seinen Hintern, wenn er sich ganz flach macht. Zu diesem Zweck tragen nicht wenige WRs auch auf dem Tank ein kleines Lederkissen, auf das der Fahrer beim „Kleinmachen“ sein Kinn aufsetzen kann.

Im Gegensatz zur „WLDR“ war die „WR“ nie für den Straßeneinsatz gedacht

Das überzeugendste Feature ist gleichzeitig das unscheinbarste. Es ist die schraubenlose Befestigung des Kettenschutzes, ein System, das übrigens auch bei der zivilen WL-Variante benutzt wurde. Diese Befestigung ist als Kulisse ausgebildet, die Haltelasche wird über eine schwimmend gelagerte Schraubenfeder beaufschlagt. Muss der Kettenschutz schnell ab, braucht es kein Werkzeug dafür. Einfach händisch gegen die Federkraft drücken, Lasche aus der Kulisse rausziehen, fertig. Genial einfach, einfach genial!

Genial einfach, einfach genial

Ansonsten ist – und das ist das Wesen von Rennmaschinen – nicht viel dran an dem Apparat. Handschaltung links, Fußkupplung, 18-Zoll-Ballonreifen, in unserem Fall von Firestone, die linke Tankhälfte ist für Benzin, die rechte ist das Ölreservoir für die Trockensumpfschmierung. Die ganz späten WRs hatten zwischen 35–38 PS, aus heutiger Sicht zwar ein Witz, aber brettern Sie damit mal komplett quer stehend mit nach außen eingeschlagenem Vorderrad über ein Vollgas-Oval, dessen Untergrund aus Lehm und Dreck besteht. Da ist Gänsehaut garantiert!