Gerne wird die Harley-Davidson WLA als das Bike kolportiert, mit dem die Amerikaner den Krieg gewonnen haben; diese Zeiten sind aber bald 80 Jahre her. Auch heute werden noch Bikeshows mit dem Seitenventiler gewonnen.
Denn genau das hat dieses Bike geschafft. Als es vor mehr als 75 Jahren in Milwaukee vom Band lief, dachte wohl niemand daran, dass es ein Dreivierteljahrhundert später noch rollen würde. Damals war das Bike Kriegsgerät, eins von Tausenden, die nach Europa gebracht wurden, um dort die Truppen zu mobilisieren. Nach dem Krieg blieben die Motorräder auf dem alten Kontinent zurück und wurden nach und nach zivilen Zwecken zugeführt. Unser Exemplar hier diente mehreren Generationen junger Italiener als fahrbarer Untersatz und musste in dieser Zeit einige Veränderungen über sich ergehen lassen. Doch klaglos überstand die WLA alle Widrigkeiten und zeigte sich als Dauerläufer.
Nur noch Rahmen und Motor der Harley-Davidson WLA sind original
Allerdings, am hier präsentierten Show-Winner sind nur noch Rahmen und Motor weitgehend original. Der Besitzer, Verner Ortis aus Tormezzo im Nordosten Italiens, hat die Harley-Davidson WLA im Dezember 2014 gekauft. Sein eigentlicher Plan war, das Bike in seinem gewachsenen Zustand zu belassen, da es durchaus würdevoll gealtert war. Doch Verner ist ein begnadeter Metallbearbeiter und der Drang, sich an dem Zweirad auszutoben und zu zeigen, zu was er fähig ist, setzte sich irgendwann doch durch.
Bereits vor über 15 Jahren hatte er einen Chopper komplett aus Edelstahl und mit dem Vierzylinder-Motor einer Kawasaki Z 750 aufgebaut. Also warf er alle Zurückhaltung über Bord und zerlegte die WLA in seine Einzelteile. Über den Winter fertigte er erste Skizzen und Entwürfe und im Frühjahr ging’s dann los. Verner kann auf einen gut ausgestatteten Maschinenpark zurückgreifen, die Anfertigung der vielen Parts war also nicht das Hauptproblem. Das lag eher an anderer Stelle. Immer wieder kamen dem Metallkünstler neue Ideen für abgefahrene Details. Viele davon fallen erst auf den zweiten oder dritten Blick auf, verlangten aber bei Entwicklung und Umsetzung nach reichlich Hirnschmalz und akkurater Arbeit. So wuchs das Projekt ständig weiter.
Fast alles selbstgemacht – und very tricky
Der Rahmen blieb in seinen Maßen unverändert und wurde nur überholt. Ursprünglich war als Frontend eine normale Girdergabel eingeplant. Doch beim Besuch einer Bikeshow sah Verner eine Vincent Black Lightning und entschied sich, die dort verbaute Variante zu adaptieren. Er stellte die Gabel, so wie die meisten anderen Parts, natürlich selbst her. Sein bevorzugter Stoff ist Edelstahl. Messingteile setzten dazu optische Glanzlichter. Da die originalen Naben nach all der Zeit nicht mehr den Ansprüchen des Italieners genügten, fertigte er sich kurzerhand neue an. Die integrierten Trommeln werden durch eine komplizierte Kombination aus Gestängen, Gelenken und Umlenkungen bedient – very tricky!
Beim Vorderrad stieg Verner vom serienmäßigen 16-Zöller auf ein 18-Zoll-Rad um, das mit einem klassischen Weißwandreifen bezogen wurde. Jedes verbaute Detail hat seine Bedeutung und ist bis ins Kleinste überlegt. Egal, ob es die revers angeflanschten Handhebel am breiten Lenker sind, die Halterung der Zündspulen am Tank, die weit hinten angebrachten Fußrasten oder die dem Radius der Reifen angepassten Auspuffenden. Es ist fast unmöglich, alle Feinheiten aufzuzählen. Immer wieder überraschen neue Eindrücke. Aber nicht nur Fahrwerk und Bodywork wurden komplett überarbeitet. Auch der ehrwürdige Seitenventiler blieb nicht unangetastet.
Mehr Leistung für den Seitenventiler der Harley-Davidson WLA
Es war Verners zwanzigjähriger Sohn Cristian, der sich des Flatheads annahm. Er hat sein Handwerk beim Motorenspezialisten HP Garage in Undine gelernt und setzte die dort erworbenen Fähigkeiten gekonnt um. Eine Erhöhung der Kompression und vergrößerte Ventile sowie einige neue Innereien sorgen für vergleichsweise ordentliche Leistungsabgabe. Befeuert wird der V2 stilecht durch einen Dell’Orto-SSI-Vergaser hinter einem offenen Luftfiltertrichter. Statt des original verbauten Dreiganggetriebes schickt nun die mit vier Gangstufen ausgerüstete Schaltbox einer BSA M20 die Power über eine Kette ans Hinterrad. Funktioniert einwandfrei!
Der faszinierende Umbau verschlang von der Ideenfindung bis zur Realisation tausende Stunden harter Arbeit. Verner wollte zeigen, was mit Hilfe von handwerklichem Können machbar ist. Zu Recht räumte das Bike auf der Harley-Davidson-Bikeshow in Faak mächtig ab. Dabei wäre es fast nicht dazu gekommen, da der Metallbauer sein Bike gar nicht nach Faak mitnehmen wollte; seine Freunde stimmten ihn aber glücklicherweise um. Um so überraschter war der Erbauer, dass er nicht nur die „Antique“-Klasse gewann, sondern auch den Pokal für „Best of Show“ mit nach Hause nehmen durfte. Der Teufel steckt eben im Detail.
Info | vmcycles.com
Wunderschön!