Marcos’ Harley-Davidson Panhead ist kein ganz neuer Umbau, taugt aber immer noch für Bikeshow-Pokale, wie jüngst auf dem Rheinhessen Rumble
Wir nennen Marcos Panhead »Panaché«, weil sie ein leckeres Stückchen geworden ist, so wie die französische Mischung aus Bier und Limonade, zu Deutsch Radler oder Alsterwasser. Das Wörterbuch bot uns weitere Übersetzungen wie Elan, Eleganz, Rasanz, Schneid, Beherztheit, Schwung und große Klasse an. Passt doch, aber von Anfang an: Bei jedem neuen Harley-Davidson-Modell, das die Firma auf den Markt bringt, gibt es in den Fanreihen einen Aufschrei. Vielleicht war das bei den allerersten Modellen noch nicht so, aber 1948, als die neuen Harleys mit 61 und 74 Kubikzoll Hubraum in den Schaufenstern der Händler standen, waren die Enthusiasten der Big Twins aus Milwaukee einem Schock nahe und weinten ihren liebgewordenen Knuckleheads nach.
Heute weiß jeder: Ein typischer Harley-Davidson-Fahrer ist nun mal sehr traditionalistisch geprägt. Um Neuerungen zu verdauen, braucht er Jahrzehnte oder mindestens bis es wieder mal so ein »nächstes Modell« in die Showrooms schafft.
Bei Marco, dem Erbauer dieser schlanken Pan, war es anders. Er war vor Jahren Seiteneinsteiger und kommt ursprünglich aus der Streetfighterszene, wo er bei seinen damaligen Umbauten immer auf modernere Technik schielte. Fragt uns nicht was einen, der den Spitznamen »Techno« trägt, bewogen hat, die Seiten zu wechseln. Oder was ihn dazu brachte, sich Motorrädern zuzuwenden, über die in Fighterkreisen eigentlich nur gelästert wird. Der Schrauber schweigt sich darüber aus und taucht lieber in die Tiefen seiner Werkstatt ab … geht den nächsten Umbau an, die weiß nicht wievielte Harley, der er seinen Stempel aufdrücken kann.
Die heimkehrenden Soldaten lechzten nach schnellen Bikes
Ungefähr in dem Alter wie Techno heute dürften damals die GIs gewesen sein, als sie wieder von ihrem Kriegseinsatz in Europa nach Hause kamen. Die hatten nach dem Zweiten Weltkrieg etwas Geld in den Taschen und waren gierig darauf – nach den eher lahmen 750er Flatheads auf den Schlachtfeldern – Schnelleres zu fahren. Doch dürften die sich in der Mehrheit gebrauchte Knucklehead-Modelle, Indians und britische Limeys zugelegt haben.
Sie waren »die Wilden«, wie sie von Lee Marvin und Marlon Brando in »The Wild One« nachgestellt wurden, einem Film, der auf den wahren Ereignissen von Hollister 1947 basierte. Die Kerle wollten auch lange nichts von den neueren Harleymotoren für ihre alten Starrrahmen wissen.
Einerseits weil die Antriebe der 74 Kubikzoll großen neuen V-Twins, denen sie den Spitznamen Panhead verpassten, sich nicht so ohne Weiteres in die alten Rahmen der Knuckles und Big-Twin-Flatheads verpflanzen ließen. Und andererseits wegen der Probleme, die die neuen hydraulisch nachstellenden Stößelstangen immer wieder machten.
Die Harley-Techniker in Milwaukee mußten nochmal ran
Knuckleheads mit ihren Gusseisenköpfen brauchten sowas nicht. Aber bei den neuen Aluminiumköpfen, mit ihrer höheren Wärmeausdehnung, hatten die Ingenieure sich diesen Trick ausgedacht, um die Geschichte mit dem benötigten, gleichbleibenden Ventilspiel unter Kontrolle zu halten.
Erst 1953, als die Techniker in Milwaukee die Hydraulikeinheit von oberhalb der Stößelstangen nach unten in die besser zu schmierenden Tappert-Blocks verlegten, funktionierten die Hydrostößel problemlos.
Der verstorbene Vorbesitzer von Marcos Panhead hatte sich beim Kauf gleich für eine Harley mit Motor von 1958 entschieden. Nur beim Rahmen gefiel dem die frühe ungefederte Version, mit dem Whishbone Knick in den vorderen Rahmenzügen, einfach besser. Jahrelang musste Marco bei der Erbin – der Tochter – anklopfen, bis sie dem Verkauf zustimmte, dann wurde er als zweiter Besitzer in die deutschen Papiere eingetragen.
Harley-Davidson Panhead: Nur mit einer originalen Springergabel
Marco gefiel die Motoren-Rahmen-Kombination, nur eine werkseitig ab 1949 eingebaute Hydra-Glide-Telegabel fand in den Augen des neuen Besitzers keine Gnade. Jedenfalls nicht mit den Four-Inch-Over-Standrohren, die beim Kauf eingebaut waren. Passend zum Rahmenbaujahr wählte er die originale Springergabel, die nach Ansicht vieler genauso zum Erbe Harley-Davidsons gehört wie ein V2-Motor.
1952 hatten die Panheads ein Upgrade durch Handkupplung und Fußschaltung bekommen und auch hiervon war Marco nicht zu beeindrucken. Er baute auf die originale Fußkupplung und einen Handschalthebel in Jockey-Shift-Bauart, auch wenn das im heutigen Straßenverkehr eine echte Herausforderung ist und Fußkupplungen deswegen gerne mal die Bezeichnung Suicide Clutch tragen.
Die Büchse der Pandora
Sehen wir mal von der Mehrleistung suggerierenden Duplex-Bremstrommelankerplatte im Vorderrad ab, ist bis auf den neueren Motor die ganze Basis ein Konvolut technisch längst überholter Bauteile. Seitens des TÜV und der Polizei ist sowas leicht mit der Büchse der Pandora aus der griechischen Mythologie zu vergleichen. Die Büchse, die erstmals geöffnet das Laster, alles Übel und den Tod in die Welt brachte.Erst bei der zweiten Öffnung der Pandorabüchse soll auch noch die Hoffnung in die Welt entwichen sein, was uns Customizer ja aufhorchen lässt … und auch etwas Zuversicht am Horizont sichtbar macht, nach all den Hetzjagden auf alte Harleys.
Marco jedenfalls ist sich sicher, dass sein Schmuckstück auf originalen Harley-Davidson-Bauteilen basiert und somit kein Pandämonium darstellt, das gejagt werden muss. Auch kein Panoptikum, weil es in der Szene längst hip geworden ist, ausgefallene Teile zu mischen und mit ihnen Chopper aufzubauen, ganz im Stile der frühen neunzehnhundertsechziger Jahre. Leider sind die heutigen Erbauer solcher Early-Style-Chopper panchromatisch veranlagt und vertragen nichts als schwarze Farbe am Bike.
Erfrischend strahlt der hellblaue Tank der Harley-Davidson Panhead in der Sonne
Doch Marco traute sich hier einen Ausbruch aus der Masse zu, setzte mit dem hellblauen Mustangtank einen Akzent, der allerdings noch meilenweit von den farblichen Versuchen der Sechziger entfernt blieb. Darunter zeigen sich verchromte Pan-Ventildeckel aus Billet-Aluminium, deren Materialdicke hilft, die Ventilgeräusche zu dämmen, die aber in ihrer Ausführung so extrem selten sein dürften.
Ebenso verhält es sich mit dem Primärtrieb, bei dem Marco auf ein heute seltenes Produkt aus deutscher Herstellung setzt. Die Riemen sind ersatzfähiges Zubehör, der Belt-Drive selbst jedoch dürfte von Günther Zellner stammen, der schon in den neunziger Jahren Bahnsport-Kupplungen der Bauart Gilgenreiner als Primär-Belt-Drives für Harleys fertigte. »Dürfte« deswegen, weil Zellner auch Kunden belieferte, die dann unter ihrem Namen das Produkt in den Verkauf brachten.
Glaubensfrage: Chopperjünger schwören auf Kette
Für den Antrieb des Hinterrads will Marco – wie die absolute Mehrheit der Chopperjünger – nichts anderes sehen als eine Kette. Das ist eine Glaubensfrage, die weltweit alle »Greasy-Kulture-Brothers« zusammenschweißt. Und das, obwohl der große Chopperguru Dick Allen Hinterrad-Zahnriemenantriebe schon in den frühen siebziger Jahren baute und testete … und diese eine Dekade später auch von der Mothercompany für absolut serientauglich befunden wurden.
Doch: »Wer Kunststoff kennt, nimmt Stahl.« Das sagt jedenfalls Walter Krämer, ein Motorradrestaurator und -philosoph, der einst im deutschen Kunststoffinstitut als Werkstattleiter tätig war. Wir vermuten, dass Techno-Marco – zumindest was die Hinterradkette angeht – vielleicht ähnlichen Gedankengängen nachgeht. Für spezielle ausgewählte Kleinigkeiten verwendete er allerdings keinen Stahl. Auch keinen mit Chrom und Nickel legierten rostfreien.
DIe Harley-Davidson Panhead trägt Details aus Messing
Denn da, wo er es für hilfreich fand, nahm er zur Akzentuierung von Bauteilen lieber golden schimmerndes Messing wie an den Griffen, dem Handschaltknauf, am Halter für die Ersatzzündkerzen, an Muttern, Unterlagscheiben sowie den Ringeinfassungen für Geschwindigkeitsmesser und Öldruckmanometer.
Sogar das Chopperglöckchen, am Panaché-Rahmen unter der vorderen Tankhälfte angebracht, ist selbst aus Messing gedreht. Traditionell wird so was angebracht, um die bösen Geister von Fahrzeug und Fahrer fernzuhalten. Wünschen wir ihm also, dass es ihm hilft – auch gegen die momentan grassierende Pandemie.