Bevor die Harley-Davidson Nightster zum überteuerten wassergekühlten Ladenhüter wurde, war sie das perfekte Einsteigerbike in die Harley-Welt: Luftgekühlt, zuverlässig, preiswert, hübsch anzuschauen und lässig zu fahren.
Gott, was haben diese Harley-Produktdesigner allein im neuen Jahrtausend schon für wunderbare Kreationen erschaffen – und das meinen wir nicht ironisch, sondern mit vollem Respekt. Wer anders bekommt es hin, nur mit Farbgebung quasi ein neues Modell entstehen zu lassen: Hier ein bisschen schwarz, dort ein bisschen mattgrau, da etwas weglassen, ein paar Löcher in Beltschutz und Schutzblechhalter, Faltenbälge an die Gabel (ein Accessoire, für das man MZ oder Jawa lange mitleidig belächelt hat) – und fertig war ein neuer Sportster-Bestseller.
Auf der dunklen Seite der Mattlack-Macht
Mit dieser durch und durch gelungenen Nummer bewies Harley einmal mehr sein unheimliches Gespür für Trends. In diesem speziellen Fall hat die Design-Abteilung schon sehr früh gespitzt, dass Mattlacke nicht nur im Kommen, sondern herrlich nonkonform sind, und bei Bedarf auch schön böse und düster wirken. Der Erfolg der finsteren Night Rod Special, bei der Harley sich mit aller Konsequenz mit der dunklen Seite der Mattlack-Macht verbündet hatte, ermutigte die Entwickler sicher umso mehr, die Nightster so und nicht anders zu stylen.

Umso bedauerlicher war es für uns Europäer, dass wir aus Gesetzgebungsgründen leider nicht in den Genuss der für ein Serienmotorrad beispiellos sauber gestalteten Heckpartie kamen – aber dafür konnten die Amis natürlich nichts. Im Mutterland und in weniger hirnlos reglementierten Ländern durfte die Nightster ab Werk mit einem seitlichen Kennzeichenhalter gefahren werden. Nur so macht der bis aufs Minimum gechoppte Heckfender Sinn.
Die Harley-Davidson Nightster hat miese Bremsen
Um diesen Winz-Fender so clean wie möglich halten zu können, wurde in Milwaukee sogar ein absolutes Novum im Serienmotorradbau entwickelt: Rück- und Bremslichter sind bei der Nightster in die LED-Blinker integriert, der Fender somit absolut frei von allem Schlonz. Dumm nur, dass extra für die Europa-Version ein unsäglicher, mittig angebrachter Kennzeichenhalter samt Nummernschildbeleuchtung und Rückstrahler montiert war, was die straighte, von den Designern beabsichtigte Linie total versaute. Schande über die deutsche StVZO, Schande auch über die EU-Reglementierungshengste in Brüssel!

Soviel zu dem, was Harley richtig gemacht hatte und Bürokraten zunichte machten. Was Harley an der Nighster falsch gemacht hatte, lag im technischen Bereich. Zwei Dinge haben uns während der damaligen Fahrtests gar nicht behagt. Zum einen zogen die Bremsen an den von uns gefahrenen Nightsters unterirdisch schlecht.
Fahrten über schlechte Straßen werden zu Rütteltouren
Dabei wurden ab dem Modelljahr 2007 in allen Sportster neue Bremssättel samt Hauptbremszylinder verbaut, aber was die Nightster an lauer Bremsperformance bot, war schon arg. Zweiter Kritikpunkt waren die Federelemente. Die Formel „flacher = geiler“ mag für die Optik hundertprozentig stimmen und hinhauen, im Fahrbetrieb erwies sich die viel zu kurze, mit viel zu wenig Positiv-Federweg ausgestattete Gabel als völlig fehl am Platz.

Setzt sich ein gestandenes Mannsbild auf die Nightster, braucht die Gabel schon im Stand fast ihren gesamten Positivweg auf; beim Federbein hinten liegt die Sache sehr ähnlich. Schon hinsichtlich des Komforts ist das verheerend: Fahrten über schlechte Straßen werden zu Rütteltouren. Viel gravierender ist allerdings, dass Federelemente, die sich ständig am Limit befinden, ihre Hauptaufgabe, nämlich die Räder ständig am Boden zu halten, nicht mehr in jeder Fahrsituation erfüllen können.
Fahrwerksupdate für die Harley-Davidson Nightster
Was tun? Für die Feder-/Dämpfer-Konstellation der Nightster bietet der Zubehörmarkt reichlich Alternativen, die das Fahrverhalten dramatisch verbessern. Und das müssen nicht einmal die teuren Öhlins-Federbeine sein. Die mauen Bremsen lassen sich durch andere Beläge zu deutlich besseren Verzögerungswerten überreden. Und seitliche Kennzeichenhalter gibt es bei allen großen Aftermarket-Anbietern für kleines Geld. Zusammen kommt man für die entsprechenden Updates auf um die 1.000 Euro, je nach Anspruch. Dann aber hat man eine zeitlose Sportster für die Ewigkeit.

Fazit
Die Nightster war schon ab Werk ein echter Hingucker. Konsequent durchgestylt, bot sie eine Menge Show für vergleichsweise überschaubares Geld – im Modelljahr 2008 lag ihr Preis bei unter 10.000 Euro. Bei den Federelementen, die die 1200er Nightster von der 883 Low geerbt hat, hatten es die Meister des Baukastensystems in Milwaukee aber eindeutig übertrieben. Doch der Zubehörmarkt bietet ja reichlich taugliche Alternativen. Gebraucht ist die Nightster heute kaum günstiger als der damalige Neupreis – es sei denn, sie ist richtig viel gelaufen oder übel verbastelt. Wer aber ein gepflegtes Exemplar findet, kann bedenkenlos zuschlagen. Die Evo-Sportster ist absolut zuverlässig, wartungsarm und wertstabil. Und sie vermittelt authentisches Harley-Feeling auch für Menschen, die nicht besonders groß und/oder besonders schwer sind. Für die ist eine Big-Twin-Harley zweifellos empfehlenswerter.
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