Seit 95 Jahren gibt es die Harley-Davidson Flathead. Doch wer da glaubt, schon alles im Seitenventiler-Custom-Bereich gesehen zu haben, wird hier eines Besseren belehrt.

Alain Guetti heißt der Mann, der die Idee hatte, einen 750er Seitenventiler in ein komplett anderes Fahrwerk zu implantieren. Alain ist Franzose und entschied sich gemäß seiner Nationalität, beim Rolling Chassis auf eine ehemals große bekannte Motorradmarke aus Frankreich zurückzugreifen. „Terrot“-Motorräder gab es bereits seit 1902, also ein Jahr bevor die Freunde William Harley und Arthur Davidson sich entschlossen, Motorräder in Milwaukee zu bauen.

Der Name Hartere setzt sich aus Harley und Terrot zusammen

Im Zweiten Weltkrieg war Terrot für die französische Armee – vergleichbar mit BMW für die deutsche Armee – der Hauptlieferant für Kradmelder-Motorräder und Gespanne. Mitte der 50er Jahre allerdings strebten die Menschen immer mehr den Besitz eines eigenen Autos an, das Interes­se an Motorrädern ebbte dramatisch ab, was 1958 zur Schließung der Terrot-Werke führte.

Sattelfederung über Umlenksystem

Der Name „Hartere“, den Erbauer Alain seinem Projekt gab, setzt sich aus den Komponenten „Har“ (für Harley) und „Ter“ (für Terrot) zusammen. Das „e“ fügte der Franzose ans Ende des Namens, weil Motorräder auf französisch weiblich sind (une motocyclette), das „e“ den Namen also grammatikalisch feminin macht.   

Harley-Davidson Flathead V2 im Terrot-Rahmen

Wohl tausend Mal hatte Alain die Einzelteile des Terrot-Motorrads in der Garage eines Freundes gesehen, bis er auf die Idee kam, daraus eine sogenannte „Bitza“ zu bauen. Der Seitenventiler, den er seit Jahren zu Hause hütete, stammt aus einer WLA des Jahres 1942, der Rahmen der Terrot wurde 1949 hergestellt. Den allerdings musste er schon ordentlich abwandeln (vorn um 22 Zentimeter verlängern), um den Harley-V2 in das fremde Rohrwerk hineinzubekommen.

Das Kickstarter-Getriebe stammt von Terrot

Das Vierganggetriebe ist übrigens kein Bauteil aus Amerika; Alain adaptierte stattdessen mittels selbst gebautem Ketten-Primär eine Schaltbox von Terrot. Die übrigen fahrwerklichen Zutaten lesen sich wie eine industriearchäologische Aufzählung. Die wunderbare Parallelogramm-Gabel stammt von einem französichen Motorrad der Marke „Druide“, eine Firma, die bis in die 30er Jahre motorsierte Zweiräder baute.

Harley-Davidson Flathead für die Rennstrecke

Den Benzin- und Öltank entnahm der Erbauer einem „Diamant“-Motorrad von 1925. Die linke Tankhälfte bunkert das Öl des Trockensumpfes, in der rechten Tankhälfte ist Platz für Benzin. Unser Lieblingsdetail an diesem liebevoll gestalteten Hybriden „L’Hartere“ ist aber eindeutig der famose, schlanke, originale Terrot-Auspufftopf, dessen Aluminium-Body in einem herrlich großen Fischschwanz endet.

Seinen historischen Teilemix bewegt Alain bei Vintage-Rennen, womit auch die Startnummerntafeln am Bike erklärt ist

Die 19-zölligen Speichenräder spendete die besagte 49er Terrot, die gelochten Deckel der Duplex-Bremse im Vorderrad sind der Tatsache geschuldet, dass Alain sein mechanisch einwandfrei funktionierendes Schätzchen ausschließlich in einer speziellen Vintage-Klasse auf der Rennstrecke bewegt. Den Renneinsatz verrät auch das kleine Leder-Sitzbrötchen auf dem Heckkotflügel.

Ein ganzes Sammelsurium von Baugruppen verschiedener Hersteller

Das ist nicht etwa ein unverschämt kleiner Soziussitz, sondern dort hinauf rutscht der Fahrer mit dem Gesäß, wenn er zwecks Erzielung der Höchstgeschwindigkeit den Oberkörper auf den Tank presst und versucht, sich hinterm Lenker so klein wie nur möglich zu machen. Wir meinen: Ein wunderschöner Hy­bride, dem man nicht ansieht, dass er aus einem ganzen Sammelsurium von Baugruppen verschiedener Hersteller besteht. Toll gemacht!