Eine echte Diva auf zwei Rädern. Antique-Style vom Allerfeinsten. Gallery Motorcycles aus Brescia präsentierte mit der „Deeva“ auf der Motor Bike Expo in Verona einen edlen Eigenbau mit Harley-Davidson F-Head IOE-Motor von 1920.
In puncto Oldschool macht den italienischen Customizern keiner was vor. Mirko Perugini von Gallery Motorcycles ist einer dieser Meister des Retro-Stils, die mit extremem Aufwand Motorradträume in funktionsfähige Realität verwandeln. Die „Deeva“ ist eine Hommage an Harley-Modelle zu Beginn der 20er Jahre des letzten Jahrhunderts. Als der IOE-Motor von Mirko Peruginis Deeva vor fast hundert Jahren die Werkbänke in der Juneau Avenue in Milwaukee verließ, war sicher nicht zu erahnen, was mit dem Aggregat in den nächsten Dekaden geschehen würde.
Dem Harley-Davidson F-Head Motor stand die Welt offen
Motor Nummer L20T 12017 stand die Welt offen, denn in dem fraglichen Jahr produzierte Harley-Davidson nach eigenen Angaben 28189 Motorräder. Verkauft wurden diese über ein ausgedehntes Händlernetzwerk in nicht weniger als siebenundsechzig Länder weltweit. Die auf dem Originalgehäuse eingestempelte fortlaufende Nummer „12017“ ist also durchaus nicht zu hoch gegriffen. Zu neuem und glanzvollem Leben erwachte der F-Head-Treibsatz auf der Werkbank von Mirko Perugini, der eine durchaus sehenswerte Sammlung alter Harley-Teile besitzt.
Seine Werkstatt liegt nahe Brescia, was dem Südufer des Gardasees im Westen ungefähr so nah liegt wie Verona im Osten. Und in Norditalien sind auch zahlreiche zahlungskräftige Kunden zu finden, die einen derartigen Aufbau finanzieren können und wollen, denn ein Motorrad wie die „Deeva“ lässt sich mit rationalen Argumenten nicht begründen. „Passione“ ist das italienische Wort dafür, die Leidenschaft für umgebaute Motorräder liegt den Italienern nun mal im Blut. Der 988 Kubikzentimeter große V-Twin aus dem Modelljahr 1920 wurde komplett zerlegt und in funktionsfähigen Zustand versetzt. Dies war bei den einteilig gegossenen Sackzylindern, bei denen der Kopf in einem Stück mit angegossen ist, sicher keine einfache Aufgabe.
Harley-Davidson F-Head mit Doppelvergaser
Gleiches geschah mit dem aus dem gleichen Baujahr stammenden Dreiganggetriebe, das neben der Überholung noch ein ganz besonderes Extra spendiert bekam. Dazu später mehr. Obwohl der Serienmotor damals von einem einzelnen Schebler-Vergaser beschickt wurde, sah Mirko für seine Neuinterpretation einen zweiten Schebler vor. Jeder Zylinder besitzt jetzt seine eigene Gemischfabrik. Wie beim Original sitzen diese – befestigt auf einem gemeinsamen Halter – auf der linken Motorseite. Zwei ineinander verschlungene Eigenbau-Manifolds leiten das Benzin/Luft-Gemisch zu den Einlassventilen, die über offen stehende Kipphebel betätigt werden.
Ein echtes Kunstwerk gelang Mirko mit der Betätigung der beiden Vergaser: Vom Gasgriff verläuft ein Bowdenzug umhüllt bis an den Rahmen und tritt dort ins Freie. Über mehrere Umlenkrollen, teils sichtbar im gesplitteten Rahmenunterzug, teils versteckt unter dem Tank, läuft der Zug bis zur finalen Rolle. Von dieser aus wird die Hebelverbindung zu den Schebler-Steuerklappen synchronisiert. Da bei diesem Bike der Lenker mit der Federungsbewegung des Vorderrads nach oben und unten mitschwingt, musste diese Bewegung bei der Konstruktion des Gaszugs ebenfalls berücksichtigt werden. Dementsprechend lang musste der gekapselte Teil des Bowdenzugs bemessen werden.
Harley-Davidson F-Head mit Verlustschmierung
Der augenfällige Öltank aus Metall und Glas sorgt für echten „Durchblick“ beim Ölstand – und versorgt vor allem das untere Motorgehäuse mit Schmierstoff. Wie alle F-Heads der damaligen Zeit besitzt der Motor eine Verlustschmierung. Austretendes Öl wird auf der linken Motorseite zur Schmierung des zweigeteilten Primärkettenantriebs genutzt. Ventile und Kipphebel werden vom Fahrer von Zeit zu Zeit mit einem Ölkännchen bedient. Die Umlenkung des Primärantriebs über die hinter dem Motorgehäuse gelagerte Zwischenwelle erlaubt eine Besonderheit, von der Motorenbauer der damaligen Zeit nicht zu träumen wagten: Die „Deeva“ besitzt eine hydraulische Kupplung!
Die neuen „Vendenge“-Armaturen von Rebuffini passen stilistisch perfekt zu diesem Bike. Somit waren die hydraulische Kupplungsbetätigung und die Aktivierung der hinteren Trommelbremse via Druckzylinder und Hebelübersetzung in trockenen Tüchern. Tricky ist auch das Fahrwerk. Was auf den ersten Blick aussieht wie Harleys alter Einrohrrahmen, ist in Wirklichkeit eine doppelte Rahmenschleife aus gefrästem Flachstahl. Diese schmiegt sich eng an das Gehäuse des V-Twins und nutzt damit die originalen Montagepunkte des Motorgehäuses. Die Besonderheit der „Deeva“ ist, dass der Rahmen keinen fest fixierten Lenkkopf im eigentlichen Sinne besitzt.
Vorderrad, Gabel und Lenker bilden eine starre Einheit
Dieser ist über die Schwingenkonstruktion der Vorderradgabel in den zu federnden Bereich „vorverlegt“, was bedeutet, dass Lenker und Lenkkopf sich mit den Bewegungen des Vorderrades nach oben und unten bewegen – und alle Straßenunebenheiten über die Lenkstange direkt an den Fahrer weitergeben. Vorderrad, Gabel und Lenker bilden eine starre Einheit. Nicht ganz unwichtig dabei: Das einzelne zentrale Stoßdämpferelement, das die Federung der Vorderradaufhängung übernimmt, muss ebenfalls in zwei Kugelköpfen beweglich gelagert sein, sonst wäre jegliche Lenkbewegung unmöglich. Die komplette Trommelbremsanlage fertigte Mirko selbst.
Der norditalienische Räder-Guru JoNich speichte die spektakulären Räder als Kombination von Scheiben- und Speichenrad ein. Und die Aufhängung des uralten Sattels ist so komplex, wie man es von Gallery Motorcycles erwarten kann. Beim Lack ließ Mirko die Kirche im Dorf. Dieses Bike braucht keine Showlackierung. Konstruktion und Ausführung sind eindrucksvoll genug! Der Lohn all der Mühen: Die Jungs von Suryanation Motorland, die Veranstalter der größten Custombike-Show Indonesiens, kürten die „Deeva“ zum „Greatest Bike“, was automatisch eine bezahlte Einladung auf ihre Show in Jakarta beinhaltet. Und von DREAM-MACHINES bekam Mirko Perugini den „Magazine Award“ überreicht, übrigens nicht zum ersten Mal.