Wer auf der Suche nach einem gebrauchten Tourer ist, könnte Gefallen an Harley-Davidson Dyna Switchback und Road King Classic finden. Doch welche nehmen?
Fette Schutzbleche vorn und hinten, schnittige Packtaschen rechts und links am Heck, die üppige Ochsenkopf-Verkleidung der Frontlampe und ein blitzschnell demontierbares Windschild – naaa, was ist das für ein Harley-Modell? Natürlich … die Road King Classic! Zumindest war sie lange Zeit die einzige, auf die die oben aufgezählten Merkmale zutrafen. Doch 2011 gab es einen neuen Hecht im Karpfenteich.
Harley-Davidson Dyna Switchback – im Handumdrehen wandelbar
Auch auf die Dyna Switchback trifft die oben genannte Ausstattung exakt zu: Windschild, Ochsenkopf, Koffer, dicke Fender. Funktionell hat die Switchback ihrem „alten“ Onkel Road King sogar eines voraus. Ihr Name verrät es: Sie ist wandelbar; und zwar im Handumdrehen und ohne Werkzeug. Mit wenigen Griffen lassen sich die Festschalenkoffer abnehmen, das Windschild ist, wie bei der Road King auch, nur gesteckt.
Die Woche über ohne das Touren-Gerödel cool cruisen, am Wochenende mit der besten Sozia von allen hintendrauf einen Drei-Tages-Trip machen, dafür ist diese Dyna gemacht. Die Road King Classic ist da deutlich eingeschränkter, weil spezialisierter. Doch der Reihe nach …
Gleicher Motor, aber acht Pferdestärken weniger
Beide Kandidaten werden vom gleichen Triebwerk angetrieben. Es handelt sich dabei um den 103 Kubikinch-Motor ohne Ausgleichswellen, auf deutsch sind das 1.690 Kubikzentimeter Hubraum. Doch wer jetzt glaubt: gleicher Motor, gleiche Leistung – der kennt Harley-Davidson nicht. Die Jungs haben es doch tatsächlich geschafft, bei der Switchback gegenüber der Road King satte acht PS verlustig gehen zu lassen.
Die Dyna hat nominell 76 PS, die Road King Classic deren 84 bei jeweils 5010 Umdrehungen pro Minute. Elf Prozent weniger Leistung bei der Dyna! Wie geht das denn? Nun, mit ziemlicher Sicherheit ist der Leistungsverlust der Tatsache geschuldet, dass die Dyna – aus welchem Grund auch immer – mit einem 2-in-1-Auspuff auskommen muss. Zwar ist der Endtopf ein unansehnlich dicker, langer Pott geworden, aber dessen Volumen reicht offenbar trotzdem nicht aus, um die anfallenden Abgase leistungsförderlich zu entlassen.
Harley-Davidson Dyna Switchback mit schwachem Sound
Der Road King-Motor hat es da besser. Er atmet durch zwei satt ausgelegte, getrennte Endtöpfe aus. Der Lohn dieses baulichen und finanziellen Mehraufwands: acht Pferde mehr … und übrigens auch acht Newtonmeter mehr Drehmoment. Das Motor-Kapitel entscheidet deshalb ganz klar die dicke Road King für sich. Mit der äußerst mauen Antriebsperformance hat die Company der Switchback sicher keinen Gefallen getan.
Sie ahnen es vielleicht schon: Die auspuffseitig schwer geknechtete, völlig zugeschnürte Switchback klingt, als führe sie nicht mit Benzin, sondern mit fettarmen Magerquark. Was da hinten aus diesem annähernd 1700 ccm großen VauZwo herauskommt, kann man getrost vergessen. Da sind Alternativen aus der Zubehörindustrie gefragt.
Die Harley-Davidson Dyna Switchback ist 40 Kilo leichter
Die Road King Classic macht das etwas besser. Sie besitzt, über eine Klappe gesteuert, einen „guten“ und einen „bösen“ Endtopf, und wenn der offenere „böse“ ab einer bestimmten Drehzahl geöffnet wird, kommt da sogar so etwas wie Sound heraus. Nicht so gut wie bei einem bassig abgestimmten Auspuff vom Aftermarket, aber immerhin … Auch die Soundwertung mit dem Serienauspuff gewinnt deshalb die Road King.
Die beiden sich äußerlich so gleichenden Motorräder entstammen unterschiedlichen Modellfamilien. Die Switchback ist eine Dyna, die Road King Classic dagegen trägt die Gene der Touring-Wuchtbrummen von Harley-Davidson. Die Fahrwerke der beiden Kontrahenten sind völlig unterschiedlich, was sich letztlich auch im Leergewicht niederschlägt. Das Dickschiff Road King schleppt knapp 40 Kilogramm mehr Leergewicht als die Dyna mit sich herum. Im täglichen Umgang mit solch einer Maschine ist das eine ganze Menge Holz.
Die Road King gibt sich bei schneller Gangart insgesamt gelassener
Die Fahrwerke selbst geben sich auf der Strecke untadelig, sofern sich der Fahrer auf reisetaugliche Geschwindigkeitsbereiche diesseits der 150 km/h beschränkt. Quält man die Switchback mit beladenen Koffern in die durchaus überschaubaren Sphären ihrer Höchstgeschwindigkeit von knapp über 170 dann wird sie ein wenig unruhig um die Hochachse. Vollständig gestrippt lag sie bis Vmax ruhiger.
Die Road King gibt sich bei schneller Gangart insgesamt gelassener, gibt sich hinsichtlich der Geradeauslaufstabilität untadelig. Im Gegenteil, stoisch zieht die Dicke ihre Bahn, ohne jedoch in kurvigem Geläuf störrisch zu wirken. Das 370-Kilo-Gerät lässt sich dank der 16-Zöller erstaunlich behände abwinkeln, einmal in Fahrt, fallen gefühlte 100 Kilo vom Gewicht der Road King ab.
Harley-Davidson Dyna Switchback – fluffig wie eine Sportster
Und doch findet die Dicke, was das Handling angeht, ihre Meisterin in der Switchback. 40 Kilo weniger Masse, drei Zentimeter geringerer Radstand, ein steilerer Lenkkopfwinkel, leichtere Räder, hinten schmalerer Hinterreifen, geringere ungefederte, rotierende Massen – all das kommt der Switchback zugute. Der Umgang mit ihr ist um so vieles leichter, beim Rangieren wie auch beim Fahren.
Die „Switch“ fährt sich so fluffig wie eine 100 Kilogramm leichtere Sportster. Lediglich die Schräglagenfreiheit ist etwas mau; die Trittbretter nehmen früher kratzige Fühlung mit dem Asphalt auf als die des Tourers. Die Fahrwerkswertung geht aus Sicht des Autors an die Dyna. Der Road King ist zwar nichts vorzuwerfen, ihr Gewicht kann sie aber nicht gänzlich verbergen. Hier ist das Bessere – und Leichtere – des Guten Feind.
Die Bremsanlage der Road King ist die Bessere
Harley-Bremsen standen noch niemals unter Referenz-Verdacht. Aber in den letzten Jahren hat sich wenigstens immer ein bisschen was in Richtung Verbesserung getan; mühsam ernährt sich das amerikanische Eichhörnchen. Der schwereren Road King spendierten die Entwickler zwei Scheiben im Vorderrad, eine Scheibe im Hinterrad. Bei der Dyna wurde gespart, an Gewicht wie an Kosten: Sie hat nur je eine Bremsscheibe pro Rad. Aber das genügt im Fahrbetrieb vollauf.
Wer – wie bei Harley üblich – hinten stets mitbremst, vermisst eine zweite Scheibe im Vorderrad nicht. Wichtig bei diesen Geräten jenseits der 300 Kilo-Marke ist das ABS, das auch bei der Switchback serienmäßig an Bord ist. Zwar regelt das hauseigene ABS-System spürbar grob, aber es verrichtet seine Arbeit. Und das ist die Hauptsache. Die Bremsanlage der Road King ist die Bessere, aber die braucht sie ob ihres deutlichen Mehrgewichts auch. Beide Systeme bremsen ordentlich, ohne jedoch helle Begeisterung auszulösen. Die Wertung: pari!
Die Birne bekommt die volle Packung ab
Ein sehr ärgerliches Thema: Die Windschilder an beiden Maschinen taugen nur für Kleinwüchsige oder Menschen, die von Natur aus taub sind. Selbst deutsche Norm-Männer von 1,77 m Größe und kleiner sitzen hinter den zu kurzen Dingern mit dem Kopf voll im Orkan. Vom Oberkörper halten die Windschilder den Druck sehr ordentlich ab, die Birne bekommt aber die volle Packung ab.
Hinsichtlich Komfort und Ausstattung muss man beim Vergleich auf dem Teppich bleiben. Die Road King kostete damals satte 5.400 Euro mehr als die Dyna, für dieses viele Geld MUSS die Dicke einfach deutlich mehr Motorrad bieten als die aufgepeppte Dyna. In Sachen Sitzkomfort kann die „Kleine“ der Großen nicht das Wasser reichen.
Bei den Soziussitzen bekleckern sich beide nicht mit Ruhm
Der Fahrersitz der Road King passt im Vergleich zu der Sitzgelegenheit der Switchback deutlich mehr zum Thema „touren“. Bei den Soziussitzen bekleckern sich beide nicht gerade mit Ruhm. Der der Dyna ist zu kurz und zu schmal, der auf der Road King ist ebenfalls zu kurz und fällt nach hinten sogar etwas ab. Wohl dem, der ein eher zierliches „Klammeräffchen“ als Sozia hat.
Bei den verfügbaren Federwegen schmiert die Switchback komplett ab. Die 98 Millimeter vorn sind schon grenzwertig wenig, die 54 Millimeter Federweg hinten sind für ein Motorrad, das auch als Touren-Bike verstanden werden will, schlichtweg brettharter Nonsens. Mit zwei Passagieren plus vollen Koffern bleibt von den paar Zentimeterchen schon im Stand fast nichts mehr übrig, Kanaldeckel und Schlaglöcher werden so zur ernsthaften Bedrohung für die Bandscheiben. Die Road King kann das deutlich besser. Deren Federbeine bieten mit 76 Millimetern 50 Prozent mehr Federweg und sind mittels Luftdruck einstellbar.
Die Road King ist der bessere Tourer
Thema Ausstattung: Drehzahlmesser und Ganganzeige haben beide in der Multifunktions-LCD-Leiste im analogen Tacho. Das Packvolumen der Switchback-Koffer ist zwar nicht üppig bemessen, die immerhin 47 Liter genügen aber für das Nötigste auf einem Wochenendtrip. Die etwas größeren, fest installierten Nieten-Packtaschen der Road King fassen 51,6 Liter, da darf das Schminktäschchen der Sozia dann etwas dicker gefüllt sein. Die Tatsache, dass die Road King mit einem Tempomaten ausgerüstet ist, fällt nicht sehr ins Gewicht, wenn man den erheblichen Mehrpreis dieses Bikes bedenkt. Setzt man das Kriterium „Touring“ an, gewinnt die Road King eindeutig. Für die Dicke sprechen der bessere Sitzkomfort, die größeren Federwege, das Plus an Packvolumen und das satte Zuladungsplus von 49 Kilo.
FAZIT
Nach Punkten gewinnt ganz klar die Road King Classic diesen Vergleich. Sie ist das bessere Weit- und Schnellreisemotorrad, die bessere Harley für alle Tage aber ist die Switchback. Diese Dyna ist sozusagen ein „Tourer Light“ für Menschen, die ihr Bike als „daily runner“ nutzen möchten und die Abwechslung lieben. Sie ist auch eine echte Alternative für Leute, die sich an die Gewichtsklasse einer Road King nicht so recht herantrauen. Wer allerdings nicht auf den Euro achten muss, dem raten wir allerdings zur Sport Glide mit Milwaukee-Eight-V2, die alles besser kann, als die selige Switchback.