Ich stehe gar nicht so arg auf überbordenden Chrom, aber die Harley-Davidson Softail Deluxe hat es mir schon immer angetan. Die letzte Generation mit Milwaukee-Eight-Motor kann sogar Schräglage und ist ein heißer Second-Hand-Tipp, den neu ist sie leider nicht mehr zu haben.

Anders als die über die Maßen gehypte Fat Boy ist in meinen Augen die „Deluxe“ DIE (!) Ikone des amerikanischen Motorradbaus aus Milwaukee. Würde man einen 10-jährigen motorradaffinen Jungen bitten, eine Harley-Davidson zu zeichnen, ziemlich sicher käme so etwas heraus wie die Deluxe. Und mit Einführung des Milwaukee-Eight-Motors hatte die Deluxe von der gänzlich neuen Konstruktion der Softails so viel profitiert wie kaum eine ihrer Schwestern.

Rund 20 Kilo leichter – das Motorrad, nicht der Fahrer

Zu dem neuen Motor ist schon genügend geschrieben worden, auch von uns. Wenn auch nicht so sehr, was die Spitzenleistung angeht, so spielt das Milwaukee-Eight-Aggregat, was seine Fahrbarkeit, das verfügbare Drehmoment und die enorme Elastizität angeht, in einer völlig anderen Liga als der alte Twin Cam 103. 145 Nm statt deren 126 bei einer vergleichsweise niedrigen Drehzahl von 3000 U/min, das spricht Bände.

Harley-Davidson Softail Deluxe mit Milwaukee-Eight-V2

Aber Zahlen allein sagen nicht alles. Der Motor lässt sich mit sagenhaft niedrigen 1500 U/min im sechsten Gang bewegen, ohne zu ruckeln oder über den Sekundärtrieb zu rackern. Bei 1800 U/min fühlt er sich wohl, bei 2000 tritt er bereits spürbar an. Erleichternd hinzu kommt für den Vierventiler, dass auch die Deluxe von der allgemeinen Diät der Softails profitiert hat.

Wolf im Schafspelz: drehmomentstarker Milwaukee-Eight-Motor

Über 17 Kilo Gewichtsverlust am eigenen Leib würde sich sicher so mancher Fahrer freuen, der Autor dieser Zeilen an vorderster Stelle. So gesehen gibt es innerhalb der Big-Twin-Baureihen seit 2018 keine untermotorisierten Harleys mehr, lediglich die bevormundende elektronische Abregelung ab 175 km/h nervt, aber eher im Kopf.

Die Harley-Davidson Softail Deluxe gab’s nur mit dem 107er

Denn ein gewisser Trost ist, dass selbst 175 Sachen auf der Deluxe nicht wirklich viel Spaß machen, weil der Winddruck auf dem unverkleideten Motorrad mit seinem breiten Lenker ab etwa 150 km/h zum krampfigen Festhalten gemahnt. Übrigens: Die Deluxe gehört zu denjenigen Softails, die es nur mit dem 107er Motor gab. Die Option auf den 114er bestand nicht. Sei’s drum, aus unserer Sicht genügt der 107er zum Cruisen vollauf.

Nur die Road King Classic und die Deluxe tragen serienmäßig Weißwandreifen

Erfreulicherweise ist der Breitreifen-Wahnsinn, dem einige maßgebliche Harley-Entwickler erlegen sind, an der Deluxe vorbeigeschliddert. Vorne ein 130er (MT90), hinten ein 140er (MU85), mehr braucht’s nicht, um auf der kurvigen Hausstrecke oder im Mittelgebirge glücklich zu werden. Das Fahrwerk selbst ist, wie bei allen anderen M8-Softails auch, völlig neu konstruiert worden, auch die Gabel und deren Innereien ist neu.

Mehr Schräglage und besseres Handling

Erstaunlich ist, dass die Entwickler nur minimale Änderungen am Lenkkopfwinkel und dem Nachlauf vornahmen (Twin Cam: 32°/147 mm, Milwaukee-Eight: 30°/145 mm). Die Rad-/Reifengröße und auch die Federwege vorne und hinten sind dagegen völlig identisch mit denen des Vorgängermodells. Nicht identisch allerdings ist die Schräglagenfreiheit, denn die ist bei der M8-Deluxe um Welten besser geworden. Softails mit Trittbrettern und Kurvenfahren – das bedeutete bisher eine Kratzorgie um den kompletten Kurvenradius herum. Damit war nun Schluss, mit der M8-Deluxe lässt es sich bei Bedarf sogar knackig angehen, auch wenn das programmatisch gesehen nicht der Sinn dieser Fahrzeuggattung ist.

Ooh nee, oder … muss das so sein? Riesige Blinkerbalken trotz LED-Technik

Auch sehr positiv: Der um zwei Grad steilere Lenkkopfwinkel und der um zwei Millimeter verkürzte Nachlauf tragen dazu bei, dass sich das Handling der neuen nochmals verbessert hat, wobei sich schon die „alte“ Deluxe aus der Twin-Cam-Ära ohne jeglichen Kraftaufwand sehr handlich und zielgenau fahren lässt.

Harley-Davidson Softail Deluxe – Besser Bremsen

Die Bremsen, vorne und hinten je eine Scheibe mit Vierkolbensattel, haben leichtes Spiel mit dem abgespeckten Cruiser, wenngleich ich mir immer noch nicht so richtig erklären kann, warum die optisch gleich aussehenden Bremsen in den neuen Modellen spürbar besser funktionieren. Hat da vielleicht jemand ein bisschen mit den Reibpaarungen experimentiert? Aber uns kann’s egal sein, die Bremsen sind in allen aktuellen Softails durch die Bank besser als in den Vorgängern. Gut so.

Das Mono-Federbein liegt knapp unter dem Fahrersitz – bei allen M8-Softails Standard

Ich weiß nicht, ob man das als Europäer schmerzlich vermissen müsste, aber Fakt ist, die Deluxe hat keinen Tempomaten mehr. Zum Ausgleich trägt sie aber schön gestaltete LED-Lampen- und -Leuchten an Front und Heck. Lediglich die ausladenden Blinkerleisten hinten sind wohl Geschmacksache, mit denen komme ich jedenfalls nicht zurecht. Das neu gestaltete Rundinstrument kann man selbst bei Sonne vernünftig ablesen und der Key Fob für Wegfahrsperre und Alarmanlage erleichtert den täglichen Umgang.

Cruiser-Herz, was willst Du mehr?

Seit Modelljahr 2018 an allen neuen Softails: Ein gut erreichbarer USB-Anschluss im linken hinteren Lenkkopfbereich, an dem sich auch mal schnell das Smartphone oder andere Gerätschaften einstöpseln lassen. Dazu Unmengen an Chrom, megastylische Weißwandreifen auf verchromten Drahtspeichenrädern und auf Wunsch eine Zweifarbenlackierung. Cruiser-Herz, was willst Du mehr?

Typisch für Harley-Davidson: Gut sichtbare Billigstschrauben an solch einem edlen Fahrzeug

Fazit: Ein besseres Fahrwerk, ein superelastischer Motor, weniger Gesamtgewicht, deutlich mehr Schräglagenfreiheit … die Deluxe des Milwaukee-Eight-Zeitalters ist die beste, die es je gab. Hierbei profitiert der todschicke Cruiser vor allem von der Tatsache, dass die Entwickler die Hände von ihren Rädern und der Bereifung ließen. Die gemäßigten Reifenbreiten lassen in Tateinheit mit der endlich existierenden Schräglagenfreiheit einen Fahrspaß aufkommen, den man vorher bei Softail-Modellen noch nicht kannte. Die Bremsen machen alles mit, die Beleuchtung ist auf dem allerneuesten technischen Stand. Um so unverständlicher, dass Harley-Davidson die Softail Deluxe zum Modelljahr 2021 aus dem Programm geworfen hat.