Indian Motorcycle war stets der härteste Konkurrent von Harley-Davidson. Älter war die Firma aus Springfield/Massachusetts sowieso und die Maschinen von Indian hatten seinerzeit ein besseres Renommee als die Bikes aus Milwaukee, obwohl das alles erstmal mit Fahrrädern begann …

Jawohl, Indian begann mit Fahrrädern. Die ersten populären Fahrräder waren die mit dem riesigen Rad vorn, die sogenannten Hochräder. Ein gewisser George Hendee fuhr damals Rennen auf diesen skurrilen Gefährten und war zu seiner Zeit ein absoluter Meister.

Firmen-Mitbegründer und Technik-Genius Carl Oskar Hedström mit einem 1904er Modell

Von den 309 Rennen, zu denen er antrat, gewann er 302. In den 1890er Jahren machten dann die ersten Fahrräder mit gleich großen Rädern den Radsport populärer denn je. Rennass George Hendee lernte zufällig den in Schweden geborenen Oscar Hedström kennen, der ebenfalls Radrennen fuhr. Hedström war ein genialer Ingenieur, Hendee eher ein Kaufmann, und so taten sich die beiden zusammen, um zunächst Fahrräder zu bauen.

Der erste Prototyp nach nur fünf Monaten

Doch schon bald erkannte der leidenschaftliche Maschinenbauer Hedström die Marktchancen für ein motorisiertes Zweirad. Nachdem sich die beiden Firmengründer geeinigt hatten, ein Motorrad zu bauen, brauchte Hedström lediglich fünf Monate, um den ersten Prototypen auf die dünnen Räder zu stellen. Am 30. Mai 1901 wurde das Motorrad in Springfield der Öffentlichkeit präsentiert. 30 Miles per hour lief das Gerät, was annähernd 50 Stundenkilometern entspricht; nicht schlecht zu einer Zeit, als Pferdefuhrwerke und Kutschen das Straßenbild noch deutlich dominierten.

8-Ventil-Boardtrack-Racer von 1915

Von Anfang an funktionierte das Motorrad gut. Es war filigraner gebaut als die damalige Konkurrenz und technisch viel innovativer konstruiert. Nicht umsonst wurden Indian-Motorräder von ihrer Fan-Gemeinde gerne mit Schweizer Uhren verglichen: nicht zu groß, nicht zu schwer, dafür perfekt in Technik und Design.   

Indian Motorcycle war einer der führenden Motorradhersteller weltweit

Das Unternehmen startete sehr klein, auf einer Etage eines Gebäudes in Springfield. Anfangs baute man nur ein paar Dutzend Maschinen pro Jahr. Die Einzylindermotoren bezog man von einer Firma aus dem Mittleren Westen, alles andere entstand in Springfield. Doch schon 1908 fertigte Indian mit Ausnahme der Reifen sämtliche Bauteile seiner Motorräder selbst. Die Expansion war gewaltig. 1904 – Harley-Davidson war gerade gegründet worden – produzierte und verkaufte Indian bereits 600 Maschinen. Im Jahr 1905 waren es bereits 1200 Stück, und 1913 verließen mehr als 32.000 Indians die Fabrik in Springfield. Zu diesem Zeitpunkt war Indian einer der führenden Motorradhersteller weltweit.

Seltener „Längs“-Boxer

Als Henry Ford 1914 begann, sein Model T am Fließband zu fertigen, fiel der Preis für dieses Auto drastisch von 850 auf 370 US-Dollar. Plötzlich war ein Motorrad mit Beiwagen teurer als ein neues Auto. Indian konterte mit Komfort: 1914 bot Indian das erste Motorrad der Welt mit elektrischem Anlasser an. Ein Zweizylinder-Boxer befand sich 1917 kurz im Programm. 1920 wurde das Einstiegsmodell Scout eingeführt, 1922 folgte die Legende „Chief“. Diese beiden Modelle dienten als Basis bis zum Zweiten Weltkrieg.

Bis 1942 baute Indian Motorcycle die Ace-Vierzylinder

1927 kaufte Indian den Konkurrenten Henderson/Ace und damit die Patente und Rechte an deren Vierzylinder. Entsprechend kamen die Ace-Maschinen mit aufrecht stehendem, längs eingebauten Vierzylinder unter dem Namen Indian auf den Markt, bis 1942 baute die Firma Vierzylinder. Dann geschah etwas Verheerendes für die Firma aus Springfield. Die Army – Amerika war inzwischen voll involviert in den Zweiten Weltkrieg – schrieb einen riesigen Auftrag für Kradmelder-Dienstfahrzeuge aus – und auch Indian bewarb sich.

Zweizylindrige Scout 101 aus dem Jahr 1928

Doch den millionenschweren Zuschlag für den Regierungsauftrag bekam Hauptkonkurrent Harley-Davidson. Aus heutiger Sicht kann man diesen Rückschlag als den Anfang vom Ende der großen Marke Indian betrachten. Nur acht Jahre nach Ende des Krieges wurde die Fabrik in Springfield 1953 geschlossen. Zwar wurden noch bis in Anfang der 70er Jahre englische Royal Enfields und später auch A.J.S.- und Matchless-Motorräder unter dem Markennamen Indian verkauft, diese hatten jedoch rein garnichts mehr mit dem Spirit des Mutterhauses und der Gründerväter zu tun. Und auch diverse weitere Comebacks scheiterten an nicht geklärten Markenrechten und/oder mangelndem Kapital.

Schwieriger Neuanfang I – Gilroy-Indian

1999 fand sich in den USA schließlich ein Grüppchen von Investoren zusammen, die die Marke ernsthaft wiederbeleben wollten. Mit großem Enthusiasmus und noch größerem Marketing-Getöse präsentierte die Firma, die im südkalifornischen Örtchen Gilroy ihren Sitz hatte, Motorräder, die zwar mit den typisch geschwungenen Kotflügeln der „Chiefs“ aus den 40er Jahren daherkamen, ansonsten aber Großserientechnik aus dem sattsam bekannten Aftermarket trugen.

1999 bis 2003: Beim ersten ernsthaften Versuch, die Marke wiederzubeleben, war der große strategische Fehler, profane Katalog-Motoren von S&S einzubauen. Wer wollte schon eine Indian mit einem Harley-Evo-Klon als Antrieb?

Vor allem das Herzstück eines jeden Motorrads, der Motor, war ein gewöhnliches Evo-Style-Aggregat von S&S aus dem Zubehörkatalog. Viel zu spät erkannten die Macher in Gilroy, dass dieser Massen-Motor ein echtes Killerargument gegen den guten Markennamen Indian war. Schnell versuchte man noch, mit der Entwicklung eines eigenen 45°-V2 das Ruder des sinkenden Schiffes herumzureißen, doch 2003 war Schluss mit New Indian in Gilroy.    

Schwieriger Neuanfang II – Stellican-Indian

2006 kaufte die in London ansässige Investmentgesellschaft Stellican Limited die Konkursmasse und die Rechte am Namen Indian auf und plante einen weiteren Neuanfang. Diese neue Firma mit Sitz in Kings Mountain in North Carolina ging die Sache langsamer – sprich bedachter – an und produzierte ab 2009 wieder Motorräder, die offensichtlich auf den vorigen Gilroy-Indians basierten. Immerhin wiederholten sie den Fehler der Vorgänger nicht und implantierten einen luftgekühlten, 1720 Kubikzentimeter großen 45°-V2 mit Namen „Powerplus“. Und der sah tatsächlich schon deutlich mehr nach einem echten Indian-V2 aus.

Für das Topmodell Chief Vintage des Modelljahrgangs 2010 musste ein Interessent 38.145 Euro locker machen

Der Motor war leicht langhubig ausgelegt, mit 9:1 recht niedrig verdichtet und drückte um die 70 PS und sehr ordentliche 135 Nm Drehmoment auf den Asphalt. Die Gemischaufbereitung geschah per Einspritzanlage, den Kraftschluss vermittelte ein Sechsganggetriebe via Zahnriemen zum Hinterrad. Verzögert wurde mit feinen Stoppern von Brembo und alle Modelle rollten – so gehört sich das! – auf Speichenrädern.

Gerade einmal 600 Stellican-Indians wurden produziert

Fünf Modelle gab es seinerzeit, wobei die technische Basis bei all diesen Varianten praktisch identisch war. Nach dem Beispiel von Harley-Davidson hat man mit Hilfe geschickt gewählter Accessories (Fender, Satteltaschen, Lacke) unterschiedliche Geschmacksmuster entstehen lassen, die den Bikes unterschiedliche Charaktere gaben. Das Einstiegsmodell hieß Chief Classic, Ausstattungs- und preisliche Spitze bildete das Modell Chief Vintage.

Die aktuellen Indians sind technisch auf der Höhe der Zeit und mindestens auf Augenhöhe mit den Bikes aus Milwaukee. Hier die 2025er Sondermodelle Springfield Special (links) und Roadmaster Elite

Die Europa-Präsenz der Marke war damals recht mager: In Deutschland kümmerte sich GeigerCars um den Import, in der Schweiz wurde man bei Indian Motorcycle Switzerland aus Adligenswil fündig. Mit Preisen, die weit über denen der Konkurrenzmodelle aus Milwaukee lagen, blieb aber auch diese Wiederbelebung letztlich erfolglos. Gerade einmal 600 Motorräder sollen in Kings Mountain zwischen 2009 und dem neuerlichen Ende 2010 produziert worden sein.

Indian Motorcyle – Neustart mit Polaris endlich erfolgreich

2011 kaufte schließlich der Polaris-Konzern, weltgrößter Hersteller von Schneemobilen, Quads und ATVs, die Indian-Markenrechte und brachte bereits zwei Jahre später drei Big-Twin-Modelle auf den Markt: Chief Classic, Chief Vintage und Chieftain waren von Anfang an konkurrenzfähig und legten den Grundstein für das endlich erfolgreiche Comeback von Indian Motorcycle. Und das Ende der Polaris-Motorrad-Tochter Victory, die nach dem erfolgreichen Indian-Neustart Anfang 2017 die Produktion einstellte und abgewickelt wurde. Aber das ist eine andere Geschichte …

Info | indianmotorcycle.de